Revierverhalten: Rothörnchen leben länger dank vertrauter Nachbarn
In stabilen sozialen Beziehungen zu leben, kann von Vorteil sein – nicht nur für Menschen, auch für andere Tiere. Sogar Lebewesen, die eigentlich Einzelgänger sind, profitieren mitunter davon. Wissenschaftler um die Verhaltensforscherin Erin R. Siracusa von der University of Exeter in England liefern jetzt neue Belege dafür.
Siracusa und ihr Team haben Beobachtungen ausgewertet, die über einen Zeitraum von 22 Jahren hinweg an Gemeinen Rothörnchen (Tamiasciurus hudsonicus) gesammelt worden waren. Diese baumbewohnenden Nager werden bis zu zehn Jahre alt und kommen in Nordamerika vor. Sie leben einzelgängerisch und besetzen Reviere, die typischerweise einige zehn Meter durchmessen und die sie das ganze Jahr über verteidigen. Um den Winter zu überleben, legen sie Vorratskammern an. Die Territorien verschiedener Tiere grenzen oft direkt aneinander, weshalb es jederzeit zu Nachbarschaftskonflikten kommen kann. Das wirft die Frage auf, wie die Nager damit umgehen.
Am besten alles so lassen
Die Forscher um Siracusa haben dies jetzt für mehrere hundert Tiere untersucht. Zu ihrer Überraschung zeigen die Daten: Gemeine Rothörnchen profitieren von einem stabilen sozialen Umfeld, und zwar stärker als von Blutsverwandtschaft. Die Nager haben meist um die 13 Nachbarn – manche davon nur für wenige Monate, andere für Jahre. Je länger die Nachbarn dieselben bleiben, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Tiere das nächste Jahr erleben. Das äußert sich mit fortschreitendem Alter immer klarer. Rothörnchen mit vier Lebensjahren, deren Nachbarn wechseln, erreichen das darauf folgende Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 52 Prozent. Behalten sie jedoch alle Anrainer, sind es 74 Prozent. Dabei spielt es praktisch keine Rolle, ob die Anwohner blutsverwandt sind oder nicht – es zählt nur, für wie lang sie sich nebenan niederlassen.
Laut den Daten pflanzen sich Rothörnchen in einem stabilen sozialen Umfeld auch erfolgreicher fort. Wenn die Anwohner für deutlich mehr als ein Jahr die gleichen bleiben, zeugen Männchen mehr Nachkommen und ziehen Weibchen mehr Jungtiere auf, als wenn die Nachbarschaft ständig wechselt.
Die Gründe dafür sind nicht ganz klar, haben aber offenbar damit zu tun, dass die Tiere in vertrautem sozialem Umfeld ihr Verhältnis untereinander nicht ständig neu regeln müssen. Sie wenden weniger Energie für Konflikte auf, so dass sie mehr für sich und ihren Nachwuchs behalten beziehungsweise weiter ins Umland ausschwärmen können, um Partner zu suchen. Dauerhafte Nachbarn, das zeigen die Beobachtungen, machen sich gegenseitig die Territorien seltener streitig und bestehlen einander auch nicht so oft, indem sie ihre Vorratskammern plündern. »Sobald sie lange genug nebeneinander leben, um sich auf die Reviergrenzen zu einigen, gehen sie eine Art Gentleman's Agreement ein«, beschreibt Siracusa, »sie sagen gewissermaßen, wir werden unsere Zeit und Energie nicht mehr damit verschwenden, über diese Grenzen zu streiten.« Vielleicht, so Siracusa, kooperierten die Tiere sogar, doch wie genau – etwa indem sie Nahrung teilten, Anrainer vor Raubtieren warnten oder Verteidigungsgemeinschaften bildeten – sei unbekannt.
Stabile soziale Beziehungen können offenbar nicht nur für Tiere vorteilhaft sein, die in Gruppen leben, sondern auch für einzelgängerische Arten, wie die Forscher schreiben. Die Studie könne helfen zu verstehen, wie die Evolution Revierverhalten hervorbringe, beispielsweise indem ein Tier lebenslang das gleiche Territorium besetzt.
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