News: Rutschpartie für Atome
"Im Gegensatz zu Speicherringen, bei denen die Energie der Teilchen auf Tera-Elektronenvolt und mehr gesteigert wird, galt unser Interesse dem anderen Ende des Energiespektrums – ultrakalten Atomen mit Energien von wenigen Nano-Elektronenvolt", erklärt Michael Chapman. Dazu musste der Wissenschaftler zusammen mit seinen Kollegen Jacob Sauer und Murray Barrett aber zunächst einmal eine derart kalte Atomwolke erzeugen.
Im Grunde war dieser Teil des Experiments jedoch schon fast Routinearbeit, denn die Methode der Laserkühlung haben die Forscher bereits früher erfolgreich dazu genutzt, ein Bose-Einstein-Kondensat zu erzeugen – jenen besonderen Zustand der Materie, den Satyendra Nath Bose und Albert Einstein bereits in den Zwanziger Jahren vorausgesagt hatten und für dessen experimentelle Realisierung vor wenigen Tagen auch ein Deutscher den Nobelpreis für Physik erhielt.
"Es ist so ähnlich, als würde man Autos mit Tischtennisbällen abbremsen", erklärt Sauer das Prinzip der Laserkühlung. Dabei entsprächen die Autos den Atomen und die Pingpong-Bälle den Photonen der Laserstrahlung. Die Bälle würden dann so häufig gegen das Fahrzeug prallen, bis es still stünde. Und auch im Experiment gelingt es, die Photonen gerade auf solche Weise auf die Atome zu schießen, dass letztere ihre Bewegungsenergie verlieren, also abkühlen.
So konnten die Wissenschaftler in einer magnetooptischen Falle eine etwa drei Mikrokelvin kalte Wolke aus Rubidiumatomen erzeugen, die im Folgenden in den zwei Zentimeter großen Speicherring eingespeist wurde. Doch wie lassen sich Teilchen leiten und auf Kreisbahnen bringen, die elektrisch neutral sind? Denn normalerweise packt das Magnetfeld eines Beschleunigers gerade die Ladung der Teilchen und bugsiert sie so auf den richtigen Kurs. Nun konnten die neutralen Atome zwar keine Ladung bieten, dafür aber ein kleines magnetisches Dipolmoment – sie verhielten sich also wie winzige Stabmagneten. Und diese ließen sich nun in einem geeigneten Magnetfeld genauso gut lenken wie elektrisch geladene Teilchen.
Dabei erzeugten zwei stromdurchflossene, parallele Kupferdrähte das Feld, das die Atome gefangen hielt. Wie auf Schienen geleitet konnten die Wissenschaftler so die Wolke aus der Atomfalle in den Ring führen. Dazu schalteten sie die Falle einfach ab, worauf die Atome im Schwerefeld der Erde hinunterfielen, aber von dem trichterförmig auseinander gebogenen Ende der beiden Leiterbahnen aufgefangen wurden. So rauschten die Teilchen wie auf einer Rutsche auf den Speicherring herab, der ebenfalls aus zwei parallelen Kupferleitern bestand. Knapp über dem Ring verringerten die Forscher den Strom durch die Führungsrinne und erhöhten gleichzeitig den durch den Speicherring. So gelang es dann tatsächlich, mehr als 90 Prozent der Atome von der Führung in den Ring zu speisen.
Dort kreisten sie für etwa sieben Umdrehungen mit einer Geschwindigkeit von etwa einem Meter pro Sekunde, bis schließlich Stöße mit dem Ring und mit Streuatomen in der Vakuumkammer, in der sich der ganze Versuchsaufbau befand, die Begegnung abbremsten. Die Physiker konnten den Weg der Atome beobachten, indem sie die Atome mit einem Laser zur Fluoreszenz anregten und das emittierte Licht mit einer CCD-Kamera detektierten. In weiteren Versuchen gelang es den Forschern auch, den Speicherring mehrfach mit Atomen zu befüllen, und selbst die Geschwindigkeit der kreisenden Wolke konnten sie mit einem Laser steuern.
Da die Energie der Atome im Bereich von Nano-Elektronenvolt lag, nannten die Forscher ihren Speicherring Nevatron – in Anlehnung an die großen Teilchenbeschleuniger, deren Namen sich aus ihrer Energieskala ableiten.
Der Ring könnte vielleicht einmal Herzstück eines Trägheitssteuerungssystems an Bord von Flugzeugen sein. Solche Systeme gibt es zwar schon heute, doch nutzt man bisher Licht, das auf zwei entgegengesetzten Wegen durch eine Spule geschickt und anschließend zur Interferenz gebracht wird. Kleine Veränderungen dieses Interferenzbilds geben schließlich Aufschluss über die Bewegung des Flugzeugs. Atome könnten nun, da sie schwerer sind, viel besser Bewegungsänderungen detektieren als Photonen. "Die Empfindlichkeit eines solchen Gyroskops ist proportional zur Fläche, die das Interferometer einschließt, und zur Masse der Teilchen", erklärt Chapman. "Die Masse eines Atoms ist ungefähr zehnmilliardenmal größer als die relativistische Masse eines Photons."
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