Renaissancekunst: Warum Leonardo da Vinci und Botticelli mit Eigelb malten
Die Künstler der Renaissance mischten ihren Ölfarben bisweilen Eigelb bei. Warum und welche Effekte sie damit erzielen wollten, war bislang unklar. Nun hat eine Arbeitsgruppe um Ophélie Ranquet vom Karlsruher Institut für Technologie in einer experimentellen Studie untersucht, wie sich die Zugabe von Eigelb auf die Streichfähigkeit und das Fließverhalten der Farben, den Trocknungsprozess und das Erscheinungsbild auswirkte. Wie das Team im Fachblatt »Nature Communications« berichtet, unterbindet die Proteinzugabe, dass die Gemälde Feuchtigkeit aufnehmen, sich beim Aushärten Runzeln und Risse bilden oder die Farben vergilben.
Im 15. Jahrhundert legten sich die Maler Italiens eine neue Technik zu: Sie kamen von der Malerei mit Eitempera ab und gingen zur Ölmalerei über. Einfach formuliert heißt das: Sie verwendeten ein anderes Bindemittel. Erst Ei, dann Öl. Dieser Übergang nötigte die Maler dazu, sich neue Maltechniken anzueignen. Allerdings haben kunsthistorische Forschungen auch ergeben, dass dieser Wechsel der Malfarbe nicht so kategorisch verlief, wie es erscheint. Sandro Botticelli (1445–1510) beispielsweise malte seine »Beweinung Christi« mit beiden Techniken. Auch von Leonardo da Vinci (1452–1519) und Albrecht Dürer (1471–1528) wissen Fachleute durch gaschromatografische Analysen, dass die Maler ihren Farben bisweilen Dotter beigaben.
Aus diesem Grund wollten Ranquet und ihre Kollegen wissen, warum die Künstler der Renaissance ihre Ölfarben mit Eigelb verrührten und welche Vorteile sie sich davon versprachen.
Ein Rezept aus dem Handbuch »Liber diversarum arcium«
Wie Ölfarben hergestellt wurden, verrät beispielsweise ein mittelalterliches Handbuch zur Malerei, das »Liber diversarum arcium«. Darin ist folgendes Rezept genannt: Die Maler sollten zunächst mineralische Pigmente mit Eiklar und Wasser verreiben, die Mischung trocknen lassen und den Vorgang mehrmals wiederholen. Zuletzt sollten sie Öl zugeben. Was dabei chemisch geschieht, erklären die Studienautoren in einer früheren Arbeit: »Die Proteine beschichten die Oberfläche der Pigmentkörner und verändern dadurch ihre Eigenschaften.« Die Eimasse lege sich demnach wie eine schützende Schicht um die Pigmentkörner.
Womöglich vermischten die Künstler aber auch fertige Ölfarben mit wenigen Tropfen Eigelb. Daraus entstand eine recht steife Masse, die etwa in Impasto-Technik, also sehr dick und zäh aufgetragen werden konnte. Chemisch betrachtet handelt es sich bei diesem Farbtyp um eine so genannte kapillare Suspension.
Für ihre Studie ahmte die Arbeitsgruppe nun diese zwei Farbarten der Alten Meister nach und nutzte als Pigmente Bleiweiß und künstliches Ultramarin – anders als die Maler der Renaissance, die ein natürliches blaues Mineral verwendeten. Bei den Versuchen, die die Forschenden über einen Zeitraum von vier Jahren durchführten, verwendeten sie ausschließlich Eigelb. Dabei zeigte sich, wie das Dotter je nach Rezeptur eine unterschiedliche Streichfähigkeit und Fließgrenze aufwies. Der Begriff Fließgrenze beschreibt bei Ölfarben, dass sie, kurz nachdem sie mit dem Pinsel verstrichen wurden, erstarren, aber zugleich auch nicht trocken sind. Sie können mit dem Pinsel weiterverstrichen oder gar vermischt werden. Temperafarben hingegen trocknen schnell, sie müssen deshalb anders aufgetragen werden, um Farbtöne zu mischen: in gestrichelten Malschichten übereinander.
Weniger Runzeln, weniger Vergilben
Bei ihren Versuchen stellten Ranquet und ihre Kollegen nun fest, dass die Rezeptmischung aus dem »Liber diversarum arcium« den Vorgang der Aushärtung und Trocknung beeinflusst. Er dauert länger, was die Arbeitsgruppe den Dotterbestandteilen zuschreibt. Das Eigelb wirke als Antioxidans und verhindere, dass die Lipide des Öls oxidieren. Zugleich nehmen die Farben weniger Feuchtigkeit aus der Umgebung auf. Insgesamt würde der Farbauftrag so auf längere Zeit gesehen weniger Schaden nehmen und nicht vergilben.
Bei der kapillaren Suspension konnten die Fachleute die verzögerte Aushärtung nur bei der blauen Farbe, nicht beim Bleiweiß beobachten. Laut der Forschergruppe liege es am Blei, das sich im Öl löst. In der mittelalterlichen Rezeptmischung hingegen »ist das Eigelb gleichmäßig auf der Pigmentoberfläche verteilt und dient als ›antioxidativer Schutzschild‹, der die Auflösung von Blei im Öl verzögert«, erklären die Forschenden in ihrer Studie.
Versetzten die Wissenschaftler um Ranquet die Ölfarbe mit wenigen Tropfen Dotter, rührten sie die steife Malmasse an. Dieser Farbtyp brachte den Malern ebenfalls Vorteile: Die Proteinzugabe verminderte die Entstehung von so genannten Runzeln und Rissen. Denn trocknet Ölfarbe nicht gleichmäßig aus, legt sie sich in Falten. Wenn der Farbauftrag jedoch genügend fest ist, kann er gleichmäßig austrocknen.
Als die italienischen Maler anfingen mit Ölfarben zu arbeiten, könnte ihnen die noch unbekannte Substanz Schwierigkeiten bereitet haben. In einem Gemälde von Leonardo da Vinci, der »Madonna mit der Nelke«, fallen jedenfalls Runzeln im Ölauftrag auf – so auf der schattierten Haut der Madonnenfigur und des Jesuskinds. Zwar konnte die Arbeitsgruppe das Gemälde nicht beproben, vermutet aber, dass da Vinci noch mit den neuen Ölfarben experimentierte und später derartigen Fehlern durch die Zugabe von Eigelb zuvorkam. Warum er bei der »Madonna mit der Nelke« die Stellen nicht einfach ausbesserte, bleibt aber wohl da Vincis Geheimnis.
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