Quantum Machine Learning: KI + Quanten = Revolution?
Es klingt wie »Marvel's The Avengers« für futuristisches Rechnen. Bringt man zwei der populärsten technologischen Begriffe – künstliche Intelligenz und Quantencomputer – zusammen, entsteht daraus maschinelles Quantenlernen (englisch: quantum machine learning). Wie in den »Avengers«-Filmen, in denen eine Starbesetzung von Superhelden ein Dreamteam bildet, wird wahrscheinlich auch die Verbindung von KI und Quantencomputern viel Aufmerksamkeit erregen. Aber bei einer neuen Technologie kommt es wie auch im Film auf einen guten Plot an: Bringt die spektakuläre Kombination von KI und Quanten wirklich etwas Interessantes hervor?
Quantencomputer könnten künftig bestimmte Probleme viel effizienter lösen als gewöhnliche Rechner, indem sie die einzigartigen Eigenschaften der subatomaren Welt nutzen. Seit Jahren fragen sich Fachleute, ob zu diesen Problemen auch das maschinelle Lernen gehören könnte. Dabei handelt es sich um eine Form der künstlichen Intelligenz, bei der Computer nach Mustern in Daten suchen und Regeln lernen, die sie nutzen, um auch in unbekannten Situationen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die Veröffentlichung des viel beachteten KI-Systems ChatGPT, das mit Hilfe von maschinellem Lernen Beziehungen zwischen Wörtern in Texten ableitet, sowie der aktuell rasche Zuwachs an Größe und Leistung von Quantencomputern zeigt: Beide Technologien machen derzeit große Fortschritte.
Boomendes Interesse
Viele Technologieunternehmen, darunter etablierte Großkonzerne wie Google und IBM, aber auch Start-up-Firmen wie Rigetti im kalifornischen Berkeley sowie IonQ in College Park, Maryland, untersuchen das Potenzial des maschinellen Quantenlernens. Das Interesse der akademischen Welt ist ebenfalls riesig.
Das CERN, die europäische Forschungseinrichtung für Teilchenphysik in der Nähe von Genf, nutzt bereits maschinelles Lernen, um in den vom Large Hadron Collider erzeugten Daten nach Anzeichen für subatomare Teilchen und Vorgänge zu suchen. Die Fachleute vor Ort experimentieren mittlerweile nicht mehr nur mit beschleunigten Partikeln, sondern auch mit maschinellem Quantenlernen. »Unsere Idee ist es, Quantencomputer einzusetzen, um klassische Machine-Learning-Modelle zu beschleunigen oder zu verbessern«, sagt die Physikerin Sofia Vallecorsa, die am CERN eine Forschungsgruppe für Quantencomputer und maschinelles Lernen leitet.
Die große unbeantwortete Frage ist, ob es Szenarien gibt, in denen das maschinelle Lernen mit Quanten einen Vorteil gegenüber der klassischen Variante bietet. Theoretisch können Quantencomputer eines Tages spezielle Rechenaufgaben bewältigen wie etwa die Simulation von Molekülen oder die Suche nach Primfaktoren großer ganzer Zahlen, die auf klassischen Rechnern mehr Zeit erfordern, als das Universum alt ist. Aber die Forschenden haben noch keine ausreichenden Beweise dafür, dass dies auch beim maschinellen Lernen der Fall ist. Manche Fachleute glauben, dass maschinelles Lernen mit Hilfe von Quantencomputern Muster erkennen könnte, die klassischen Computern entgehen – selbst wenn der Vorgang an sich nicht schneller ist.
Die Einschätzung der Fachleute, was das maschinelle Quantenlernen leisten könnte, schwanke zwischen zwei Extremen, sagt die Physikerin Maria Schuld aus Durban, Südafrika. Das Interesse an diesem Ansatz sei groß, aber die Forschenden schienen zunehmend zu resignieren, weil es an Aussichten für kurzfristige Anwendungen mangele, sagt Schuld, die für das Quantencomputerunternehmen Xanadu mit Sitz in Toronto arbeitet.
Einige Forscherinnen und Forscher fokussieren sich daher darauf, Algorithmen des maschinellen Quantenlernens auf Phänomene anzuwenden, die von Natur aus quantenbasiert sind. Von allen vorgeschlagenen Anwendungen des maschinellen Quantenlernens sei dies der Bereich, in dem es einen ziemlich klaren Quantenvorteil gebe, sagt der Physiker Aram Harrow vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge.
Wann sind Quantenalgorithmen hilfreich?
In den zurückliegenden 20 Jahren haben Forschende zahlreiche Quantenalgorithmen entwickelt, die das maschinelle Lernen zumindest theoretisch effizienter machen könnten. In einer bahnbrechenden Arbeit entwickelte Harrow zusammen mit den MIT-Physikern Seth Lloyd und Avinatan Hassidim im Jahr 2008 einen Quantenalgorithmus, der riesige lineare Gleichungssysteme (eine der Herausforderungen, die dem maschinellen Lernen zu Grunde liegen) exponentiell schneller lösen kann als ein klassischer Computer.
Doch in einigen anderen Fällen hat sich das Versprechen von Quantenalgorithmen nicht erfüllt. Ein viel beachtetes Beispiel ereignete sich 2018, als die Informatikerin Ewin Tang einen Weg fand, einen zwei Jahre zuvor entwickelten Quantenalgorithmus für maschinelles Lernen mit einem gewöhnlichen Rechner zu übertrumpfen. Bei dem Quantenalgorithmus handelte es sich um ein Empfehlungsprogramm, wie es Internetanbieter wie Netflix nutzen, um ihren Kunden auf Grundlage ihrer früheren Entscheidungen neue Vorschläge zu liefern. Der Quantenalgorithmus war exponentiell schneller bei der Erstellung solcher Empfehlungen als jeder bis dahin bekannte klassische Algorithmus.
»Das hat das Ziel einer exponentiellen Quantenbeschleunigung für eine praktische Anwendung in die Ferne gerückt«Scott Aaronson, Informatiker
Doch dann entwickelte die damals 18-jährige Tang, die an der University of Texas in Austin studierte, ein Programm, das fast genauso schnell war, aber auf einem normalen Computer lief. Das war ein herber Schlag: Die Quantenempfehlung war ein seltenes Beispiel für einen Algorithmus, der bei einem praktischen Problem einen erheblichen Geschwindigkeitszuwachs zu bieten schien. »Tangs Arbeit hat das Ziel einer exponentiellen Quantenbeschleunigung für ein praktisches maschinelles Lernproblem noch weiter in die Ferne gerückt«, sagt der Quantencomputerforscher Scott Aaronson, der Tangs Betreuer an der University of Austin war. Tang, jetzt an der University of California in Berkeley, sagt, dass sie weiterhin ziemlich skeptisch sei gegenüber Behauptungen über eine signifikante Quantenbeschleunigung beim maschinellen Lernen.
Der dünnste aller Strohhalme
Ein vielleicht noch größeres Problem ist, dass sich klassische Daten und Quantenberechnungen nicht immer gut vertragen. Grob gesagt, besteht eine typische Berechnung von Quantencomputern aus drei Hauptschritten. Zunächst werden die einzelnen Speichereinheiten, die so genannten Qubits, in einen verschränkten Quantenzustand versetzt. Anschließend führt der Computer eine Reihe von Operationen durch, die das quantenmechanische Analogon zu den logischen Operationen auf klassischen Bits darstellen. Im dritten Schritt liest der Computer das Ergebnis aus, indem er beispielsweise den Zustand eines einzelnen Qubits misst, das Informationen über die durchgeführte Quantenoperation enthält.
Algorithmen für maschinelles Lernen wie der von Harrow, Hassidim und Lloyd versprechen, den zweiten Schritt (die Quantenoperationen) zu beschleunigen. In vielen Anwendungen könnten sich jedoch der erste und der dritte Schritt als extrem langsam erweisen und damit die Vorteile wieder zunichtemachen.
Der erste Initialisierungsschritt erfordert, »klassische« Daten auf den Quantencomputer zu übertragen und sie in einen Quantenzustand umzuwandeln, was oft lange dauert. Da die Quantenphysik von Natur aus probabilistisch ist, enthält der dritte Schritt, das Auslesen, oft ein Element der Zufälligkeit. In diesem Fall muss der Computer alle drei Schritte mehrfach wiederholen und die Ergebnisse mitteln, um eine endgültige Antwort zu liefern.
»Wir hoffen, Korrelationen in den Daten aufzuspüren, die mit klassischen Algorithmen nur sehr schwer zu erkennen wären«Karl Jansen, Physiker
Wenn die Daten endlich in einem endgültigen Quantenzustand sind, könnte es laut dem Quantencomputer-Forscher Nathan Wiebe von der University of Washington außerdem sehr lange dauern, bis schließlich eine Antwort herauskommt. »Wir können die Informationen nur aus den dünnsten Strohhalmen saugen«, sagte Wiebe auf einem Workshop für maschinelles Quantenlernen im Oktober 2023.
»Wenn man Forscher fragt, für welche Anwendungen Quantencomputer gut sein werden, lautet die Antwort fast immer: ›Wahrscheinlich nicht für klassische Daten‹«, sagt Schuld. »Bisher gibt es keinen wirklichen Grund zu glauben, dass klassische Daten Quanteneffekte benötigen.«
Vallecorsa und andere sagen, dass Geschwindigkeit nicht das einzige Kriterium sei, nach dem man einen Quantenalgorithmus beurteilen solle. Es gibt auch Hinweise darauf, dass ein Quanten-KI-System lernen könnte, Muster in den Daten zu erkennen, die den klassischen Gegenstücken entgehen würden. Das könnte daran liegen, dass die Quantenverschränkung Korrelationen zwischen Datenpunkten herstellt, sagt Karl Jansen, Physiker am DESY-Teilchenphysiklabor im brandenburgischen Zeuthen. »Die Hoffnung ist, dass wir Korrelationen in den Daten aufspüren können, die mit klassischen Algorithmen nur sehr schwer zu erkennen wären«, sagt er.
Doch Scott Aaronson ist anderer Meinung. Quantencomputer folgen bekannten physikalischen Gesetzen, so dass ein gewöhnlicher Rechner das Ergebnis eines Quantenalgorithmus vorhersagen kann, wenn er genügend Zeit hat. »Die einzige Frage, die uns interessiert, ist daher, ob der Quantencomputer schneller ist als eine perfekte klassische Simulation«, sagt er.
Grundlegende Veränderung durch Quanten
Allerdings ließe sich die Hürde, klassische Daten erst übersetzen zu müssen, umgehen, indem man maschinelles Quantenlernen auf Daten anwendet, die bereits quantisiert sind.
In der Quantenphysik wird die Messung meist durch ein Instrument definiert, das Teil der makroskopischen, klassischen Welt ist. Es gibt inzwischen jedoch auch andere Deutungen. Manche enthalten die im Entstehen begriffene Technik des so genannten Quantum-Sensing, mit dem sich die quantenmechanischen Eigenschaften eines Systems durch »Quanteninstrumente« messen lassen. Lädt man die Quantenzustände direkt auf die Qubits eines Quantencomputers, ließen sich mit Hilfe von maschinellem Lernen Muster erkennen, ohne dass eine Schnittstelle zu einem klassischen System nötig wäre.
»Unsere Welt ist von Natur aus quantenmechanisch. Eine Quantenmaschine, die lernen kann, könnte viel leistungsfähiger sein«Hsin-Yuan Huang, Physiker
Im Hinblick auf maschinelles Lernen könne das große Vorteile gegenüber Systemen bieten, die Quantenmessungen als klassische Datenpunkte darstellen, sagt der Physiker Hsin-Yuan Huang vom MIT und von Google. »Unsere Welt ist von Natur aus quantenmechanisch. Eine Quantenmaschine, die lernen kann, könnte daher viel leistungsfähiger sein.«
Um das zu belegen, haben Huang und seine Kollegen ein Experiment mit einem Sycamore-Quantencomputer von Google durchgeführt. Einige der Qubits simulierten das Verhalten eines abstrakten Materials. Ein anderer Teil des Prozessors nahm dann Informationen dieser Qubits auf und analysierte sie mit Hilfe von maschinellem Quantenlernen. Die Forscher fanden heraus, dass diese Methode exponentiell schneller ist als eine klassische Messung und Datenanalyse.
Quantensensoren als ideales Anwendungsbeispiel
Die vollständige Erfassung und Analyse von Daten in der Quantenwelt könne es Physikerinnen und Physikern ermöglichen, Fragen anzugehen, die sich mit klassischen Messungen nicht direkt beantworten ließen, sagt Huang. Ein Beispiel dafür ist, ob sich ein Material in einem supraleitenden Zustand befindet – also in der Lage ist, Strom ohne Widerstand zu leiten. Bei klassischen Experimenten können Fachleute die Supraleitung nur indirekt nachweisen, indem sie etwa testen, wie das Material auf Magnetfelder reagiert.
In der Teilchenphysik denkt man darüber nach, Quantensensoren einzusetzen, um Daten von künftigen Teilchenbeschleunigern zu verarbeiten. Ein Beispiel dafür ist LUXE, ein DESY-Experiment, das Elektronen und Photonen aufeinander schießen wird – auch wenn diese Idee noch mindestens ein Jahrzehnt von ihrer Verwirklichung entfernt ist, wie Karl Jansen betont.
Auch astronomische Observatorien, die weit voneinander entfernt sind, könnten Quantensensoren verwenden, um Daten zu sammeln und sie – mit Hilfe eines zukünftigen Quanteninternets – an ein zentrales Labor übertragen, wo ein Quantencomputer sie verarbeiten kann. Die Hoffnung ist, dass das die Aufnahme von Bildern mit beispielloser Schärfe ermöglichen könnte.
»Das maschinelle Quantenlernen ist eine Untersuchung wert«Scott Aaronson, Informatiker
Wenn sich solche Anwendungen der Quantensensorik als erfolgreich erweisen, könnte das maschinelle Quantenlernen eine Rolle bei der Kombination von experimentellen Messungen und der Analyse der daraus resultierenden Quantendaten spielen.
Ob Quantencomputer Vorteile für das maschinelle Lernen bieten, werden letztlich die konkreten Umsetzungen zeigen – und nicht mathematische Beweise. »Wir können nicht erwarten, dass sich alles so beweisen lässt, wie wir es in der theoretischen Informatik tun«, sagt Harrow.
Und Aaronson sagt, er »denke, dass das maschinelle Quantenlernen eine Untersuchung wert ist«, unabhängig davon, ob es am Ende zu einer Effizienzsteigerung komme oder nicht. Maria Schuld stimmt dem zu. »Wir müssen unsere Forschung ohne den Zwang betreiben, eine Beschleunigung nachweisen zu müssen – zumindest für eine Weile.«
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