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Riesenappetit: Wale fressen dreimal mehr am Tag als gedacht

Was ein Bartenwal pro Tag vertilgt, wurde dramatisch unterschätzt. Und damit auch die Rolle, die die Tiere in der Gestaltung ihres Ökosystems spielten und wieder spielen können.
Fressender Buckelwal

Wale fressen rund dreimal mehr als bislang geschätzt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Wissenschaftlerteam um Matthew Savoca von der Stanford University. Ein ausgewachsener Blauwal verschlingt demnach rund 16 Tonnen Krill pro Tag, ein Nordatlantischer Glattwal täglich etwa fünf Tonnen kleines Zooplankton und ein Grönlandwal etwa sechs Tonnen. Das berichten Savoca und Kollegen in der Fachzeitschrift »Nature«.

Der gewaltige Appetit der Meeressäuger hat Folgen für das Ökosystem, in dem sie leben: Weil sie über ihre Fäkalien das oberflächennahe Wasser düngen, schaffen sie überhaupt erst die Bedingungen, in denen sie ausreichend Nahrung finden. Insbesondere die mangelnde Verfügbarkeit von Eisen begrenzt die Produktivität der marinen Ökosysteme. Die Wale scheiden dagegen das aufgenommene Eisen an der Wasseroberfläche wieder aus und verhindern so, dass es in die Tiefsee absinkt. Auf diese Weise recyceln sie den Nährstoff.

Bislang hatte die Forschung den Nahrungsbedarf der Bartenwale durch indirekte Methoden abgeschätzt, etwa durch Analysen des Mageninhalts. Savoca und sein Team versahen nun in den Jahren 2010 bis 2019 insgesamt 321 Wale mit Messgeräten. Die Sender gaben ihnen Aufschluss nicht nur über den Aufenthaltsort der Tiere, sondern auch über deren Schwimm- und Fressbewegungen, Kameras lieferten Bilder der Umgebung. Immer wieder rückten die Walforscherinnen und -forscher in kleinen Booten aus, um die Stellen aufzusuchen, an denen ihre besenderten Tiere soeben gefressen hatten. Dort bestimmten sie dann, wie viel Krill und Kleinstlebewesen in einem Kubikmeter Wasser vorhanden waren. Aus der Kombination aller Daten errechneten die Wissenschaftler schließlich, wie viel Tonnen Nahrung die Wale tatsächlich aufnehmen.

© Ryan Lavery (Smithsonian)
»Fäkalvulkan« eines Finnwals: Dünger in Masse

Dank ihrer Ergebnisse seien bisherige Schätzungen über den Einfluss der Meeressäuger auf die Umwelt veraltet. So wurde 2008 kalkuliert, dass die Wale, die entlang der nordamerikanischen Pazifikküste leben, rund zwei Millionen Tonnen Fisch, Krill, Zooplankton und Tintenfische pro Jahr konsumieren. Im Licht der neuen Daten errechnet sich ein anderer Wert: Demnach benötigt allein jede der drei Populationen von Blau-, Finn- und Buckelwalen schon für sich genommen zwei Millionen Tonnen pro Jahr.

Die Ergebnisse lassen auch weit reichende Rückschlüsse auf die Verhältnisse in den Ozeanen vor dem Aufkommen des industriellen Walfangs im 20 Jahrhundert zu. Anhand der historisch überlieferten Bestandsdaten für Wale im Südpolarmeer lässt sich hochrechnen, dass Mink-, Buckel-, Blau- und Finnwale dort rund 430 Millionen Tonnen Krill pro Jahr fraßen. Das entspricht etwa dem Doppelten der Gesamtmenge an Krill, die derzeit dort auftritt. Dieses immense Krillaufkommen von damals führen die Wissenschaftler auf die Rolle der Wale als Nährstoffrecycler zurück, die seinerzeit zehnmal so viel Eisen ins Wasser abgaben wie heute: rund 12 000 Tonnen. Als sie abgeschossen wurden, fehlte auch ihrer Beute, dem Krill, die Lebensgrundlage.

Das Ökosystem im Meer fungiert als äußerst wichtige Kohlenstoffsenke: Absterbendes Plankton und andere Kleinstlebewesen sinken in die Tiefsee, wo der Kohlenstoff, den sie an der Wasseroberfläche beim Wachstum aufgenommen haben, eingeschlossen wird. Je produktiver das Ökosystem, desto mehr Kohlenstoff wird der Atmosphäre entzogen. Sollten sich die Walpopulationen erholen, könnten sie die Produktivität ihrer Gewässer um rund elf Prozent steigern und zusätzlich rund 215 Millionen Tonnen Kohlenstoff binden, rechnen die Wissenschaftler vor.

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