News: Ritt auf der Feuerkugel
Ein Beispiel hierfür ist eine im Jahr 2000 gefundene Gattung, die an untermeerischen heißen Quellen lebt. Ihre Vorliebe für extreme Temperaturen brachte ihr den Namen Ignicoccus ("Feuerkugel") ein. Harald Huber von der Universität Regensburg entdeckte die Organismen in 120 Meter Tiefe auf dem Kolbeinsey-Rücken, einem Vulkangebiet nördlich von Island.
Als sich Huber zusammen mit seinen Kollegen die "Feuerkugeln" noch einmal näher anschaute, glaubten die Wissenschaftler zunächst, ihren Augen nicht zu trauen: Die mikroskopischen Bilder offenbarten winzige kugelförmige Strukturen, die auf den Ignicoccus-Zellen saßen. Anfärbeexperimente zeigten, dass die Kügelchen, die mit einem Durchmesser von 400 Nanometer nur wenig größer als ein Pockenvirus waren, DNA enthielten. Die Vermutung lag also nahe, dass hier eine bisher unbekannte Archaea-Art vorlag. Da die winzigen Bakterien auf den Ignicoccus-Zellen "reiten", nannten die Wissenschaftler die neue Art Nanoarchaeum equitans (nannos, griech.: Zwerg; archaios, griech.: alt; equtitare, lat.: reiten).
Weitere Tests, mit denen die Wissenschaftler eine für Archaea typische ribosomale RNA (rRNA) nachweisen wollten, schlugen allerdings fehl: Sie fanden zunächst nur rRNA von Ignicoccus. "Wir konnten es nicht glauben", erzählt Arbeitsgruppenleiter Karl Stetter. "Wir waren nicht sicher, ob wir ein Virus oder einen lebenden Organismus vor uns hatten."
Doch schließlich gelang es, auch aus den rätselhaften Kugeln rRNA zu gewinnen und zu analysieren. Sie unterschied sich vollkommen von den rRNA-Sequenzen, welche die Wissenschaftler von den bisher bekannten Archaea-Stämmen Crenarchaeota, Euryarchaeota oder Korarchaeota kennen. Daher gehen die Wissenschaftler davon aus, dass Nanoarchaeum equitans gleich einen neuen, bisher unbekannten Stamm der Archaea repräsentiert, den sie "Nanoarchaeota" nennen wollen.
Interessant ist das neue Wesen nicht nur aufgrund seiner Winzigkeit. Mit seinen nur 500 000 Basenpaaren gehört sein Erbgut zu den kleinsten aller bisher bekannten Genomen und nähert sich dem theoretischen genetischen Minimalprogramm, über das eine lebende Zelle verfügen muss.
Interessant sind auch die ökologischen Ansprüche des Winzlings – decken sie sich doch mit den Umweltbedingungen, die auf der noch jungen Erde vor fast vier Milliarden Jahren herrschten. Ob Nanoarchaeum equitans wirklich ein "lebendes Fossil" aus der Zeit ist, als das Leben auf der Erde begann, können die Forscher noch nicht sicher beantwortet, da die Züchtung einer Reinkultur bisher misslang. Nur wenn es auf seiner "Feuerkugel" Ignicoccus reitet, scheint sich der urtümliche Zwerg wohl zu fühlen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.