Römisches London: Ein Bett im Gräberfeld
Die Einzelteile sorgfältig auseinandergenommen und aufeinandergestapelt, genau wie bei einem Bettgestell aus dem Möbelmarkt zum Selbstbauen: So beschreibt Michael Marshall, Archäologe vom MOLA (Museum of London Archaeology), den Fund auf einem römischen Friedhof des 1. Jahrhunderts mitten in der britischen Hauptstadt. Offenbar wurde hier einem Mann Ende 20, Anfang 30, vermutlich ein hochrangiges Mitglied der damaligen Gesellschaft, ein Bett ins Grab mitgegeben.
Betten in das Bestattungsritual einzubeziehen, etwa den Toten darauf zu seiner letzten Ruhestätte zu tragen, sei für die römische Antike vielfach belegt, erklärt die gemeinnützige private Forschungseinrichtung in einer Pressemitteilung. Dass sich dann aber auch tatsächlich ein Bett im Grab finden lasse, habe großen Seltenheitswert. Im Fall der Ausgrabung im Londoner Westen sei dies den exzellenten Erhaltungsbedingungen zu verdanken. Das Areal befindet sich im Einzugsbereich des ehemaligen Flusses Fleet, der heute unterirdisch verläuft. Er hielt das Erdreich durchgehend feucht, so dass auch hölzerne Objekte vor dem Verfall bewahrt wurden.
Das Bett ist laut MOLA aus hochwertigem Eichenholz gefertigt. Es hat geschnitzte Füße, seine Einzelteile lassen sich ineinanderstecken und mit Holzdübeln arretieren. Nichts, was jemand einfach irgendwie zusammengeschustert hätte, sondern »echte Tischlerarbeit« und eines der schickeren Möbelstücke aus dem römischen Britannien, beschreibt Marshall im britischen »Guardian« den Fund.
Auf gleiche Weise erhielten sich im wassergesättigten Boden außerdem fünf Särge aus Eichenholz, wie MOLA mitteilte. Auch sie eine Seltenheit: Bislang kenne man aus dem römischen London lediglich zwei weitere. Bei den Ausgrabungen kamen neben Skelettresten der Bestatteten vereinzelt noch weitere persönliche Gegenstände zum Vorschein, etwa ein Öllämpchen, das einen besiegten Gladiator zeigt, sowie eine gläserne Phiole mit Resten des einstigen Inhalts.
Die Abbildung des Gladiators sei »irgendwie eine wunderbare Sache«, erklärte Marshall gegenüber dem »Guardian«. Ähnliche Bilder wurden bereits bei Bestattungen in London und Colchester gefunden. Die Symbolik passe in den Bestattungskontext: »Ein besiegter Gladiator ist natürlich jemand, der im Sterben liegt – aber auch jemand, der gegen den Tod kämpft.«
Die Bestattungen, die von den Fachleuten in die frühe Phase der römischen Besiedlung Britanniens auf die Jahre zwischen 43 und 80 n.Chr. datiert werden, befinden sich rund sechs Meter unter der heutigen Oberfläche. Zu Zeiten von Londinium, wie die römische Stadt an der Themse hieß, lag der Friedhof römischem Brauch gemäß noch knapp 200 Meter außerhalb der Mauern der Stadt. Heutzutage befindet sich hier der Holborn-Viadukt, eine Straßenüberführung aus viktorianischer Zeit.
Von einem »Schnitt quer durch die Geschichte Londons« sprechen die Ausgräber in ihrer Mitteilung. Oberhalb der römischen Schicht hatten sie unter anderem Kalkfußböden und mit Holz ausgekleidete Brunnen gefunden, bei denen es sich vermutlich um die Überreste einer Gerberei aus dem 13. Jahrhundert handelt. Auch eine große Wasserleitung aus dem 15. oder 16. Jahrhundert kam demnach zum Vorschein, mit der ursprünglich wohl Wasser zu den Schiffen auf dem River Fleet gepumpt wurde. Außerdem dürfte es hier im 16. Jahrhundert einen weiteren Friedhof gegeben haben, von dem man annimmt, dass er mit der nahe gelegenen St Sepulchre Church in Verbindung steht.
Nachdem der Große Brand von London im Jahr 1666 Verwüstungen angerichtet hatte, wurde das Gelände durch den Bau von Häusern, Geschäften und einem Pub neu belebt. Diese wurden schließlich durch viktorianische Lagerhäuser ersetzt. Nun sollen hier die Räume einer international tätigen Anwaltskanzlei entstehen. Die dazu notwendigen Bauarbeiten hatten die archäologische Untersuchung ausgelöst.
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