Seuchen: Riskante Impfstoffwette gegen Ebola
Ebola effektiv zu bekämpfen, ist eigentlich nicht so schwer – den Erreger zu isolieren und weitere Infektionswege abzuschneiden, hat bei vergangenen Ausbrüchen sehr gut funktioniert. Nun aber ist die neueste Ebolaepidemie in Westafrika außer Kontrolle geraten, und als Retter in der Not setzen Weltgesundheitsorganisation und internationale Experten nun auf experimentelle Impfstoffe und Therapien, von denen keiner weiß, ob sie funktionieren – ein Glücksspiel mit hohem Einsatz.
In der gegenwärtigen Situation ist die Suche nach einem Heilmittel oder einem Impfstoff natürlich dringlicher denn je, und glücklicherweise gibt es gleich mehrere aussichtsreiche Kandidaten, die in den letzten Jahren erforscht wurden. Man darf aber nicht vergessen, dass Medikamentenentwicklung traditionell ein hartes Brot ist – laut einer Studie von 2014 werden nur etwa 10 bis 20 Prozent aller Neuentwicklungen, die klinische Tests durchlaufen, letztendlich auch zugelassen. Dass dies meistens nicht passiert, hat auch andere Gründe – etwa dass Wirkstoffe unwirksam oder unsicher sind. Aber nur weil ein Medikament (wie einer der Impfstoffe) es zur Phase I der klinischen Tests geschafft hat, muss es nicht unbedingt wirken wie erhofft.
Und selbst optimistische Experten geben zu, dass sie keineswegs sicher sind, ob man unter den aktuellen Bedingungen im Epidemiegebiet überhaupt brauchbare Daten aus solchen Feldexperimenten bekommt. Das wird alles andere als einfach in einer Situation, in der nicht einmal alle Kranken behandelt oder auch nur in ein Krankenhausbett gelegt werden können. Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass derzeit nicht einmal klar ist, welcher Anteil der Infizierten tatsächlich an der Krankheit stirbt und wie viele überleben. Unter diesen Bedingungen sind die Versuche mit den experimentellen Medikamenten eine riskante Wette auf verwertbare Ergebnisse.
Vor diesem Hintergrund muss man sich klarmachen, dass es am Ende ebenso katastrophal für diese Strategie wäre, mit unzulänglichen Daten dazustehen, als wenn sich alle Medikamente als unwirksam erwiesen. In beiden Fällen hätte man keine erfolgreiche Behandlung zur Hand, mit der man die Seuche großflächig eindämmen kann – das nämlich wird der experimentelle Einsatz der neuen Medikamente nicht leisten. Dafür braucht man eine Bekämpfungsstrategie, basierend auf den Eigenschaften und Grenzen des eingesetzten Wirkstoffs.
Im Grunde macht die Weltgesundheitsorganisation hier den zweiten Schritt vor dem ersten. Bevor die Seuche in irgendeiner Weise systematisch bekämpft werden kann – sei es mit konventionellen Methoden oder einem neuen Impfstoff –, müssen dafür erst einmal die Voraussetzungen geschaffen werden. Kein Heilmittel der Welt wird Ebola eindämmen, wenn, wie die WHO aus Monrovia berichtete, Infizierte auf der Suche nach freien Klinikbetten durch die Städte irren und, überall abgewiesen, dann zu Hause ihre Angehörigen anstecken. Oder wenn die Ärzte, die jetzt in großem Stil Daten über experimentelle Therapien sammeln sollen, sich aus Mangel an Gummihandschuhen selbst anstecken.
Die Priorität bei der Ebolabekämpfung muss deswegen sein, diese Missstände zu beheben und die Gesundheitssysteme der betreffenden Länder überhaupt erst einmal in die Lage zu versetzen, etwas anderes zu leisten als Notversorgung im Krisenmodus. Das steht keineswegs im Gegensatz zu Suche nach neuen Medikamenten – im Gegenteil, je besser die Infrastruktur vor Ort ist, desto besser sind die Aussichten auf aussagekräftige Ergebnisse bei den geplanten Tests.
Um aber die Situation vor Ort nennenswert zu verbessern, wäre jetzt ein internationaler Kraftakt nötig, um die nötigen Mengen Material und nicht zuletzt medizinisches Personal in den betroffenen Regionen einzusetzen. Derzeit deutet jedoch nichts darauf hin, dass die Weltgemeinschaft zu einer derart entschlossenen Reaktion auf die Ebolaepidemie bereit wäre. Alle Hoffnungen ruhen nun auf einer Hand voll ungeprüfter Substanzen – und einen Plan B scheint es nicht zu geben.
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