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Palmrüssler-Plage: Der Palmenretter aus Jordanien

Weltweit kämpfen zahllose Farmer gegen den Roten Palmrüssler. Ein Ingenieur aus Jordanien will die Plage stoppen. Dafür bringt er KI auf die Dattelplantagen seiner Heimat.
Zeid Sinokrot
Zeid Sinokrot demonstriert seine App auf einer Dattelpalmenplantage in Jordanien. Manchmal kann man das Nagen der Larven über Kopfhörer hören, für eine sichere Identifikation braucht es aber eine speziell trainierte künstliche Intelligenz.

An einem heißen Samstagvormittag steht Abu Ahmed auf seiner Dattelplantage im Jordantal. 5000 Palmen zählen zu der Farm. In regelmäßigen Abständen reihen sie sich aneinander. Ein bisschen wie Soldaten. »Alle Palmen sind gesund, alles ist gut«, sagt Abu Ahmed. Er lächelt zufrieden. Es gab mal eine Zeit, da war das anders. Da hatte sich der Rote Rüsselkäfer in das Herz seiner Palmen gebohrt und diese von innen zerstört. Als sie die Schädlinge entdeckten, war es bereits zu spät. Sie fällten und verbrannten eine befallene Palme nach der anderen.

Fünf Prozent seiner Plantage verlor Abu Ahmed damals an den Palmrüssler, und damit auch fünf Prozent seiner Ernte. Sechs Jahre Arbeit oder mehr hatte er in jede einzelne Palme gesteckt, bis sie endlich Früchte trug. Dann ist sie rund 1000 US-Dollar wert. Eine Viertelmillion Dollar Schaden bescherte ihm der Schädling. Das Schlimmste war für den Farmverwalter jedoch nicht der wirtschaftliche, sondern der emotionale Schaden. Abu Ahmed sagt: »Wenn eine Dattelpalme stirbt, fühlt sich das an, als würde man sein kleines Kind verlieren. Man hat sie aufgezogen, sie gepflegt, sie ernährt.«

Abu Ahmed ist kein Einzelfall. Längst hat sich die Plage zu einem globalen Problem entwickelt: Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind rund 50 Millionen Landwirte von der Palmrüsslerpest betroffen. Der Käfer zerstört Kokospalmen in Südostasien ebenso wie Dattelplantagen im Nahen Osten und Zierpalmen im Süden Europas.

Ursprünglich stammt Rhynchophorus ferrugineus aus Südasien. In den vergangenen Jahrzehnten hat er sich rasant ausgebreitet. Mitte der 1980er Jahre berichteten Dattelfarmer aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zum ersten Mal von der Plage. Von dort bahnte sich der Schädling seinen Weg immer weiter gen Westen. Fachleute wie der Insektenforscher Hamadttu El-Shafie von der König-Faisal-Universität in Saudi-Arabien warnen, dass der Rote Palmrüssler in den nächsten Jahren weitere Regionen befallen wird. Besonders gefährdet sind demnach Ostafrika und der Kaukasus. Recherchiert man zu dem Thema, findet man selbst in wissenschaftlichen Publikationen apokalyptische Titel wie »Palmageddon«.

Farmer Abu Ahmed | Das Palmear-Gerät in seiner Hand soll helfen, die hungrigen Larven des Palmrüsslers frühzeitig zu erkennen.

Entdeckt, wenn es zu spät ist

Oft entdecken Farmer den Roten Palmrüssler erst dann, wenn es bereits zu spät ist. Dann bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Palme zu fällen und sie gemeinsam mit dem Schädling zu vernichten, so wie es Abu Ahmed viel zu oft tun musste. Dass er die Plage nun von seinen Palmen fernhalten kann, liegt an einer App, die den Schädling frühzeitig aufspüren kann – mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und Tonaufnahmen aus dem Inneren der Pflanze.

Zeid Sinokrot, 37 Jahre alt, hat die App erfunden. Am Morgen hat er die Hauptstadt Amman hinter sich gelassen, um Abu Ahmed zu besuchen. Der Farmer war einer der ersten, den er als Kunden gewann. Vor der Windschutzscheibe breitet sich nun das Jordantal aus wie eine Oase. In die Senke betten sich rund 90 Prozent der Dattelpalmen Jordaniens. »Das Jordantal gilt als Brotkorb und Gemüsegarten der Region«, sagt Sinokrot und weist auf die Zitronenbäume, Gewächshäuser und Weizenfelder am Straßenrand. »Die Wasserknappheit macht den Farmern aber immer mehr zu schaffen.« Und dann ist da noch die Palmenpest.

Allein im Mittelmeerraum verursacht der Palmrüssler laut FAO jährlich Schäden in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro. In Ländern wie Jordanien bedroht der Käfer die Existenz der Dattelfarmer und tausender Arbeitskräfte. Zwar ist die jordanische Dattelindustrie mit einem jährlichen Ertrag von etwa 26 000 Tonnen vergleichsweise klein. Doch für das trockene Land ist die Ernte essenziell: Sie bringt der Wirtschaft wichtige Exporteinnahmen. Etwa die Hälfte der Datteln landet im Ausland. Die andere Hälfte trägt zur Nahrungsmittelsicherheit Jordaniens bei, die ohnehin seit Jahren gefährdet ist.

Die Sorgen der Landwirte kennt Sinokrot nur zu gut. Seine Eltern waren im Dattelgeschäft tätig; als Junge hat er viel Zeit auf Farmen in Jericho am Westufer des Jordans verbracht. Damals hat er immer wieder beobachtet, wie Männer ein Stethoskop an Palmen hielten und deren Inneres abhörten wie ein Arzt das Herz seines Patienten. Hin und wieder spürten sie den Schädling damit erfolgreich auf. Die Plage langfristig eindämmen konnten sie so jedoch nicht. »Nur wenige Menschen haben ein derart geschultes Gehör, dass sie die Larven des Käfers früh genug erkennen können«, sagt Sinokrot. »Sie konnten unmöglich alle Dattelfarmen in der Region abhören.«

Auf einer Farm entsteht ein Forschungslabor

Sinokrot studierte Ingenieurwesen in Großbritannien, später arbeitete er acht Jahre lang im Irak. In all der Zeit ließ ihn das Bild von den Palmenlauschern und ihren Stethoskopen nicht los. Wie, fragte er sich, könnte man die Methode in das 21. Jahrhundert übersetzen und massentauglich machen? Die Antwort gab sich Sinokrot selbst: Er nahm sich vor, Bioakustik mit künstlicher Intelligenz und Big Data zu verbinden. »Ich wollte ein Gerät entwickeln, das jeder einfach bedienen kann und das schnelle, zuverlässige Ergebnisse liefert«, sagt Sinokrot.

Als die Corona-Pandemie die Welt auf den Kopf stellte, setzte er alles auf eine Karte. Er gründete sein Start-up, nannte es »Palmear« und verwandelte ein paar Räume auf einer Farm im Jordantal in ein Forschungslabor. Dort tüftelte er gemeinsam mit einem Team aus Audioingenieuren, Biologen und Informatikern an seiner Erfindung. Im ersten Schritt sammelten sie Audiodaten. Das Ziel: Sie wollten einer KI beibringen, die Geräusche der Palmrüssler früh und zuverlässig zu erkennen. Also bauten sie schalldichte Audiokabinen, zogen Dattelpalmen heran und spritzten Larven in deren Inneres. Anschließend nahmen sie die Geräusche auf, die in den Palmen entstanden.

»Das Training der KI war der schwierigste Part«, sagt Sinokrot. Schließlich mussten sie sie auf alle möglichen Szenarien vorbereiten: Wie klingt eine gesunde Palme? Welche Geräusche machen die Larven des Roten Palmrüsslers? Und wie unterscheiden sich diese von den Geräuschen anderer Insekten? Immer wieder wurde die KI in Laboren und auf Farmen getestet. Immer wieder lag sie falsch. Erst nach drei Jahren Versuch und Irrtum konnten sie »Palmear« auf den Markt bringen. »Inzwischen liegt die App in etwa neun von zehn Fällen richtig«, sagt Sinokrot. »Und je mehr Daten wir sammeln, desto genauer wird sie.«

Dattelfarmen in Jordanien | Die tausenden Palmen mit der App regelmäßig zu überprüfen, ist aufwändig. In einem Land mit so hoher Arbeitslosigkeit wie Jordanien biete das jedoch auch eine Chance, findet Sinokrot.

Auf seiner Farm befestigt Abu Ahmed jetzt sein Handy an dem »Palmear«-Gerät. Es erinnert ein wenig an einen Kühlakku. Über ein Kabel ist es mit einem Plastikkeil verbunden, in dem eine streichholzdicke Nadel steckt. Mit zwei, drei sanften Handschlägen klopft Abu Ahmed die Nadelspitze in das Innere der Palme. »Der Prozess ist minimalinvasiv«, sagt Sinokrot. »Wir wollen die Palme schließlich schützen, nicht zusätzlich gefährden.« Auch mit Kopfhörern ist das Gerät verbunden.

Wer sie aufzieht, taucht in das akustische Innenleben der Palme ein. Ist sie gesund, hört es sich an, als würde man in sanftes Gewässer gleiten. Ein gleichmäßiges, beruhigendes Rauschen schallt aus den Kopfhörern. Wenn eine Palme dagegen befallen ist, offenbaren die Audiosignale, wie sich die Larven durch das Gewächs bewegen und fressen. Manchmal sind sie so laut, dass man sie über die Kopfhörer schmatzen hören kann. »Die Natur teilt uns so viel mit«, sagt Sinokrot. »Wir müssen einfach nur besser hinhören.«

Abu Ahmeds Blick ist fest auf den Countdown gerichtet, der auf seinem Handybildschirm abläuft. Nach 50 Sekunden liefert die App ein Ergebnis. Abu Ahmed nickt zufrieden: Ein grünes Symbol leuchtet auf, keine Spur vom Roten Palmrüssler. Auf einer digitalen Karte sieht der Farmer eine Übersicht seiner Plantage. Sie zeigt ihm, welche Palmen bereits gescannt wurden, welche gesund sind – und welche vom Palmenbohrer befallen sein könnten. Entdeckt man den Schädling früh genug, können die Farmer die Pflanze gezielt mit Pestiziden behandeln. »Im Idealfall finden wir die Larven des Palmrüsslers zwei Wochen, nachdem sie geschlüpft sind. Das ist ein sicheres Zeitfenster«, sagt Sinokrot. Wenn die Larven zu Käfern herangewachsen sind, ist es bereits zu spät. Dann kriechen sie aus dem Inneren der Palmen heraus, paaren sich und legen wenig später im Schutz der nächsten Palmen ihre Eier. So zieht die Plage innerhalb kurzer Zeit immer größere Kreise.

Mit dem Ohr an der Palme ließen sich Arbeitsplätze schaffen

Um den Zyklus zu durchbrechen, müssen die Dattelfarmer alle 45 Tage jede einzelne Palme kontrollieren. Bei 5000 Gewächsen ist das schon ein riesiger Aufwand. Andernorts sind die Plantagen aber sogar noch deutlich gewaltiger. In Jordanien sei das kein Hindernis, sagt Sinokrot, sondern eine Chance: »Die Arbeitslosigkeit im Land ist hoch. Mit unserer App können wir neue Jobs schaffen.« Zu Sinokrots Kunden zählt neben privaten Farmern auch das jordanische Landwirtschaftsministerium. Mit jedem Scan speisen Nutzer wie Abu Ahmed neue Daten ein, die automatisch an die Entscheidungsträger in die Hauptstadt Amman weitergeleitet werden. So entsteht eine Karte der Palmrüssler-Hotspots im Land, auf die Farmer im Kleinen und die Regierung im Großen schnell reagieren können.

Sinokrots Start-up ist nicht die einzige Firma, die den Kampf gegen den Palmrüssler aufgenommen hat. Weltweit setzen Farmer und Fachleute auf verschiedenste Waffen. Das Repertoire reicht von Wärme- und Satellitenbildern bis hin zu speziell ausgebildeten Spürhunden. Auch die Idee von Sensoren im Inneren der Palmen sei nicht neu, sagt der Insektenforscher Ibrahim Al-Jboory von der Arabischen Gesellschaft für Pflanzenschutz. Seit beinahe 20 Jahren arbeitet er als Pflanzenschutzberater im Nahen Osten. Ein tragbares Gerät zur Früherkennung, das jeder bedienen kann – das habe es bislang nicht gegeben. Al-Jboory sieht Potenzial in Sinokrots Erfindung: »Die Methode ist schnell, simpel und relativ kostengünstig.« Nur die Genauigkeit der App müsse man noch weiter prüfen. »Aber selbst wenn wir 75 bis 80 Prozent der Fälle früh aufspüren könnten, wäre das ein großer Fortschritt«, sagt Al-Jboory.

An einer anderen Stelle von Abu Ahmeds Farm hat die App vor einigen Wochen ein rotes Warnsignal gegeben. Daraufhin hat der Bauer Nervengift in das Innere der befallenen Palmen gespritzt, um die Larven abzutöten. Mit dem Gerät in der Hand eilt er jetzt zu den Palmen, die ihm Sorgen bereiten. Wieder sticht er mit der Nadel in das Gewächs. Sinokrot zieht die Kopfhörer auf und lauscht.

»Die Geräusche sind schwach, aber sie sind da«, sagt er. Als der Countdown abgelaufen ist, zeigt die App ein oranges Symbol: »Verdächtig« soll das heißen.

Bei der Nachbarpalme leuchtet die App rot auf. Das Nervengift konnte die Larven offenbar noch nicht abtöten. Abu Ahmed muss die Pflanze noch einmal behandeln. »So ist es mir lieber, als wenn ich die Palmen absägen und vernichten muss«, sagt er.

Roter Palmrüssler | Der Käfer richtet nicht nur in Palmenplantagen seine Verheerungen an. Oft hilft es bloß, alle Pflanzen im Umkreis der befallenen Zone vorsorglich zu vernichten, um eine Ausbreitung zu stoppen.

Lauschangriff auf den Borkenkäfer

Das Gerät und die Methode hat sich Sinokrot durch ein Patent schützen lassen. Nun will er »Palmear« in die gesamte Welt bringen. In Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Ägypten und Malaysia haben er und sein Team die App bereits testen lassen. Immer wieder stoßen sie dabei auf Skepsis: Jahrzehntelang haben Experten nach hilfreichen Mitteln gegen den Palmrüssler gesucht, und ein junger Ingenieur will nun die Lösung gefunden haben? Dass Sinokrot selbst aus dem Nahen Osten stammt, macht es für ihn nicht einfacher. Im Gegenteil. »Oft höre ich Dinge wie: Woher willst du wissen, wie man so eine Technologie entwickelt?« Ingenieuren aus dem Westen werde mehr Vertrauen entgegengebracht, sagt Sinokrot. »Der Nahe Osten hat sich zu lange auf die Innovationen von Übersee verlassen.«

Diesmal soll es anders laufen, findet er. Vor einigen Monaten hat er sich in Schweden mit Förstern getroffen. Die kämpfen zwar nicht gegen den Palmrüssler. Dafür macht ihnen der Borkenkäfer das Leben schwer. »Unsere Methode lässt sich auf jeden Schädling übertragen, der sich in das Innere von Bäumen bohrt«, sagt Sinokrot. Dafür müssen sie jedoch die KI neu trainieren und mit Audiodaten von Borkenkäfern füttern. »Wenn uns das gelingt, können wir Millionen Landwirten, Förstern und Waldbesitzern weltweit helfen.«

Auf dem Rückweg in die Hauptstadt Amman hält Sinokrot seinen Wagen an der Grenze zu einer Nachbarfarm an. Wäre »Palmageddon« ein Film, könnte er in der Szenerie spielen, die sich nun vor den Augen des Ingenieurs ausbreitet. Umgestürzte Palmstämme und Blätter liegen auf dem Boden wie leblose Skelette. Die Sonne hat sie ausgetrocknet und ihnen die Farbe genommen. Sinokrot lässt seine Finger durch die faserigen Überreste einer durchbohrten Palme fahren. »Das sind die Spuren, die der Rote Palmrüssler hinterlässt«, sagt er. Keine zwei Kilometer trennen den Palmenfriedhof von Abu Ahmeds grüner Oase. Für Sinokrot ist es ein Sinnbild für das Problem: Die Menschen mögen noch so viele Grenzen ziehen – den Roten Palmrüssler werden sie damit nicht aufhalten können. Also will Sinokrot weiter Brücken bauen. Zwischen Nachbarn und Ländern, über politische Spannungen und Kontinente hinweg. »Den Kampf gegen die Palmrüsslerplage können wir nur gemeinsam gewinnen«, sagt er.

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