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Resilienz: Sensibel wie die Orchidee und robust wie der Löwenzahn

Manche Kinder reagieren empfindlich auf widrige Lebensumstände, anderen kann selbst ein schwerer Schicksalsschlag nichts anhaben. Doch was ist mit denen, die weder dem einen noch dem anderen Profil entsprechen?
Mädchen hält lächelnd einen Strauß Löwenzahn

Wir alle sind Produkte unserer Gene und unserer Umwelt. Aus der Forschung zur Kindesentwicklung weiß man, dass die Erfahrungen, die wir als junge Menschen machen, uns stärken oder schaden können. Viele Menschen aus Politik und Forschung neigen allerdings zu der irrigen Annahme, sich diese Befunde ließen auf alle Personen gleichermaßen anwenden. Die Entwicklungspsychologie konzentriert sich, wie viele andere Disziplinen auch, vor allem auf durchschnittliche Auswirkungen. Doch die können ebenso viel verdecken, wie sie erhellen. Nicht alle Kinder, Jugendlichen und auch Erwachsenen reagieren auf dieselben Erfahrungen in gleicher Weise.

Wie meine eigene Forschung gezeigt hat, werden einige Kinder stark von ihrer Umwelt beeinflusst, während andere davon relativ unbeeindruckt bleiben. Deshalb profitiert vor allem die erste Gruppe von Interventionen. Nur sie leidet unter negativen Erfahrungen wie einer harten Bestrafung oder der Ablehnung durch Gleichaltrige, während die anderen Kinder davon weit weniger beeinträchtigt sind.

Diese Unterscheidung hat weitere Forschung angeregt. Die Idee fand ein breites Publikum, auch dank des populären Begriffs der »Orchideenkinder« für diejenigen, die besonders sensibel auf Umwelteinflüsse reagieren, beziehungsweise »Löwenzahnkinder« für die unempfindlichen. Einige Forscher haben die Blumenanalogie fortgeführt und sprechen von »Tulpen«, wenn sich Kinder von ihrer Umwelt nur mäßig beeinflussen lassen.

Das würde allerdings bedeuten, dass junge Menschen – ob Orchidee, Tulpe oder Löwenzahn – auf alle Aspekte ihrer Umwelt durchweg entweder stark, mittel oder schwach reagieren. Doch sprechen Orchideenkinder wirklich gleichermaßen auf so verschiedene Dinge an wie unterstützende Eltern, Ablehnung durch Gleichaltrige und schlechten Mathematikunterricht? Und sind Löwenzahnkinder in allen Lebensbereichen robust? Könnten nicht einige auf unterschiedliche Belastungen auch unterschiedlich reagieren? Vielleicht gibt es Kinder, die sich von gutem Unterricht stark beeinflussen lassen, aber nur mäßig von Gruppendruck und wenig von der häufigen Abwesenheit ihrer Eltern.

Meine Mitarbeiter und ich sind dieser Frage nachgegangen. In einer Studienreihe haben wir mehrere Umweltbedingungen und ihre Auswirkungen auf eine große Zahl von Kindern untersucht. Unser Ergebnis: Es mag reine Tulpen, reinen Löwenzahn und reine Orchideen geben. Viele Kinder verhalten sich jedoch eher wie ein Mosaik aus verschiedenen Profilen: Sie reagieren auf einige Erfahrungen sensibel, auf andere nicht; außerdem hängen ihre Empfindlichkeit und ihre Resilienz auch von der Entwicklungsphase ab, also davon, wann sie einem bestimmten Einfluss ausgesetzt sind.

Zehn Prozent der Kinder gehörten zum widerstandsfähigen »Löwenzahn«

Nehmen wir das soziale Umfeld. In einer Anfang 2022 veröffentlichten Studie untersuchten wir, ob Kinder, die von der Qualität der elterlichen Erziehung im Guten wie im Schlechten am stärksten beeinflusst werden, in ähnlicher Weise auf gute und schlechte Erfahrungen mit Gleichaltrigen reagieren. Die Daten stammten aus einer US-Langzeitstudie mit mehr als 1300 Kindern zwischen 10 und 15 Jahren.

Wir wollten herausfinden, ob sich aus den Beziehungen zu Gleichaltrigen und Eltern ihr künftiges Wohlergehen vorhersagen ließ. Wie schon in älteren Studien entsprach nur ein kleiner Teil der Kinder (sieben Prozent) den empfindlichen Orchideen: Das Verhältnis zu den Eltern ebenso wie zu Gleichaltrigen hatte einen großen Einfluss auf ihr späteres Befinden. Gute Beziehungen in der frühen Kindheit waren verbunden mit einer besseren Anpassung in der Pubertät, während schwierige und konfliktreiche Beziehungen mit einer schlechteren Anpassung einhergingen. Zehn Prozent der Kinder zählten zum widerstandsfähigen »Löwenzahn«. Sie waren für beide Einflüsse höchst unempfänglich; zwischen der Qualität ihrer Beziehungen in der Kindheit und ihrem späteren Wohlergehen bestand kein erkennbarer Zusammenhang.

Die große Gruppe in der Mitte ließ sich allerdings nicht einfach den mäßig sensiblen »Tulpen« zuordnen. Vielmehr erwiesen sich 15 Prozent der Kinder als sehr empfänglich für Gleichaltrige, aber nicht für die Eltern, und 19 Prozent zeigten das umgekehrte Muster.

Wechsel zwischen Resilienz und Verletzlichkeit

In einer anderen aktuellen Studie haben wir die verbreitete Annahme überprüft, die ersten drei bis fünf Lebensjahre hätten am meisten Einfluss auf die weitere Entwicklung. Dazu haben wir auf Daten zurückgegriffen, die in Dänemark jährlich zu mehr als 600 000 Kindern erhoben werden. Sie enthalten unter anderem Informationen zu den Eltern wie psychische Probleme, Haft, Scheidung, Arbeitslosigkeit und Todesfälle.

Viele der jungen Menschen in der Stichprobe waren sowohl vor dem fünften Lebensjahr als auch im Alter von 13 bis 18 Jahren mit einem schwierigen Familienleben konfrontiert. Zudem gab es Informationen darüber, wie es den Kindern im Alter von 18 und 19 Jahren erging, zum Beispiel ob sie den Schulabschluss schafften oder die Diagnose einer psychischen Störung erhielten.

Demnach verhielten sich knapp zwei Drittel der Kinder (62 Prozent) konsistent wie Orchideen, Tulpen oder Löwenzahn, das heißt, sie reagierten in beiden Entwicklungsphasen entsprechend stark, mäßig oder wenig sensibel auf Widrigkeiten. Doch einige wiesen unbestreitbar ein gemischtes Profil auf: 6,5 Prozent der Kinder waren in der frühen Kindheit sehr anfällig für Widrigkeiten, aber in der Adoleszenz sehr unempfindlich, und bei 6,7 Prozent war es umgekehrt.

In einer dritten Studie untersuchten wir rund 40 Umweltfaktoren im Baby- und Kleinkindalter, darunter das Familieneinkommen, Depressionen der Mutter, das Erziehungsverhalten der Eltern sowie die Qualität der Tagesbetreuung und die Stunden, Monate und Jahre, die das Kind dort verbrachte. Als die Kinder viereinhalb Jahre alt waren, wurden erwünschte Merkmale wie gute soziale und sprachliche Fähigkeiten sowie unerwünschte wie Aggressionen und Ungehorsam erhoben. Auch in dieser Stichprobe fanden wir Orchideen- und Löwenzahnkinder, aber die überwältigende Mehrheit war eine Mischung aus beiden.

Verschiedene Profile in einer Person

Dennoch wäre es ein Fehler, das Orchideen-Tulpen-Löwenzahn-Kind mit dem sprichwörtlichen Bade auszuschütten. Denn offensichtlich passen einige Kinder durchaus in diese Profile. Die Erkenntnis, dass die meisten verschiedene Profile in sich vereinen, könnte die Gesellschaft jedoch dazu bewegen, nicht alle über einen Kamm zu scheren. Etwa wenn es um Fördermaßnahmen geht: Die Annahme, dass Kinder am stärksten durch frühe Lebenserfahrungen geprägt werden, hat beispielsweise viele Länder dazu veranlasst, mehr in die frühe Kindheit zu investieren als in die Jugend. Unsere Ergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass damit viele Chancen in der Jugend verpasst werden. Letztlich sollte eine Gesellschaft danach streben, allen Kindern in jedem Alter Sicherheit und Geborgenheit zu bieten.

Unsere Erkenntnisse legen außerdem nahe, dass es individuelle Maßnahmen braucht, um Kindern mit psychischen Problemen zu helfen. In einigen Fällen sollten sich Eltern, Lehrerinnen und Lehrer zuerst auf das familiäre Umfeld konzentrieren, in anderen Fällen auf Gleichaltrige. Wenn es darum geht, was die Entwicklung prägt und was nicht, ist jedes Kind einzigartig.

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