News: Riecht irgendwie faul
Wie wir Gerüche wahrnehmen, darüber sind sich Wissenschaftler immer noch uneins. Dass sie über eine Außenseiter-Theorie in heftigen Streit geraten, ist eher ungewöhnlich. Ring frei für die nächste Runde.
Luca Turin ist der Kaiser des Geruchssinns. Nicht gerade der unumstrittene, aber dazu später. Turin, ehemals angestellt beim University College London, ist bekannter Parfumsammler mit extrem feinem eigenen Näschen, berät große Duftkomponisten und arbeitet wissenschaftlich als Physiologe. Spezialgebiet – natürlich – Geruch.
Wissenschaftlicher Input tut gerade auf diesem Gebiet durchaus Not: Immer noch ist der Geruchssinn der am wenigsten verstandene aller menschlichen Sinne. Der bislang gängigen Hypothese zufolge enstehen Geruchssignale, sobald Duftstoffmoleküle an Nasenschleimhaut-Rezeptoren binden, die eine der räumlichen Form der Moleküle angepasste Andockstelle aufweisen – ganz analog zum Geschmacksinn. Die gesamte Bandbreite der Geruchsempfindungen ist mit dieser Theorie allerdings noch nicht völlig schlüssig zu erklären, einige Sonderphänomene bislang noch überhaupt nicht.
Kein Wunder, meinte Turin vor nunmehr rund acht Jahren: Die Hypothese sei grundfalsch. Schon 1938 enstand eine nach Turins Ansicht viel stimmigere Geruchssinn-Theorie, die er selbst verfeinerte. Die Nase arbeite als Spektroskop: Die Geruchswahrnehmung hänge an der so genannten "intramolekularen Vibration" der Duftstoffmoleküle. Die tritt etwa auf, wenn die Rezeptoren Elektronen abgeben und damit die internen chemischen Bindungen eines Moleküls zu schwingen beginnen – es entstehen Vibationen, die von Verbindung zu Verbindung charakteristisch sind. Eben daran, so Turin, würden auch im Geruchsorgan Duftstoffe voneinander unterschieden.
Alles in allem eine extreme Außenseitermeinung, für die Turin kaum Unterstützung fand. Die Veröffentlichung seiner Arbeit wurde entsprechend wenig begeistert aufgenommen. Das Fachblatt Nature druckte sie erst gar nicht ab, ein nicht ganz unbekanntes Wissenschaftsjournal dann schließlich doch, allerdings ohne vorherige externe Begutachtung des Inhalts durch unbeteiligte Experten. Viel Aufwind erhielt Turins orginelle Theorie dabei letztlich allerdings nicht, und bald legte sich der Staub in geruchsgelehrten Kreisen.
Eine seiner ehemaligen Studentinnen, mittlerweile Mitarbeiterin der britischen BBC, wirbelte ihn dann allerdings einige Zeit später wieder auf. Warum war die spektakuläre Hypothese ihres alten Lehrmeisters untergegangen, ja geradezu niedergebügelt worden? Entwickelt das nicht einen gewissen Hautgout? Mindestens roch es irgendwie nach einen guten Story. Das dachte sich wohl auch Autor Chandler Burr, der vor zwei Jahren ein Buch aus der Geschichte machte, durchaus nicht ganz frei von obiger Nuancierung, Titel: "The Emperor of Scent". Der Einzelkämpfer Luca Turin war zum Kaiser gekrönt.
Das Buch fand seine Leser, wie jede gute Geschichte. Von journalistischer Seite wurde es sogar nicht selten gelobt – und die Rezensenten hielten sich dabei natürlich durchaus nur an Fakten. War die Veröffentlichung Turins etwa nicht zunächst abgelehnt worden, nach einigem Hin und Her? Kommt es nicht ab und zu vor, dass Macht Meinung unterdrückt? Sind Wissenschaftler nicht gelegentlich selbstherrlich in der Beurteilung ihrer Unfehlbarkeit, und beleidigt, wenn diese angezweifelt wird? Ein lesenswertes Buch, so die sensationshungrige Meinung.
Allerdings, zum Stichwort Fakten: In der ursprünglichen Publikation Turins hapert es daran leider sehr. Dem Autor ging es mehr um die Theorie an sich – den praktischen Beweis, dass interne Vibrationseigenschaften der Moleküle statt ihrer räumlicher Gestalt Basis olfaktorischer Erkennbarkeit durch den Menschen sind und der sich leicht durch ein paar wenige Experimente antreten lasse – den hat er selbst nie angetreten.
Zum Beispiel müsste, wenn seine Theorie stimmt, unser Geruchssinn eindeutig unterscheiden können zwischen räumlich sehr ähnlichen Molekülen, die aber in ihren Vibrationseigenschaften deutlich differieren. Etwa, so schlug Turin selbst vor, zwischen Acetophenon und deuteriertem Acetophenon. Bei letzterem sind Wasserstoffatome durch das etwas schwerere Wasserstoffisotop Deuterium ausgetauscht. Die räumliche Struktur der Moleküle unterscheidet sich deswegen nicht, wohl aber deutlich die interne Vibration – beide Stoffe müssten demnach unterschiedlich riechen. Genauso unterschiedlich übrigens wie aus demselben Grund Aldehyde mit gerader und ungerader Anzahl von Kohlenstoffen. Noch eine aus seiner Hypothese abgeleitete Spekulation Turins: Die Vibrationseigenschaften einer Mischung von rauchig riechendem Guaiacol und Benzaldehyd mit seinem leichten Bittermandelgeruch summierten sich insgesamt auf den Wert der internen Molekülvibration von Vanillin – das Gemisch beider Substanzen müsse demnach geruchlich an Vanille erinnern.
Wollen mal sehen, dachten sich nun Andreas Keller und Leslie Vosshall von der Rockefeller University. Um endlich Fakten zu schaffen, unterzogen sie die Turin-Theorie daher der längst fälligen peniblen Prüfung mit allen Schikanen. Dazu führten sie einem so genannten Doppel-Blindversuch durch, in dem die drei obigen theoretischen Vorhersagen von Turin unbestechlich von Freiwilligen nachvollzogen werden.
Mit eindeutigem Ergebnis: Acetophenon riecht immer gleich, egal ob deuteriert oder nicht. Aldehyde riechen umso ähnlicher, je ähnlicher ihre Kohlenstoff-Kettenlänge ist – unabhängig davon jedenfalls, ob diese geradzahlig ist oder nicht. Und ein Guaiacol-Benzaldehyd-Cocktail erinnert keinen der Probanden irgendwie an Vanillin. Eine ziemliche Schlappe für Turin, alles in allem: Die einzigen bislang veröffentlichten und belegbaren Fakten sprechen nun eindeutig gegen die exotische Vibrationshypothese.
Widerlegt hätten sie die Theorie vielleicht nicht gerade, meint Keller – allerdings auch wirklich keinerlei Beweise für sie gefunden. Und nicht erst seit ihrem Experiment spricht, bei allen zugegeben ungeklärten Ungereimtheiten, eindeutig mehr für die allgemein gängige Hypothese – die Geruchswahrnehmung anhand der Molekülgestalt einzelner Duftstoffe –, als für Turins These der Vibration.
Viel Lärm um nichts, also? Jedenfalls eine dufte Geschichte, bis hierhin. Und womöglich mit Fortsetzung. Lehnen wir uns also zurück und warten auf eine fundierte Gegenrede des Kaisers. Vielleicht, der Satisfaktionsfähigkeit wegen, nicht unbedingt in der Klatschpresse?
Wissenschaftlicher Input tut gerade auf diesem Gebiet durchaus Not: Immer noch ist der Geruchssinn der am wenigsten verstandene aller menschlichen Sinne. Der bislang gängigen Hypothese zufolge enstehen Geruchssignale, sobald Duftstoffmoleküle an Nasenschleimhaut-Rezeptoren binden, die eine der räumlichen Form der Moleküle angepasste Andockstelle aufweisen – ganz analog zum Geschmacksinn. Die gesamte Bandbreite der Geruchsempfindungen ist mit dieser Theorie allerdings noch nicht völlig schlüssig zu erklären, einige Sonderphänomene bislang noch überhaupt nicht.
Kein Wunder, meinte Turin vor nunmehr rund acht Jahren: Die Hypothese sei grundfalsch. Schon 1938 enstand eine nach Turins Ansicht viel stimmigere Geruchssinn-Theorie, die er selbst verfeinerte. Die Nase arbeite als Spektroskop: Die Geruchswahrnehmung hänge an der so genannten "intramolekularen Vibration" der Duftstoffmoleküle. Die tritt etwa auf, wenn die Rezeptoren Elektronen abgeben und damit die internen chemischen Bindungen eines Moleküls zu schwingen beginnen – es entstehen Vibationen, die von Verbindung zu Verbindung charakteristisch sind. Eben daran, so Turin, würden auch im Geruchsorgan Duftstoffe voneinander unterschieden.
Alles in allem eine extreme Außenseitermeinung, für die Turin kaum Unterstützung fand. Die Veröffentlichung seiner Arbeit wurde entsprechend wenig begeistert aufgenommen. Das Fachblatt Nature druckte sie erst gar nicht ab, ein nicht ganz unbekanntes Wissenschaftsjournal dann schließlich doch, allerdings ohne vorherige externe Begutachtung des Inhalts durch unbeteiligte Experten. Viel Aufwind erhielt Turins orginelle Theorie dabei letztlich allerdings nicht, und bald legte sich der Staub in geruchsgelehrten Kreisen.
Eine seiner ehemaligen Studentinnen, mittlerweile Mitarbeiterin der britischen BBC, wirbelte ihn dann allerdings einige Zeit später wieder auf. Warum war die spektakuläre Hypothese ihres alten Lehrmeisters untergegangen, ja geradezu niedergebügelt worden? Entwickelt das nicht einen gewissen Hautgout? Mindestens roch es irgendwie nach einen guten Story. Das dachte sich wohl auch Autor Chandler Burr, der vor zwei Jahren ein Buch aus der Geschichte machte, durchaus nicht ganz frei von obiger Nuancierung, Titel: "The Emperor of Scent". Der Einzelkämpfer Luca Turin war zum Kaiser gekrönt.
Das Buch fand seine Leser, wie jede gute Geschichte. Von journalistischer Seite wurde es sogar nicht selten gelobt – und die Rezensenten hielten sich dabei natürlich durchaus nur an Fakten. War die Veröffentlichung Turins etwa nicht zunächst abgelehnt worden, nach einigem Hin und Her? Kommt es nicht ab und zu vor, dass Macht Meinung unterdrückt? Sind Wissenschaftler nicht gelegentlich selbstherrlich in der Beurteilung ihrer Unfehlbarkeit, und beleidigt, wenn diese angezweifelt wird? Ein lesenswertes Buch, so die sensationshungrige Meinung.
Allerdings, zum Stichwort Fakten: In der ursprünglichen Publikation Turins hapert es daran leider sehr. Dem Autor ging es mehr um die Theorie an sich – den praktischen Beweis, dass interne Vibrationseigenschaften der Moleküle statt ihrer räumlicher Gestalt Basis olfaktorischer Erkennbarkeit durch den Menschen sind und der sich leicht durch ein paar wenige Experimente antreten lasse – den hat er selbst nie angetreten.
Zum Beispiel müsste, wenn seine Theorie stimmt, unser Geruchssinn eindeutig unterscheiden können zwischen räumlich sehr ähnlichen Molekülen, die aber in ihren Vibrationseigenschaften deutlich differieren. Etwa, so schlug Turin selbst vor, zwischen Acetophenon und deuteriertem Acetophenon. Bei letzterem sind Wasserstoffatome durch das etwas schwerere Wasserstoffisotop Deuterium ausgetauscht. Die räumliche Struktur der Moleküle unterscheidet sich deswegen nicht, wohl aber deutlich die interne Vibration – beide Stoffe müssten demnach unterschiedlich riechen. Genauso unterschiedlich übrigens wie aus demselben Grund Aldehyde mit gerader und ungerader Anzahl von Kohlenstoffen. Noch eine aus seiner Hypothese abgeleitete Spekulation Turins: Die Vibrationseigenschaften einer Mischung von rauchig riechendem Guaiacol und Benzaldehyd mit seinem leichten Bittermandelgeruch summierten sich insgesamt auf den Wert der internen Molekülvibration von Vanillin – das Gemisch beider Substanzen müsse demnach geruchlich an Vanille erinnern.
Wollen mal sehen, dachten sich nun Andreas Keller und Leslie Vosshall von der Rockefeller University. Um endlich Fakten zu schaffen, unterzogen sie die Turin-Theorie daher der längst fälligen peniblen Prüfung mit allen Schikanen. Dazu führten sie einem so genannten Doppel-Blindversuch durch, in dem die drei obigen theoretischen Vorhersagen von Turin unbestechlich von Freiwilligen nachvollzogen werden.
Mit eindeutigem Ergebnis: Acetophenon riecht immer gleich, egal ob deuteriert oder nicht. Aldehyde riechen umso ähnlicher, je ähnlicher ihre Kohlenstoff-Kettenlänge ist – unabhängig davon jedenfalls, ob diese geradzahlig ist oder nicht. Und ein Guaiacol-Benzaldehyd-Cocktail erinnert keinen der Probanden irgendwie an Vanillin. Eine ziemliche Schlappe für Turin, alles in allem: Die einzigen bislang veröffentlichten und belegbaren Fakten sprechen nun eindeutig gegen die exotische Vibrationshypothese.
Widerlegt hätten sie die Theorie vielleicht nicht gerade, meint Keller – allerdings auch wirklich keinerlei Beweise für sie gefunden. Und nicht erst seit ihrem Experiment spricht, bei allen zugegeben ungeklärten Ungereimtheiten, eindeutig mehr für die allgemein gängige Hypothese – die Geruchswahrnehmung anhand der Molekülgestalt einzelner Duftstoffe –, als für Turins These der Vibration.
Viel Lärm um nichts, also? Jedenfalls eine dufte Geschichte, bis hierhin. Und womöglich mit Fortsetzung. Lehnen wir uns also zurück und warten auf eine fundierte Gegenrede des Kaisers. Vielleicht, der Satisfaktionsfähigkeit wegen, nicht unbedingt in der Klatschpresse?
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