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Lithium aus Portugal: Unsere Energiewende, ihr Problem

In einem kleinen Dorf in Portugal protestieren die Anwohner gegen eine geplante Lithiummine. Der Abbau des begehrten Metalls soll die lokale Wirtschaft ankurbeln und Europas Energiewende vorantreiben.
Eine Luftaufnahme zeigt eine Waldlandschaft, in deren Mitte eine Mine ausgebaggert wird.
In der Nähe des kleinen portugiesischen Dorfes Covas do Barroso soll künftig Lithium abgebaut werden. Projekte wie dieses könnten künftig in ländlichen Gegenden in ganz Europa zum Thema werden.

Mitten auf dem Hauptplatz des kleinen Dorfes Covas do Barroso im Norden Portugals sind gegenüber der Kirche zahlreiche Banner gespannt. Sie tragen die Aufschrift »Não à mina, sim à vida«: Nein zur Mine, Ja zum Leben. Am selben Platz hat die britische Firma Savannah Resources ein kleines Informationsbüro für die lokale Bevölkerung eingerichtet. Auch dieses ist beklebt mit Sprüchen gegen den Bergbau. Seit mehr als fünf Jahren schwelt in dem Dorf ein Konflikt. Doch seit die portugiesische Umweltbehörde APA Ende Mai 2023 die Umweltverträglichkeitsprüfung für eine geplante örtliche Lithiummine abgesegnet hat, ist die Stimmung besonders aufgeheizt.

Knapp 400 Meter Luftlinie vom Ortskern von Covas do Barroso entfernt entsteht die größte Lithiummine Europas. Genug Lithium für 500 000 Autobatterien soll hier in Zukunft abgebaut werden. Auf einem eingezäunten Gebiet von etwa 25 Hektar haben die Arbeiten für einen ersten Tagebau bereits begonnen. Das dafür notwendige Land hat die Firma von Privatpersonen erworben. Dennoch beklagen Anwohner, dass das Unternehmen immer wieder Vorstöße auf Gemeindeland unternimmt. Innerhalb von Stunden werde dann plötzlich Wald gerodet und Land umgegraben. Die Dorfgemeinschaft hat dagegen bereits eine Klage beim regionalen Gericht eingereicht. Bis eine Entscheidung vorliegt, organisieren sich die Anwohner selbst. Seit Anfang November 2023 stellt die Gemeinschaft durchgängig Wachen für bestimmte Waldabschnitte. Jeden Tag schickt der Minenbetreiber einen Bagger, jeden Tag kommt die Polizei, um die Personalien aller Beteiligten aufzunehmen.

Kirche in Covas do Barroso | Auf dem Hauptplatz in dem portugiesischen Dorf Covas do Barroso protestieren Anwohnende gegen die geplante Lithiummine.

Auf dem gemeinschaftlich bewirtschafteten Land, auf dem künftig Lithium abgebaut werden soll, halten die Menschen Kühe und Schafe, züchten Bienen, gehen auf die Jagd und schlagen Holz zum Heizen. Manche Produkte werden auf den nahe gelegenen Märkten verkauft, doch im Grunde handelt es sich dabei bis heute praktisch um eine ländliche Subsistenzwirtschaft: Ein Großteil der Produktion dient der Selbstversorgung, die Menschen produzieren wenige Überschüsse und konsumieren verglichen mit anderen Regionen des Landes sehr wenig. Diese ökologische und soziale Praxis ist in Europa so einzigartig, dass die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sie 2018 als ein bedeutendes System des landwirtschaftlichen Erbes anerkannte.

Nach rein ökonomischen Indikatoren ist Covas do Barroso jedoch der Inbegriff einer peripheren und strukturschwachen Gemeinde: keine Industrie, wenig Wachstum, eine stagnierende Bevölkerung. All das soll sich nun ändern. In der Hauptstadt Lissabon, in Covas do Barroso gerne auch als das »Imperium« bezeichnet, sieht man neue Wachstumspotenziale für die Region. Neben mehreren Lithiumminen soll dort eine Lithiumraffinerie angesiedelt werden, um einen Teil der Wertschöpfung in Portugal zu halten und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Pläne Lissabons sind eingebettet in die Bemühungen der Europäischen Union, eine europäische Batterieindustrie aufzubauen. Um vom Markt für Elektrofahrzeuge zu profitieren, brachte die EU dazu bereits 2017 die European Battery Alliance auf den Weg, unterstützt von der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank. Im September 2020 wurde zudem die European Raw Materials Alliance ins Leben gerufen. Im selben Monat rückte Lithium in die europäische Liste der kritischen Rohstoffe vor. Als kritisch gilt ein Rohstoff, wenn ein hohes Risiko besteht, dass die Versorgung unterbrochen wird – etwa, weil die Vorkommen sich auf wenige Gegenden konzentrieren oder weil es an Ersatzstoffen mangelt. Als besonders leichtes Element mit hoher Speicherkapazität ist Lithium zu einem zentralen Baustein in heutigen Akkus geworden. Viele Branchen benötigen Lithium-Ionen-Batterien, doch hauptsächlich treibt die Automobilindustrie die wachsende Nachfrage an.

Schafe in Covas do Barroso | Ein Teil des Landes, auf dem das Lithium gefördert werden soll, ist Gemeindeland. Die Menschen bewirtschaften es gemeinschaftlich. Daher bedroht die Mine unmittelbar ihre Lebensgrundlage.

Das 21. Jahrhundert gilt als das Zeitalter der Metalle. Die Elektromobilität, aber auch Windräder, Solaranlagen, neue Stromtrassen und Batteriespeicher – alles Bausteine der Energiewende – benötigen Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt, seltene Erden und Lithium in großen Mengen. Die Europäische Kommission erwartet, dass sich die Nachfrage nach Lithium bis 2050 um das 60-Fache erhöht. Laut der Weltbank stammen 80 Prozent der europäischen Lithiumimporte derzeit aus Chile. Aber selbst bei der Weiterverarbeitung ist die EU massiv von Dritten abhängig: Nur ein Teil der in der EU produzierten Batteriezellen stammen tatsächlich von europäischen Firmen, der Großteil liegt in der Hand asiatischer Unternehmen. So produziert zum Beispiel Panasonic in Belgien und Polen, Samsung in Ungarn und LG in Polen und Deutschland. Sechs der zehn größten Batteriehersteller wiederum sind in China versammelt und produzieren dort 76 Prozent aller Batteriezellen weltweit. Das funktioniert, weil China die gesamte Lieferkette vom Abbau bis zum fertigen Elektroauto kontrolliert, indem es Anteile an entsprechenden Firmen überall auf der Welt hält – beispielsweise an Bergbaufirmen in Argentinien, Chile oder dem Kongo.

Die einseitigen europäischen Rohstoff- und Energieabhängigkeiten waren auch vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine kein Geheimnis. Mit der Energiekrise und der Angst vor wachsenden geopolitischen Spannungen – und damit verbundenen Lieferengpässen – bemüht sich die EU aber zunehmend, eigene Wertschöpfungsketten aufzubauen. So will sie 2024 den Critical Raw Materials Act (CRMA) verabschieden. Dem Vorschlag zufolge soll die EU bis 2030 bei 16 »strategischen Rohstoffen« 10 Prozent ihres Jahresbedarfs selbst gewinnen, 15 Prozent recyceln und 40 Prozent verarbeiten. Gleichzeitig sollen wichtige Rohstoffprojekte in der EU einfacher genehmigt werden, strategische Projekte will man bei der Finanzierung unterstützen. So soll das Gesetz Versorgungsrisiken entgegenwirken und die Länder vor allem von China weniger abhängig machen, so dass die EU gegenüber den USA und China konkurrenzfähig wird. Da sich die europäischen Länder jedoch auch im günstigsten Fall nicht selbst mit diesen Rohstoffen versorgen können, werden zusätzlich Rohstoff- und Energiepartnerschaften mit Drittländern geschlossen. Zuletzt unterzeichnete die EU eine solche Partnerschaft im Juni 2023 mit Chile als Europas wichtigstem Lithiumlieferanten.

Sperrgebiet in Covas do Barroso | Einen Teil des Landes, auf dem die Mine entstehen soll, hat die Bergbaufirma von Privatpersonen erworben. Wie Anwohner berichten, stoßen die Bagger jedoch regelmäßig auf Gemeindeland vor.

Während der Run auf Lithium und andere kritische Rohstoffe längst viele Länder im globalen Süden erreicht hat, werden nun auch zahlreiche neue Bergbauprojekte in den reichen Ländern des Nordens angekündigt. Der Fall Covas do Barroso, plötzlich im Zentrum geopolitischer Debatten und der europäischen Rohstoffstrategie, veranschaulicht damit beispielhaft, was in den kommenden Jahren auf ländliche Regionen überall in Europa zukommen wird. Sei es der Lithiumbergbau im Norden Portugals, in der spanischen Extremadura oder im österreichischen Kärnten, die Wiedereröffnung einer längst verlassenen Kobaltmine in den piemontesischen Alpen Norditaliens oder der Abbau von seltenen Erden in Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens und Heimat der Sámi, der einzigen indigenen Gemeinschaft Europas: An vielen Orten geraten Bevölkerungsgruppen im ländlichen Raum unter Druck.

Die Menschen in Covas do Barroso verweisen deshalb auch auf den Symbolcharakter der Mine. In der Region sind zahlreiche neue Lithiumminen geplant, doch das Projekt in Covas do Barroso ist weit fortgeschritten und gilt als besonders aussichtsreich. »Es ist wichtig, dieses Projekt aufzuhalten, denn für alle anderen wird es anschließend noch leichter werden«, sagt deshalb Aida Fernandes, Präsidentin der lokalen Gemeinschaft von Covas do Barroso. Ihr Widerstand habe nichts mit »Nimbyism« (not in my backyard) zu tun, bei dem lokale Gruppen nur dann Widerstände gegen ein Projekt bilden, wenn es sie direkt betrifft. Vielmehr stellt sie eine wachstums- und konsumorientierte Lösung für die Klimakrise generell in Frage und fordert stattdessen eine radikal andere Wirtschaftsstrategie. Die angestrebte »grüne Wende« steht für sie im Widerspruch zu der geplanten Rohstoffförderung: »Wieso zerstört man für eine grüne Wende ein funktionierendes ökologisches und soziales Ökosystem?«, fragt sie. Gleichzeitig betont sie, dass es sich bei alledem um ihre Lebensgrundlagen handelt. »Wir leben von dem Gemeindeland und wissen nicht, was wir noch tun sollen, um die Mine aufzuhalten. Wo sollen wir denn hingehen?«

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