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News: Relatives "Schiffe versenken"

Wenn sich ein Objekt beinahe mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, wird es gemäß Einsteins Relativitätstheorie für einen außenstehenden Beobachter kürzer. Das gilt - theoretisch - auch für U-Boote, die damit zugleich dichter würden und sinken. Oder treiben sie doch eher nach oben, weil sich aus Sicht der Matrosen das Meer schnell nach hinten bewegt?
U-Boot
Gleichberechtigung mag eine schöne Sache sein – sie bringt jedoch so manche verzwickte Paradoxie mit sich. Da wäre zum Beispiel die in der Wissenschaft stets beliebte Frage, wer oder was sich eigentlich bewegt. Die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne? Für die Menschen im Mittelalter schien die Antwort göttlich festgelegt, nur lacht leider heutzutage jedes Schulkind über die Naivität der damaligen Gelehrten. Wir vermeinen zu wissen, dass die Erde ihre Bahnen ziehen muss, während die Sonne gemütlich im Zentrum stehen bleibt – klar, eindeutig und auf dem neuesten Stand des Wissens.

Ganz so aktuell ist diese Sichtweise nun allerdings nicht, denn seit den Versuchen von Michelson 1881 und Morley 1887 ist bekannt, dass es keine Art kosmischen Koordinatensystems gibt, nach dem sich eindeutig festlegen ließe, wer sich gerade bewegt und wer nicht. Stattdessen kommt es auf den Standpunkt an oder wissenschaftlicher ausgedrückt: das Bezugssystem. Von der Erde aus gesehen, bewegt sich die Sonne am Himmel, ein Beobachter auf der Sonne würde die Planeten wandern sehen. Gleichberechtigung der Standorte eben, die sich sogar noch weiter treiben lässt: Sitzen wir in einem Zug, der den Bahnhof verlässt, können wir mit Fug und Recht behaupten, der Bahnsteig, das Gebäude, die Stadt und die ganze Welt fährt relativ zu uns davon. Relativ eben, nicht absolut – genau eine der entscheidenden Stellen, an denen sich Einsteins Relativitätstheorie von den Vorstellungen Newtons klassischer Mechanik verabschiedet.

Probleme mit der relativistischen Gleichberechtigung treten dann auf, wenn man weitere Aussagen der Theorie hinzuzieht, die vor allem bei extrem hohen Geschwindigkeiten zu beobachten sind. So wird ein annähernd lichtschnelles Objekt aus Sicht eines externen, ruhenden Betrachters kürzer, als wenn es stillstehen würde. Ein Fahrgast an Bord des rasenden Vehikels würde dagegen nichts von dem Schrumpfprozess bemerken, sondern seinerseits feststellen, dass aus seiner Sicht die Außenwelt und alles darin verkürzt würde.

Nehmen wir nun an, das Objekt wäre ein U-Boot, dann würde eine Verkürzung zugleich bedeuten, dass die Dichte steigt und das Boot, vom Land aus betrachtet, sinken müsste. Die Matrosen könnten jedoch ihr Schiff als ruhendes Bezugssystem ansehen, sodass die Wassermoleküle fast mit Lichtgeschwindigkeit vorbeisausen, dabei kürzer und somit dichter werden, was den Auftrieb des Bootes erhöhen würde. Je nach Standpunkt müsste das U-Boot also sinken oder steigen – ein Widerspruch, der als Unterseeboot-Paradoxon manch Wissenschaftler eine schlaflose Nacht bereitet hat.

Einen Ausweg aus dem Dilemma vermuteten Physiker irgendwie im Verhalten der Gravitation bei hohen Geschwindigkeiten. Denn bei aller Gleichberechtigung unterscheiden sich das Boot und das Meer samt restlicher Erde beträchtlich in ihrer Masse und damit in der von ihnen ausgehenden Gravitation. Im Jahre 1989 veröffentlichte James Supplee, der mittlerweile an der Drew University beschäftigt ist, eine Lösung auf Grundlage der Speziellen Relativitätstheorie. Im Gegensatz zu der umfassenderen Allgemeinen Relativitätstheorie ist die spezielle Form einfacher zu behandeln, beschreibt aber normalerweise nicht Szenarien, in denen der Gravitation eine wichtige Rolle zukommt. Supplee war daher gezwungen, eine Reihe von Annahmen in seine Rechnungen einfließen zu lassen, weshalb das ganze Modell auf etwas wackligen Füßen stand.

Erst jetzt ist es dem theoretischen Physiker George Matsas von der brasilianischen Universidade Estadual Paulista gelungen, auch mit der schwierigeren allgemeinen Relativitätstheorie das Schicksal des U-Bootes zu ergründen. Im Wesentlichen kommt er zu dem gleichen Ergebnis wie Supplee: Das Boot sinkt! Schuld daran ist tatsächlich die Gravitation. Für den Beobachter an Land würde die Stärke des Gravitationsfeldes, das an dem U-Boot zieht, mit zunehmender Geschwindigkeit ansteigen. Aus Sicht der Besatzung käme es neben dem verstärkten Auftrieb außerdem zu einer fatalen Krümmung der Raum-Zeit: Der Meeresgrund würde sich ihnen entgegenwölben.

Die Gravitation setzt also U-Booten eine obere Geschwindigkeitsgrenze, die sie sowieso technisch niemals erreichen könnten. Sie hebt aber auch teilweise die Gleichberechtigung auf, wenn ein schwereres und ein leichteres Objekt sich darum streiten, wer ruhen darf und wer sich bewegen muss. Und sie verhindert eine Verletzung des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik in der Nähe von Schwarzen Löchern, merkt Matsas in seiner Veröffentlichung an. Doch dazu muss er sein Modell noch anpassen, denn bei dieser Frage geht es um extrem langsam fliegende Kästen, statt um superschnelle U-Boote.

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