Atombombe von Hiroshima: Reste der geschmolzenen Stadt liegen am Strand
Es war um 8.16 Uhr und zwei Sekunden, als am 6. August 1945 die erste Atombombe der Kriegsgeschichte 600 Meter über der japanischen Stadt Hiroshima explodierte. Innerhalb von nur einer Sekunde verglühten große Teile des Zentrums oder wurden pulverisiert. Bis in 13 Kilometer Höhe stieg der charakteristische Atompilz empor und riss dabei tausende Tonnen Schutt und Asche mit in die Höhe, die wenig später als radioaktiv kontaminierter Fallout wieder auf die Erde regneten. Das Inferno vernichtete Hiroshima fast vollständig, bis zu 170 000 Menschen starben entweder sofort oder in den Tagen bis Jahren danach an den direkten und indirekten Folgen der Strahlung oder anderen Verletzungen. Der Einsatz der Kernwaffe hat sich tief in das Bewusstsein der Menschheit eingegraben – und Spuren hinterlassen, die bis heute nachweisbar sind.
Eine bislang wenig beachtete Folge hat der Geologe Mario Wannier am Strand der Motoujina-Halbinsel nahe Hiroshima entdeckt und zusammen mit einem Team um Binbin Yue vom Lawrence Berkeley National Laboratory untersucht. Ihre Ergebnisse beschreiben sie im Journal »Anthropocene«. Zwischen den Sandkörnern finden sich dort unzählige kleine Glaskügelchen, die laut den Analysen während der Explosion in der extremen Hitze aus den geschmolzenen Überresten der Stadt entstanden. Teile Hiroshimas sind quasi als Glasregen über dem Umland heruntergekommen.
Dabei war Wannier im Jahr 2015 eigentlich auf der Suche nach den Schalen von Foraminiferen, kleinen, einzelligen Meereslebewesen, die Aussagen über den ökologischen Zustand der Gewässer rund um Japan geben können. Dabei fielen ihm unter dem Mikroskop die glasartigen Partikel auf, die häufig eine Tropfenform aufwiesen – wie sie typisch sind für das Umfeld von Meteoritenkratern: Besonders zahlreich finden sie sich beispielsweise in der Sedimentschicht, welche die Kreide-Tertiär-Grenze markiert, die also nach dem Chicxulub-Impakt entstand. »Ich habe schon hunderte Proben von Stränden aus Südostasien gesehen und kann sofort mineralische Körner von pflanzlichen oder tierischen Überresten unterscheiden. Das ist sehr leicht. Aber hier war etwas völlig anderes«, erklärte der Forscher in einer Mitteilung.
Er schaltete Yue und Co ein, die in den folgenden Jahren das Material im Labor untersuchten. Im Gegensatz zu den glasigen Körnern des Chicxulub-Ereignisses wiesen die Partikel vom japanischen Strand jedoch eine geschichtete Struktur auf und enthielten verschiedenste chemische Elemente. Andere hatten eine gummiartige Konsistenz. Pro Kilogramm Sand fanden sich zwischen 12,6 und 23,3 Gramm der Glaskügelchen – die also maximal 2,5 Prozent des Strands ausmachten. Viele von ihnen weisen ungewöhnliche und teilweise bislang unbekannte chemische und mineralische Zusammensetzungen auf, die durch die immense Hitze und den gewaltigen Druck des atomaren Feuers entstanden sind. Manche davon müssen erst noch im Detail analysiert werden. Andere bestehen aus reinem Eisen oder Stahl, enthalten Aluminium, Silizium oder Kalzium. Wannier und Co schätzen, dass pro Quadratkilometer Strand zwischen 2200 und 3100 Tonnen der Partikel liegen.
Der Geologe bezeichnet die Kügelchen als »Hiroshimatite« – vergleichbar mit den Tektit-Kügelchen großer kosmischer Einschläge auf der Erde. Sie bildeten sich wohl vornehmlich im Atompilz, wo das pulverisierte Material in die Höhe gerissen wurde. Dabei schmolz es in der Gluthitze auf und wurde wild in der turbulenten Atmosphäöre vermischt, bevor es sich an den Rändern wieder abkühlte und auf die Erde prasselte. Dabei sind sich die Wissenschaftler ziemlich sicher, dass die Atombombe die Glaskügelchen schuf und kein anderes Ereignis – nicht nur wegen der extremen Bedingungen. Darin finden sich viele Bestandteile wieder, die typisch für damalige Bauten in Hiroshima waren: Marmor, Stahl, Beton und Gummi. Sie unterscheiden sich auch deutlich von den Hinterlassenschaften der US-Atombombentests, etwa von Trinity in New Mexico. Diese werden von Mineralogen als Trinitite bezeichnet. »Doch Hiroshimatite unterscheiden sich deutlich von diesen«, sagte Wannier, weswegen er einen eigenen Namen für sie schuf.
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