RS-Virus: Rückschlag bei mRNA-Impfstoffen für Säuglinge

Weltweit erkranken jährlich schätzungsweise drei Millionen Kinder unter fünf Jahren so schwer an einer Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus), dass sie ins Krankenhaus müssen. Etwa 50 000 bis 100 000 kleine Kinder sterben daran. Zwar gibt es bereits die Möglichkeit, Neugeborene durch eine passive Immunisierung zu schützen, eine aktive Impfung hätte ihr gegenüber jedoch einige Vorteile. Die Entwicklung entprechender Vakzine für Säuglinge gestaltet sich jedoch als herausfordend.
Die Firma Moderna hatte eine Studie zu zwei mRNA-Impfstoffen gegen das RS-Virus bei Babys im Juli 2024 gestoppt, im Dezember kam das endgültige Aus durch die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA: In einer klinischen Phase-I-Studie, die die Sicherheit und Verträglichkeit für Kinder im Alter von fünf bis acht Monaten testen sollte, war es zu bedenklichen Sicherheitssignalen gekommen. 5 von 40 Kindern (12,5 Prozent), die den Impfstoff erhalten hatten, waren schwer oder sehr schwer an einer RSV-Infektion erkrankt, in der Placebogruppe dagegen nur eines von 20 Kindern (5 Prozent).
Als Folge verhängte die FDA einen Aufnahmestopp für Kinder unter zwei Jahren für klinische Studien mit RSV-Vakzinen, die nicht zur Gruppe der Lebendimpfstoffe gehören. »Der Studienstopp ist ein Zeichen dafür, dass die routinemäßig durchgeführte, phasenweise Testung von Impfstoffen unbedingt notwendig ist und diese eingebaute Kontrolle funktioniert, bei unerwünschten Effekten sofort einzugreifen«, sagt Beate Kampmann, pädiatrische Infektiologin und Direktorin des Instituts für Internationale Gesundheit an der Charité in Berlin.
Was genau ist geschehen? Wie hoch ist das Risiko durch RS-Viren, welche Impfstoffe gibt es schon und warum braucht es noch weitere für kleine Kinder?
Das RS-Virus ist eine Bedrohung für die ganz Kleinen
Das Risiko, sich anzustecken, ist altersabhängig. Bis zum dritten Geburtstag hat meist jedes Kind eine Infektion durchgemacht. Die Symptome reichen von milden Atemwegsbeschwerden bis hin zu lebensbedrohlichen Entzündungen der kleinsten Verästelungen der Bronchien oder der Lunge.
Durch die Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie hat sich die Erstansteckung mit dem RSV und anderen Viren vielerorts verzögert. Nach ihrer Aufhebung erkrankten daher mehr Kinder als gewöhnlich an einer Infektion mit dem stark saisonal auftretenden RSV. »Nach Ende der Covid-19-Pandemie waren auch bei uns die Kinderkliniken voll mit Säuglingen, die wegen einer RSV-Infektion mit Sauerstoff beatmet werden mussten«, sagt Beate Kampmann.
Die Ursache, warum besonders Neugeborene und Frühgeborene ein hohes Risiko haben, schwer zu erkranken, liegt in der Anatomie: Der Durchmesser ihrer fein verästelten Atemwege ist winzig: »Wenn es zu einer RSV-Infektion kommt und sich das Gewebe entzündet, setzen sich die Luftwege zu und eine lebensbedrohliche Atemnot entsteht«, erklärt Kampmann. Und: »Dort, wo es nicht möglich ist, die Erkrankten in der Klinik mit Sauerstoff zu versorgen, sterben viele Kinder.« Eine Erkrankung der unteren Atemwege – inklusive RSV – ist daher die häufigste Todesursache bei Kindern unter sechs Monaten, vor allem in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Auch alten und immungeschwächten Personen kann das RSV gefährlich werden.
Welche Möglichkeiten zum Schutz gibt es zurzeit?
Impfstoffe für eine aktive Immunisierung von Kindern stehen zurzeit nicht zur Verfügung. Allerdings besteht die Möglichkeit, Neugeborene über eine passive Immunisierung – also die Gabe von Antikörpern gegen das RSV – direkt nach der Geburt oder mit Hilfe einer Impfung der werdenden Mutter während der Schwangerschaft zu schützen.
Der monoklonale Antikörper Nirsevimab, der das RSV neutralisiert, ist in den USA seit Juli 2023 und in Europa seit Oktober 2022 zugelassen. Seit Juni 2024 empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO), alle Neugeborenen und Säuglinge mit dem Antikörper Nirsevimab vor einem schweren Verlauf durch das RS-Virus zu schützen.
»Der Studienstopp ist ein Zeichen dafür, dass die routinemäßig durchgeführte, phasenweise Testung von Impfstoffen unbedingt notwendig ist und diese eingebaute Kontrolle funktioniert«Beate Kampmann, pädiatrische Infektiologin
Der Impftermin richtet sich nach dem Geburtstag: »Säuglinge, die zwischen April und September geboren sind, sollen Nirsevimab möglichst im Herbst vor Beginn ihrer ersten RSV-Saison erhalten. Neugeborene, die während der RSV-Saison (üblicherweise zwischen Oktober und März) geboren werden, sollen Nirsevimab möglichst rasch nach der Geburt bekommen« – etwa im Rahmen der U2 (3. bis 10. Lebenstag), schreibt die STIKO. Der Antikörper wird in den Oberschenkelmuskel gespritzt. Studien hatten gezeigt, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung beziehungsweise Lungenentzündungen bei etwa 80 Prozent liegt und ungefähr sechs Monate anhält.
Seit 2023 gibt es mit Abrysvo einen Impfstoff, der zur aktiven Immunisierung von Erwachsenen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko durch RSV zugelassen ist. Der Impfstoff enthält die »F«-Oberflächenproteine zweier RSV-Stämme. 2024 erweiterten die Behörden die Zulassung für eine weitere Bevölkerungsgruppe: Schwangere können im letzten Drittel der Schwangerschaft ebenfalls mit Abrysvo geimpft werden.
»Die Kinder bekommen die Antikörper, die die Mutter als Antwort auf ihre eigene Impfung bildet, über die Plazenta geliefert«, sagt Beate Kampmann, die an einer Studie zur Wirksamkeit dieser Impfung mitwirkte: Die Kinder seien dadurch in ihren ersten drei bis sechs Lebensmonaten zu über 80 Prozent vor einer schweren RSV-Infektion geschützt, berichtet Kampmann.
In einigen Ländern wie etwa in Großbritannien oder Argentinien werde die Impfung bereits allen schwangeren Frauen angeboten. Die STIKO empfiehlt Abrysvo in der Schwangerschaft bisher nicht. Auch einige andere Länder zögern. »Es gibt noch eine gewisse Unklarheit über das ideale Zeitfenster innerhalb des zweiten beziehungsweise dritten Trimesters, weil Fachleute aus Südafrika leicht erhöhte Frühgeburtenraten nach der Impfung meldeten«, sagt Beate Kampmann. Sie selbst ist vom Nutzen dieser Impfung überzeugt, mit der man »das Geschenk der Natur« – den Nestschutz, den eine Mutter ihrem Kind mitgibt – verstärken könne.
Brauchen wir trotz dieser Möglichkeiten eine aktive Immunisierung für Säuglinge?
»Ja, wir brauchen eine aktive Immunisierung, wahrscheinlich auch für kleine Kinder«, sagt Luka Cicin-Sain, Leiter der Abteilung Virale Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Der monoklonale Antikörper Nirsevimab funktioniere aktuell zwar sehr gut: »Doch wir wissen nicht, wie es aussieht, wenn die Präparate breitflächig zum Einsatz kommen.« Möglicherweise entstünden Virusmutanten, die die Antikörper dann nicht mehr so gut neutralisieren können. »Der Vorteil einer aktiven Immunisierung ist, dass sie eine breite Antikörperantwort auslöst. Ihr können sich die Viren mit einzelnen Mutationen nicht so schnell entziehen«, sagt Cicin-Sain.
Auf einen entscheidenden weiteren Grund verweisen Fachleute der FDA in ihrer Mitteilung zum Studienstopp des mRNA-Impfstoffs für Säuglinge am 12. Dezember 2024: Der Schutz muss da ankommen, wo er am dringendsten benötigt wird. »Während die Einführung von Nirsevimab und die Impfung von Müttern mit Abrysvo in Ländern mit hohem Einkommen begonnen haben, haben die mangelnde Verfügbarkeit und die Kosten eine breite Einführung dort verhindert, wo die Belastung durch schwere RSV-Erkrankungen am höchsten ist, das heißt in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.«
mRNA-Impfstoff gegen RSV für Erwachsene
Für Erwachsene stehen aktuell drei verschiedene RSV-Impfstoffe zur Verfügung. Neben Abrysvo gibt es noch Arexvy, ebenfalls ein proteinbasierter Impfstoff, der seit 2023 für ältere Menschen mit erhöhtem Erkrankungsrisiko auch in Deutschland verfügbar ist. Und mResvia, ein mRNA-Impfstoff gegen RSV für die ältere Bevölkerung ab 60 Jahren.
Wegen der guten Sicherheits- und Immunitätsdaten bei Erwachsenen und zuvor im Tierversuch startete das US-Unternehmen Moderna eine klinische Phase-I-Studie zum Test der Sicherheit zweier verschiedener mRNA-Impfstoffe bei Säuglingen im Alter von fünf bis acht Monaten: mRNA-1345 enthält die Boten-RNA für das F-Protein des RS-Virus, mRNA-1365 enthält zusätzlich die Boten-RNA für das F-Protein des verwandten Meta-Pneumovirus. Im Idealfall würde das vor beiden Atemwegserregern schützen.
»Dort, wo es nicht möglich ist, die Erkrankten in der Klinik mit Sauerstoff zu versorgen, sterben viele Kinder«Beate Kampmann, pädiatrische Infektiologin
Doch es kam anders: Moderna hatte die klinische Studie schon im Juli 2024 abgebrochen, weil große Sicherheitsbedenken aufkamen. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA stoppte die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen RSV für Kinder endgültig im Dezember 2024.
Warum verstärkte die Impfung die RSV-Infektion?
Die Ereignisse bei Moderna erinnern an Vorfälle aus den 1960er Jahren, ebenfalls beim Versuch, eine RSV-Vakzine für Kinder zu entwickeln. Damals hatten Studien mit einem Totimpfstoff, der inaktivierte Viren enthielt, Sicherheitssignale ausgelöst. Fachleute beobachteten verstärkte Atemwegserkrankung (VAERD) infolge der Impfung, zwei Kleinkinder starben. Die Entwicklung pädiatrischer RSV-Impfstoffe kam massiv ins Stocken.
Damals wie heute reagierte die Körperabwehr der Kinder nicht wie gewünscht auf die Immunisierung. Statt schützender Antikörper waren Immunprozesse in Gang gekommen, die eine Infektion verstärken. Warum, zumal sich der mRNA-Impfstoff bei Erwachsenen doch als sicher und wirksam gezeigt hatte? Beate Kampmann sieht den entscheidenden Unterschied im Lebensalter der Geimpften: Erwachsene hätten das Virus vor der Impfung in ihrem Leben bereits einige Male »gesehen«. Die Körperabwehr sei also vorbereitet, es bestehe bereits ein Immungedächtnis: »Die Impfung ist quasi ein Booster, der eine bestehende Immunität verstärkt«, sagt die Medizinerin.
Ganz anders sieht die Situation bei den Säuglingen aus. Für die meisten von ihnen war die Impfung der erste Kontakt mit dem Erreger. Diese »Pseudoinfektion« könne offenbar eine Fehlregulation der Körperabwehr auslösen: Die für eine schützende Immunantwort wichtigen Immunzellen, die T- und B-Zellen, reagierten nicht wie gewünscht. Stattdessen entstünden Antikörper, die das Virus nicht effizient blockieren, sondern ihm sogar dazu verhelfen, Körperzellen zu infizieren. »Man nennt das eine Infektionsverstärkung durch Antikörper«, erklärt Kampmann – ein Phänomen, das in seltenen Fällen auch bei Infektionen mit dem Dengue-Virus zu beobachten sei.
»Ja, wir brauchen eine aktive Immunisierung, wahrscheinlich auch für kleine Kinder«Luka Cicin-Sain, Virologe
»Moderna hat das alte Problem, das schon in den 1960er Jahren auftrat, mit seinem neuen Impfstoff nicht lösen können«, sagt der Virologe Luka Cicin-Sain. Seiner Ansicht nach spricht vieles dafür, dass auch die Art und Weise, wie der Körperabwehr der Neugeborenen die Virusproteine bei der Impfung präsentiert werden, über Nutzen oder Schaden der Impfung entscheidet: »Es ist etwas anderes, ob wie bei einer echten Infektion Viruspartikel mit dem F-Protein auf der Oberfläche auftauchen oder sich die Körperabwehr mit isolierten Virusproteinen beziehungsweise mit durch die mRNA angeregter Produktion einzelner Virusproteine konfrontiert sieht«, sagt Cicin-Sain.
Suche nach einem RSV-Impfstoff für Kinder hält an
Moderna wird die mRNA-Impfung gegen RSV für Säuglinge nicht weiterverfolgen. 26 Impfstoffkandidaten befinden sich jedoch weiterhin in der klinischen Entwicklung für den Einsatz bei Kindern. Darunter zum Beispiel ein Nasenspray der Firma Sanofi: »Phase I und II dieses Lebendimpfstoffs sind schon abgeschlossen«, sagt Beate Kampmann. Bisher laufe alles gut, ihr sei kein Sicherheitssignal bekannt. Vermutlich liege es daran, dass der Impfstoff die lokale Schleimhautimmunität ansteuere und nicht systemisch wirke wie der mRNA-Impfstoff, der in den Muskel injiziert wird und das Immunsystem in anderer Weise stimuliert.
Luka Cicin-Sain hofft, dass auch der Impfstoff, an dem sein Team am HZI in Braunschweig forscht, eines Tages die Palette an Impfstoffen gegen RSV bereichern und womöglich auch für Kinder geeignet sein wird. Der Virologe arbeitet mit dem Maus-Zytomegalie-Virus (MCMV), das als Träger Antigene von Krankheitserregern in den Körper einschleust. MCMV an sich ist für den Menschen vollkommen harmlos. Seine molekularen Werkzeuge haben sich in Millionen Jahren Evolution maximal gut an die Maus angepasst, im Menschen können sich die Viren dagegen nicht vermehren.
Bei Tests an Tiermodellen klappt eine Impfung mit MCMV als Trägervirus schon sehr gut. Bereits eine Dosis erzeugt einen lebenslangen Immunschutz gegen Corona- oder Influenzaviren. Gegen RSV gerichtete MCMV-Impfstoffe werden derzeit erstellt und getestet. Cicin-Sain sieht darin einen wichtigen Vorteil gegenüber anderen Ansätzen: »Die seit 2023 zugelassenen proteinbasierten Impfstoffe gegen RSV sind zwar wirksam, doch zeigen erste Studien, dass die Schutzwirkung bereits nach drei Jahren auf unter 50 Prozent sinkt.«
»Moderna hat das alte Problem, das schon in den 1960er Jahren auftrat, mit seinem neuen Impfstoff nicht lösen können«Luka Cicin-Sain, Virologe
Auch mRNA-Impfstoffe hätten ein großes Potenzial und während der Pandemie unglaubliche Verdienste erworben: »Das steht außer Frage«, sagt der Virologe. Aber man brauche mit ihnen zwei bis drei Ansätze, um die Immunantwort gut in Gang zu bringen. Und dann auch weitere Impfungen, um den Schutz aufrechtzuerhalten. Das führe zu Impfmüdigkeit. »Unser Ansatz: ›Einmal impfen, dann bist du damit durch‹, könnte die Impffreude wieder wecken«, hofft Cicin-Sain.
Der Weg bis zur klinischen Studie ist für den Impfstoffkandidaten des Braunschweiger HZI-Teams allerdings noch weit. Und gerade die klinische Studie ist das Nadelöhr, an dem viele Kandidaten scheitern, wie es die aktuellen Ereignisse um die mRNA-Impfung gegen RSV bei Säuglingen jetzt zeigen.
Generell dranzubleiben an einer aktiven Immunisierung auch für Säuglinge, hält Beate Kampmann ebenfalls für den richtigen Weg. Zunächst müsse noch besser verstanden werden, was genau bei den mRNA-Studien passiert sei. Außerdem werde sich erst nach und nach herausstellen, was die Immunisierungen in der Schwangerschaft und die passive Immunisierung nach der Geburt für die nächsten Geburtenjahrgänge weltweit bringen werden. »Und dann muss geprüft werden, ob es gut ist, eine aktive Immunisierung für die zweite Hälfte des ersten Lebensjahres anzuschließen«, sagt Kampmann. Mit welchem Impfstoff, ist noch offen.
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