Out of India : Gene zeichnen Geschichte der Roma nach
Die Wanderwege der Roma – der zahlenmäßig bedeutendsten paneuropäischen ethnischen Minderheit – begannen auf dem indischen Subkontinent, wie Forscher auf der Basis genetischer und linguistischer Untersuchungen schon vermuteten. Nun bestätigen exakte Analysen des Erbguts, dass die Gründerpopulation der Roma vor eineinhalb Jahrtausenden aus Nordindien gen Europa aufbrach. Nach einer Zwischenstation gelangten ihre Nachkommen dann nach und nach über zwei Hauptrouten in alle Teile des Kontinents – unterwegs mischten sie ihre Gene und Sprache je nach Ort, Epoche und Aufenthaltsdauer sehr unterschiedlich stark mit der ansässigen Bevölkerung. Dies trug wohl zu der großen genetischen und sozialen Vielfalt bei, die die europäischen Roma trotz ihrer noch recht jungen gemeinsamen Ahnengruppe heute zeigen.
Das aktuelle Szenario der Romamigration entwickelte ein internationales Team von Erbgutanalysten um Manfred Kayser von der Erasmus Universität in Rotterdam, nachdem sie die Gene von 152 europäischen Roma aus 13 Ländern sowie historische Aufzeichnungen ausgewertet haben. Sie ergaben zunächst, dass die Gruppe der bulgarischen Roma – die in schriftlichen Quellen im frühen 14. Jahrhundert erstmals erwähnt wurden – wohl die älteste europäische Population darstellt: sie ähneln genetisch noch am stärksten Volksgruppen, die heute im indischen Rajasthan und Kaschmir leben.
Über den Balkan nach Süd- und Nordnordwest
Der Analysen zufolge wanderten die nordindischen Proto-Roma vor rund 1500 Jahren gen Westen aus. Anfangs schrumpfte die Gründerpopulation offenbar rasch: Die Roma-Pioniere mussten einen "genetischen Flaschenhals" passieren und wanderten in den nächsten Jahrhunderten durch Zentralasien, den Kaukasus und Mittleren Osten. Dabei vermischten sie sich nur wenig mit der einheimischen Bevölkerung, übernahmen allerdings Teile der Sprache und Kultur. Etwa im 11. Jahrhundert begannen die Roma wohl auf dem Balkan zu siedeln. Von dort teilten sie sich in zwei Hauptgruppen: Einen westlichen Zweig, der sich über die iberische Halbinsel ausbreitete, und eine östliche Verwandtschaftsgruppe, die aus dem Balkan heraus langsam nach Mitteleuropa vordrang.
Diese beiden Gruppen haben sich dann allerdings recht unterschiedlich entwickelt, lesen die Wissenschaftler aus den Gendaten: Auf ihrem Weg durch Westeuropa haben sich die Roma häufig auch mit anderen Europäern vermischt, während die Balkan-Roma in den vergangenen Jahrhunderten eher unter sich blieben. Wenn hier doch Mischehen nicht selten vorkamen, so blieben deren Nachkommen zumindest nicht innerhalb der Roma-Gemeinschaft; ihr genetisches Erbe wäre daher in den Erbgutproben nicht erfasst. Heute scheint sich der Ost-West-Trend übrigens geradezu umzukehren, wie die Forscher vorsichtig aus analytischen Indizien ableiten: In jüngster Zeit mischen sich die östlichen Romafamilien aus Rumänien, Ungarn, Kroation oder Bulgarien eher häufiger mit Nicht-Roma, während ihre durch Westeuropa gewanderte Verwandtschaft zunehmend unter sich heiratet.
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