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News: Säugetiere und Moleküle

Einer neuen Untersuchung zufolge gab es bereits vor mehr als 100 Millionen Jahren zur Blütezeit der Dinosaurier mindestens fünf verschiedene Abstammungslinien von Placenta-Säugetieren. Die Arbeit widerspricht anderen Untersuchungen, wonach die Blütezeit der Säugetiere nach dem Aussterben der Dinosaurier mit Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren einsetzte.
Unterschiedliche Entwicklungslinien in der frühen Kreidezeit führten zu den Tiergruppen, die wir heute als Eichhörnchen, bestimmte südamerikanische Nagetiere, Elefanten und die meisten behuften Säugetiere und Fleischfresser kennen. Natürlich sahen die Vorfahren der Katzen, Elefanten und Eichhörnchen überhaupt nicht so aus wie heute. Sie sahen sich vielleicht sogar alle ähnlich, doch die Entwickungslinien existierten bereits.

Die in Nature vom 30. April 1998 veröffentlichte Untersuchung hat sogar zwei unterschiedliche, sich bisher ergänzende Untersuchungsmethoden der Evolutionsforschung vereint. Sie ermöglicht es den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem sich zwei Entwicklungslinien voneinander trennten und jede für sich einen unabhängigen Abstammungsbaum darstellte.

Die erste Methode basiert auf der direkten Untersuchung von Fossilien. Das entwicklungsgeschichtlich früheste bekannte Fossil einer Gruppe erlaubt keine Angabe darüber, wann sich die Entwicklungslinie aufgespalten hat. Es erlaubt nur den spätesten Zeitpunkt festzulegen. Der früheste und primitivste Hominid zum Beispiel, ein Mitglied der menschlichen Familie, ist Ardipithecus ramidus, der in Äthiopien vor 4,4 Millionen Jahren lebte. Man stuft ihn als näher verwandt zu den Menschen als zu den Affen ein, weil er zweifüßig war und eine Reihe von bestimmten Spezialisationen in bezug auf seine Zähne besaß. Aber gerade weil Ardipithecus bereits ein Hominide ist, muß die Auftrennung zwischen Hominiden und Affen bereits vor dem Zeitpunkt von 4,4 Millionen Jahren stattgefunden haben.

Somit werden uns Fossilien niemals verraten, wann sich Entwicklungszweige aufgespalten haben. Sie geben immer nur Auskunft darüber, daß die Abspaltung bereits vor der Zeit des frühesten bekannten Fossils einer Gruppe stattgefunden haben muß.

Die zweite Methode besteht darin, die Evolution zu untersuchen, ist, die Nukleotid-Sequenz rezenter Tiere zu bestimmen und die Unterschiede festzustellen. Daraus läßt sich dann ein evolutionärer "Familien-Stammbaum" erstellen, der den Grad der Verwandtschaft untereinander darstellt. Wissenschaftler gehen davon aus, daß sich die Mutationen der Nukleotid-Sequenz mit einer immer gleichen Rate pro Zeit ereignen – die Änderungen der Nukleotidsequenz quasi dem Ticken einer Uhr entsprechen. Wenn man die Muster der Abweichungen in einem solchen rekonstruierten Stammbaum analysiert, müßte man demnach im Prinzip in der Lage sein, den Zeitpunkt (in einem gewissen Fehlerbereich) zu bestimmen, zu dem die Aufspaltung erfolgte.

Wenn ein evolutionärer Stammbaum, der durch fossile Indizien konstruiert wurde, mit einem solchen verglichen wird, der durch genetische Nachweise erstellt wurde, so sollte das Muster der Abspaltungen nahezu identisch sein. Ist das früheste bekannte Fossil als Indiz einer Gruppe lediglich ein paar Millionen Jahre jünger als die berechnete Abspaltungszeit durch Analyse der Moleküle, dann kann man annehmen, daß der fossile Fund für diese bestimmte Gruppe ein gutes Kennzeichen ist, da er nahe am wirklichen Abspaltungspunkt liegt.

Das Problem ist, daß sich zwar viele Gene sich in einer solchen Uhr-ähnlichen Weise verändern, die Geschwindigkeiten, mit der diese Uhren laufen, aber bei unterschiedlichen Genen ebenso verschieden sind. Viele Gene in Nagetieren zum Beispiel haben sich im Vergleich mit anderen Tieren schneller entwickelt. Dies hat zu der Schlußfolgerung geführt, daß Abstammungslinien, die zu den verschiedenen Arten von Nagetieren, Eichhörnchen, Mäusen und so weiter führen, schon eine sehr lange Zeit voneinander getrennt sein müssen. Diese Schlußfolgerung konnten viele Paläontologen nur sehr schwer akzeptieren.

Die Lösung von Kumar und Hedges, den Autoren des Artikels, lautet: Gleichzeitig viele Gene untersuchen. Auf diese Weise werden die wenigen extremen Ergebnisse den vielen moderaten untergeordnet, und man sollte in der Lage sein, einen Mittelwert der molekularen Uhren zu erhalten. Kumar und Hedges untersuchten immerhin 658 Gene zu diesem Zweck.

Anhand ihres Abstammungsbaums und der mit Hilfe der mittleren molekularen Uhrgeschwindigkeit errechneten Daten der Abzweigungspunkte konnten sie eine gute Übereinstimmung mit den fossilen Funden der Wirbeltiere finden. Sie reichen zurück vom Präkambrium vor mehr als 500 Millionen Jahren bis in die Zeit vor 5,5 Millionen Jahren, als sich die Zweige der Schimpansen und des Menschen voneinander trennten – direkt vor dem Punkt des frühesten bekannten fossilen Fundes eines Hominiden, Ardipithecus.

Diese Übereinstimmung über zwei Größenordnungen hinweg bestätigt, daß die Wissenschaftler auf dem richtigen Weg sind. Aber es gibt noch ein paar Unstimmigkeiten im Bild. Die frühesten fossilen Vertreter der Eichhörnchen sind nur ein Viertel so alt wie nach der molekularen Methode errechnet – eine größere Diskrepanz als sonstwo in den fossilen Funden. Ähnliche Befunde treffen auf die südamerikanischen Säugetiere und für die sogenannten Paenungulates (Elefanten und Seekühe) und einige andere zu. Daraus folgt, daß die fossilen Funde für diese Gruppen lückenhaft sind, und daß vermutlich fossile Funde gemacht werden könnten, die bis in die Kreidezeit zurückreichen.

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