Elfenbein für Europa: Rotteten die Wikinger das isländische Walross aus?
Wann immer Menschen Neuland betraten, sei es eine zuvor unbewohnte polynesische Insel, sei es der unbevölkerte amerikanische Kontinent – immer verschwanden kurz darauf bestimmte Tierarten aus dem Ökosystem. Mutmaßlich weil sie durch die Jagd der Neuankömmlinge entweder ganz ausgerottet oder so weit geschwächt wurden, dass ihnen Umweltveränderungen den Rest gaben. Dass dieses Schicksal auch Meeresbewohnern drohte, zeigt eine Studie über Walrosse aus dem wikingerzeitlichen Island.
Wie Morten Olsen von der Universität Kopenhagen und Kollegen herausfanden, brachten die Nordmänner, die ab dem Jahr 870 die Insel besiedelten, das dort seit Jahrtausenden heimische Walross vermutlich zum Aussterben. Spätestens Anfang des 14. Jahrhunderts dürften die letzten Exemplare verschwunden sein. Ab diesem Zeitpunkt finden sich jedenfalls keine weiteren Hinweise auf ihre Existenz.
Um dem Schicksal der Walrosse auf die Spur zu kommen, datierten die Wissenschaftler insgesamt 34 historische Skelettproben und bestimmten mit Hilfe so genannter mitochondrialer DNA die Populationszugehörigkeit der Tiere. Dabei zeigte der Vergleich mit den Genen heute lebender Walrosse, dass die Insel im hohen Norden Heimat einer eigenen Untergruppe des Atlantischen Walrosses war. Weil sich keinerlei genetische Spuren dieser Untergruppe in den noch lebenden Artgenossen zeigen, gehen die Forscher davon aus, dass die isländischen Walrosse nicht vor den Menschen flohen – zum Beispiel an die Ostküste Grönlands. Stattdessen scheinen sie an Ort und Stelle ausgerottet worden zu sein. Den geschwächten Populationen könnten dann zusätzlich die zahlreichen Vulkanausbrüche sowie eine leichte Klimaerwärmung zugesetzt haben, vermuten die Wissenschaftler.
Ein Walrosszahn für den Erzbischof
Isländische Sagas und einige Ortsnamen vor allem im Westen der Insel bezeugen die Anwesenheit der Kolosse. Die Jagd auf die Meeressäuger, die laut zeitgenössischen Berichten keinerlei Angst vor dem Menschen hatten, lieferte Fleisch, Haut und Blubber, vor allem aber das Elfenbein aus den Stoßzähnen. Die begehrte Ressource wurde in Kontinentaleuropa zu allerhand Schmuckgegenständen verarbeitet.
In der Saga von Hrafn Sveinbjarnarson findet sich die älteste und detaillierteste Schilderung einer Walrossjagd. Darin wird erzählt, wie ein verwundetes Walross ins offene Meer flüchtete, dann aber mit Hilfe des Häuptlings Hrafn doch noch erlegt wird. Anschließend segelt der Isländer nach Canterbury, um Schädel und Stoßzähne des Tiers dem kurz zuvor ermordeten Erzbischof Thomas Becket (1118-1170) zu vermachen. Der Bericht zeige, welcher Wert den Walrossen in der Wikingerzeit beigemessen wurde, schreiben die Forscher in ihrem Fachartikel in »Molecular Biology and Evolution«.
Obwohl die Jagd allem Anschein nach in der Ausrottung der Walrosse endete, steuerten die Isländer laut Olsen und Kollegen nur einen kleinen Anteil des in Europa kursierenden Walrosselfenbeins bei. Das Gros stammte aus Jagdgründen weiter westlich: Die kleine Gruppe grönländischer Nordmänner hatte sich ab Mitte des 12. Jahrhunderts auf die Walrossjagd spezialisiert; der äußerst lukrative Handel war nach Meinung von Experten ein Hauptgrund dafür, dass sie sich überhaupt für das harte Leben in der eisigen Einöde entschieden.
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