Lebensgemeinschaften: Rühr-mich-nicht-an-Mantel für Mitesser
Die Weltmeister der chemischen Kriegsführung haben oft sechs Beine: Insekten können per Chemie angreifen, verteidigen oder sich verstecken. Und wenn Ameisen Ameisen täuschen wollen, gibt es offenbar nichts, was es nicht gibt.
Schmarotzer haben nicht den allerbesten Ruf – und vom rein menschlich-moralischen Standpunkt aus auch völlig zurecht. Bringen sie nicht ehrlich und emsig für ihren Lebensunterhalt Schuftende um den verdienten Lohn? Setzen sie sich nicht zwanglos ins gemachte und gut gepolsterte Nest ihres Wirtes wie die Made in den Speck, und verlassen das sinkende Schiff dann völlig ohne Skrupel, sobald es ausgeplündert ist und damit nutzlos? Und was bringen sie selbst in die nur für sie profitable Wirt-Parasit-Beziehung ein? Nichts, was nicht für sie selbst von Vorteil ist.
Irgendwo muss hier ein Haken sein, denn hätte Parasitismus tatsächlich nur Vorteile, dann hätte es irgendwann nur noch Parasiten gegeben, die verzweifelt und umsonst auf der Suche nach ehrlich arbeitenden Wirten wären – und somit hätte es dann auch bald gar niemanden mehr gegeben. Gründe dafür, dass sich Schmarotzertum nicht immer lohnt, finden sich auf der Soll-Seite der biologischen Kosten-Nutzenbilanz: Um im Parasitengeschäft erfolgreich zu sein, muss zunächst einiges investiert werden. Zum Beispiel in immer effektivere Abwehrmaßnahmen, denn die auszuplündernden Wirte haben im Laufe der Evolution gelernt, gegen Schmarotzer mit harter Hand vorzugehen – solchen Gegenangriffen gilt es parasitär vorzubeugen.
Eine Möglichkeit ist Tarnung. Im Blutstrom heimische Parasiten etwa gestalten ihre Oberfläche gerne so, dass sie von Immunzellen nicht als fremd erkannt werden. Genauso machen es, im größeren Maßstab, auch die Ameisen der Gattung Formicoxenus. Diese kleine Gruppe von Sozialparasiten schmuggelt sich in den Bau von Myrmica-Ameisen, profitiert von der dortigen Infrastruktur, vergreift sich an den gesammelten Nahrungsvorräten und besetzt kleine Brutnischen, in die die größeren regulären Bewohner des Baus nicht hineinpassen, mit eigenem Nachwuchs.
Maßgeschneiderte Tarnmäntel
All das gelingt den schmarotzenden Formicoxeniden unerkannt, weil sie sich mit dem spezifischen Körpergeruch ihrer bevorzugten Wirtsameise tarnen. Der Trick, der ihnen dies ermöglicht, ist dabei durchaus arbeitsintensiv und brachte ihnen verdientermaßen den Spitznamen Shampoo-Ameisen ein: sehr ausdauernd belecken sie erwachsene Tiere und Larven des Wirtes und benetzen sich dabei fortwährend mit dem passenden Koloniegeruch – der bei Hautflüglern aus einem charakteristischen Gemisch von Kohlenwasserstoffen auf dem Körperpanzer resultiert. Gut und passend duftshampoonierten Parasiten gelingt es, zwanglos im Odeur der Wirtskolonie unterzugehen und das Radar der patrouillierenden Wächterameisen zu unterlaufen.
Damit allerdings haben die Schmarotzer alles auf eine Karte gesetzt, und ein späterer Wechsel in einen anderen Ameisenbau einer vielleicht noch wohlhabenderen Myrmica-Wohnstatt ist ihnen genauso verwehrt wie den Arbeitern der Wirtsart selbst: Fremder Koloniegeruch ist ein Rotes Tuch für die Verteidiger eines Fremdbaus. Genau deswegen überrascht die hohe Wirtsspezifität einzelner Formicoxenus-Arten nicht: Alle spezialisieren sich auf nur eine bestimmte Myrmica-Spezies. Alle – bis auf Formicoxenus nitidulus.
Der europäische Abweichler unter den weltweit verbreiteten Formicoxeniden kann in den Bauten von gleich elf verschiedenen Myrmica-Arten gedeihen und sogar zwanglos zwischen ihnen wechseln. Nicht nur Stephen Martin von der Universität von Sheffield und seine Kollegen fragten sich, wie es gerade diese Art schafft, seine Tarnkleider zu tauschen wie ein Unterhemd.
Zunächst fiel auf, dass F. nitidulus viel seltener den gattungstypischen Shampookuschel-Kontakt mit ihren Wirtstieren sucht. Außerdem wird sie zwar in den Kolonien weit gehend ignoriert, gelegentlich aber doch von Wächterameisen attackiert – die sie dann aber schnell wieder laufen lassen. Um hinter den offenbar ganz eigenen Trick der eigenwilligen Schmarotzer zu kommen, analysierten Martin und Co nun ihr typisches Kohlenwasserstoffprofil der Körperoberfläche und verglichen es mit dem der jeweiligen Wirte. Und ganz anders als ein idealer Tarnmantel-Duft unterscheidet sich das Kohlenwasserstoffgemenge von F. nitidulus tatsächlich deutlich von dem jener Arten, die das Tier gerade unterwandert hatte, stellten die Forscher fest.
Flucht aus der Spezialistenfalle
Bei einer genaueren Überprüfung der Inhaltstoffe im F.-nitidulus-Duft ließ die Wissenschaftler dann die ungewöhnlich hohe Konzentration der normalerweise seltenen Alkadiene stutzen – Substanzen, die im Insektenreich nicht selten eher zur Abschreckung dienen. Martins Team versah daher zu Testzwecken einen leckeren Köder saftiger Taufliegen mit dem extrahierten Duft und warf ihn hungrigen Myrmica-Ameisen zum Fraß vor – umsonst: Die Tiere verschmähten den Bissen, den sie sonst nie hätten liegen lassen.
Offensichtlich benutzt F. nitidulus also anders als alle anderen Arten seiner Gattung Geruch nicht zur spezifischen Tarnung, sondern zur generellen Abschreckung, schlussfolgern die Forscher: Dies ermöglicht ihnen dann, die Kolonien mehrerer unterschiedlicher Arten zu unterwandern, ohne dafür mühsam den Eigengeruch verändern zu müssen. So schafft die Art dann, was ihren Schwestern verwehrt bleibt und kann damit auf ein viel weiteres Wirtsspektrum zurückgreifen.
Martin und Co fragen sich derzeit noch, warum nur eine der vielen Formicoxenus-Spezies den Abschreckungstrick nutzt, während die anderen sich mühevoll duftkopierend an nur einen Wirt klammern können. Tatsächlich ist die Verwendung chemischer Abschreckung bei Insekten insgesamt zwar weit verbreitet, unter den bis zu 20 000 Arten von Sechsbeiner, die in Ameisenbauten schmarotzen, aber bisher noch nie beschrieben worden.
Dabei sehen die Forscher in der Methode von F. nitidulus weit größeres Potenzial – nicht umsonst sei die Spezies gerade in Europa konkurrenzlos erfolgreich, während die vielen Duftkopierer-Spezialisten auf anderen Kontinenten nur in kleinen Nischen reüssieren, sich dort aber stets auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal ihrer einen Wirtsart verbinden. So gesehen fast komisch, dass es nicht längst nur noch Abschreckungschemiker unter den Ameisenschmarotzern gibt. Irgendwo, siehe oben, muss da wohl noch ein Haken sein.
Irgendwo muss hier ein Haken sein, denn hätte Parasitismus tatsächlich nur Vorteile, dann hätte es irgendwann nur noch Parasiten gegeben, die verzweifelt und umsonst auf der Suche nach ehrlich arbeitenden Wirten wären – und somit hätte es dann auch bald gar niemanden mehr gegeben. Gründe dafür, dass sich Schmarotzertum nicht immer lohnt, finden sich auf der Soll-Seite der biologischen Kosten-Nutzenbilanz: Um im Parasitengeschäft erfolgreich zu sein, muss zunächst einiges investiert werden. Zum Beispiel in immer effektivere Abwehrmaßnahmen, denn die auszuplündernden Wirte haben im Laufe der Evolution gelernt, gegen Schmarotzer mit harter Hand vorzugehen – solchen Gegenangriffen gilt es parasitär vorzubeugen.
Eine Möglichkeit ist Tarnung. Im Blutstrom heimische Parasiten etwa gestalten ihre Oberfläche gerne so, dass sie von Immunzellen nicht als fremd erkannt werden. Genauso machen es, im größeren Maßstab, auch die Ameisen der Gattung Formicoxenus. Diese kleine Gruppe von Sozialparasiten schmuggelt sich in den Bau von Myrmica-Ameisen, profitiert von der dortigen Infrastruktur, vergreift sich an den gesammelten Nahrungsvorräten und besetzt kleine Brutnischen, in die die größeren regulären Bewohner des Baus nicht hineinpassen, mit eigenem Nachwuchs.
Maßgeschneiderte Tarnmäntel
All das gelingt den schmarotzenden Formicoxeniden unerkannt, weil sie sich mit dem spezifischen Körpergeruch ihrer bevorzugten Wirtsameise tarnen. Der Trick, der ihnen dies ermöglicht, ist dabei durchaus arbeitsintensiv und brachte ihnen verdientermaßen den Spitznamen Shampoo-Ameisen ein: sehr ausdauernd belecken sie erwachsene Tiere und Larven des Wirtes und benetzen sich dabei fortwährend mit dem passenden Koloniegeruch – der bei Hautflüglern aus einem charakteristischen Gemisch von Kohlenwasserstoffen auf dem Körperpanzer resultiert. Gut und passend duftshampoonierten Parasiten gelingt es, zwanglos im Odeur der Wirtskolonie unterzugehen und das Radar der patrouillierenden Wächterameisen zu unterlaufen.
Damit allerdings haben die Schmarotzer alles auf eine Karte gesetzt, und ein späterer Wechsel in einen anderen Ameisenbau einer vielleicht noch wohlhabenderen Myrmica-Wohnstatt ist ihnen genauso verwehrt wie den Arbeitern der Wirtsart selbst: Fremder Koloniegeruch ist ein Rotes Tuch für die Verteidiger eines Fremdbaus. Genau deswegen überrascht die hohe Wirtsspezifität einzelner Formicoxenus-Arten nicht: Alle spezialisieren sich auf nur eine bestimmte Myrmica-Spezies. Alle – bis auf Formicoxenus nitidulus.
Der europäische Abweichler unter den weltweit verbreiteten Formicoxeniden kann in den Bauten von gleich elf verschiedenen Myrmica-Arten gedeihen und sogar zwanglos zwischen ihnen wechseln. Nicht nur Stephen Martin von der Universität von Sheffield und seine Kollegen fragten sich, wie es gerade diese Art schafft, seine Tarnkleider zu tauschen wie ein Unterhemd.
Zunächst fiel auf, dass F. nitidulus viel seltener den gattungstypischen Shampookuschel-Kontakt mit ihren Wirtstieren sucht. Außerdem wird sie zwar in den Kolonien weit gehend ignoriert, gelegentlich aber doch von Wächterameisen attackiert – die sie dann aber schnell wieder laufen lassen. Um hinter den offenbar ganz eigenen Trick der eigenwilligen Schmarotzer zu kommen, analysierten Martin und Co nun ihr typisches Kohlenwasserstoffprofil der Körperoberfläche und verglichen es mit dem der jeweiligen Wirte. Und ganz anders als ein idealer Tarnmantel-Duft unterscheidet sich das Kohlenwasserstoffgemenge von F. nitidulus tatsächlich deutlich von dem jener Arten, die das Tier gerade unterwandert hatte, stellten die Forscher fest.
Flucht aus der Spezialistenfalle
Bei einer genaueren Überprüfung der Inhaltstoffe im F.-nitidulus-Duft ließ die Wissenschaftler dann die ungewöhnlich hohe Konzentration der normalerweise seltenen Alkadiene stutzen – Substanzen, die im Insektenreich nicht selten eher zur Abschreckung dienen. Martins Team versah daher zu Testzwecken einen leckeren Köder saftiger Taufliegen mit dem extrahierten Duft und warf ihn hungrigen Myrmica-Ameisen zum Fraß vor – umsonst: Die Tiere verschmähten den Bissen, den sie sonst nie hätten liegen lassen.
Offensichtlich benutzt F. nitidulus also anders als alle anderen Arten seiner Gattung Geruch nicht zur spezifischen Tarnung, sondern zur generellen Abschreckung, schlussfolgern die Forscher: Dies ermöglicht ihnen dann, die Kolonien mehrerer unterschiedlicher Arten zu unterwandern, ohne dafür mühsam den Eigengeruch verändern zu müssen. So schafft die Art dann, was ihren Schwestern verwehrt bleibt und kann damit auf ein viel weiteres Wirtsspektrum zurückgreifen.
Martin und Co fragen sich derzeit noch, warum nur eine der vielen Formicoxenus-Spezies den Abschreckungstrick nutzt, während die anderen sich mühevoll duftkopierend an nur einen Wirt klammern können. Tatsächlich ist die Verwendung chemischer Abschreckung bei Insekten insgesamt zwar weit verbreitet, unter den bis zu 20 000 Arten von Sechsbeiner, die in Ameisenbauten schmarotzen, aber bisher noch nie beschrieben worden.
Dabei sehen die Forscher in der Methode von F. nitidulus weit größeres Potenzial – nicht umsonst sei die Spezies gerade in Europa konkurrenzlos erfolgreich, während die vielen Duftkopierer-Spezialisten auf anderen Kontinenten nur in kleinen Nischen reüssieren, sich dort aber stets auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal ihrer einen Wirtsart verbinden. So gesehen fast komisch, dass es nicht längst nur noch Abschreckungschemiker unter den Ameisenschmarotzern gibt. Irgendwo, siehe oben, muss da wohl noch ein Haken sein.
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