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Artenvielfalt: Sag mir, warum so viele Bäumlein stehen

Im Dschungel ist es nicht nur für Laien schwer, das Ökosystem Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Noch schwieriger ist es allerdings, einen zweiten Baum der gleichen Art zu finden: Zu groß ist die Vielfalt, zu selten die einzelnen Individuen - zwei Dinge, die einander womöglich bedingen.
Regenwald in Chiapas
"In der Vielfalt lässt sich nur schwer angeben, was am meisten beeindruckt: (…) die Neuheit der parasitischen Pflanzen, die Schönheit der Blüten, das glänzende Grün des Laubes, aber vor allem die Üppigkeit der ganzen Vegetation erfüllte mich mit Bewunderung." So sprach Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, im Jahr 1832, nachdem er erstmals seinen Fuß in die artenreichen Regenwälder Brasiliens gesetzt hatte.

Seit diesen Tagen rätselt die Wissenschaft, was den unglaublichen Artenreichtum der Tropen überhaupt bewirkt: Liegt es an den langen Phasen ungestörter Entwicklung, in der die Evolution dieses Füllhorn an Spezies hervorbringen konnte, während im Norden die Eiszeiten diesem Prozess immer wieder ein jähes Ende setzten? Oder hängt es mit dem Mehr an ökologischen Nischen zusammen, die etwa mitteleuropäischen Buchenhainen fehlen? Und welche Rolle spielt die Nährstoffarmut vieler tropischer Böden? Oder bringt gerade erst die Vielfalt weitere Vielfalt hervor, weil sie über den Konkurrenzdruck Innovationen und Gegenstrategien fördert?

Alle diese Faktoren spielen sicherlich eine Rolle, doch noch sind viele Fragen offen. Zumindest eine weitere Teilantwort geben nun Wissenschaftler aus aller Welt unter Leitung des Biologen Cristopher Wills von der Universität von Kalifornien in San Diego [1]. Sie nahmen die Baum-Überlebensrate vom kleinen Keimling bis zum erwachsenen Edelholz in sieben naturbelassenen, aber intensiv erforschten Regenwäldern von Barro Colorado Island im Panamakanal über Mudumalai in Indien bis hin nach Pasoh in Malaysia unter die Lupe.

"Vielfalt ist ein wesentlicher Bestandteil dieser komplexen Ökosysteme und wird entsprechend von deren Prozessen gefördert"
(David Wills)
An all diesen Orten bürdeten sich die Forscher die Sisyphosarbeit auf und vermaßen auf 16 bis 52 Hektar großen Waldparzellen alle Bäume, die in 1,3 Meter Höhe einen Stammdurchmesser von mehr als einem Zentimeter aufwiesen, und bestimmten sie bis zur Art. Diese Maßnahme wurde dann an allen Standorten nach jeweils fünf und in Panama sowie in Malaysia zudem noch mal nach zehn Jahren wiederholt, um zu sehen, wie sich die Zusammensetzung der Holzgewächse veränderte – die Biologen konnten so nachvollziehen, was mit Tausenden von Bäumen zwischen den Zählungen geschah.

Baumvermessung | Wissenschaftler vermessen einen Urwaldriesen auf Barro Colorado, einer Insel im Panamakanal, die seit Jahren im Mittelpunkt der Regenwaldforschung steht.
Das Ergebnis war eindeutig: Je mehr Nachwuchs eine bestimmte Art produzierte, desto größer war auch deren Sterblichkeit. Baumspezies mit eigentlich geringer Reproduktionsleistung wurden dagegen begünstigt – die wenigen Keimlinge, die sie hervorbrachten, hatten eine weitaus bessere Überlebensrate. Dieses Muster zeigte sich sogar innerhalb einzelner Arten: Kamen sie in einer Teilparzelle im Jugendstadium sehr häufig vor, so verkümmerten deutlich mehr ihrer Individuen als in der benachbarten Untersuchungsfläche, wo sie seltener auftraten, aber dennoch ähnlich oft die Zeiten überdauerten. Die durchschnittliche Artenvielfalt im Verhältnis zur Gesamtzahl der Bäume stieg also mit zunehmender Reifung des Bestandes deutlich an; die seltenen Bäume wurden nicht von der Mehrheit der häufigen Vertreter verdrängt, sondern behaupteten sich gegen sie.

Damit bestätigte sich eine vorherige Studie von Barro Colorado, die sich mit der Keimung aus vorhandenen Samen beschäftigte: Bereits in dieser Phase im Leben der Bäume kommt es zur ersten Selektion, denn – wiederum in Relation zur Menge – die Diversität der Keimlinge war bereits ausgeprägter als jene der anfallenden Früchte, Schoten oder Nüsse.

Die genauen Hintergründe für diesen demografischen Wandel sind Wills und seinen Kollegen noch nicht ganz klar, doch drei Aspekte könnten eine größere Rolle spielen. Sie hängen mit Nischennutzung, Konkurrenz und der einander bedingenden Vielfalt zusammen. So haben seltene Pflanzen den Vorteil, dass ihre Feinde wie Pilze, Bakterien, Insekten oder andere vegetarische Tiere sie nicht so leicht finden, sich massenhaft vermehren und leicht aufeinander überspringen können, da sie durch räumliche Trennung geschützt sind – sie werden eher übersehen. Versammlungen gleicher Bäume übernutzen eher die lokal vorhandenen Ressourcen und beeinträchtigen so ihre Zukunft. Gut gemischte Gruppen dagegen beeinflussen sich womöglich positiv, weil sie durch unterschiedliche Ansprüche auch die Lebensbedingungen für ihre Nachbarn verbessern.

Dieser Trend zu höherer Diversität im Laufe der Entwicklung des Jungwuchses gibt den Wissenschaftlern durchaus Hoffnung auf vollständige Regeneration der Regenwälder und ihrer Vielfalt, sofern die Störung nicht zu gravierend war und sich beispielsweise nur auf die selektive, schonende Entnahme einzelner Bäume beschränkte. In vielen Teilen der Welt ist dies aber nicht Fall, dort wird meist der gesamte Bestand abgeholzt oder niedergebrannt, um Plantagen oder Viehweiden anzulegen. Die Auswertung von Satellitenbildern aus dem Amazonasraum – wo gegenwärtig mit die schlimmste Landumwandlung stattfindet – durch ein Team um Daniel Nepstad vom Woods-Hole-Forschunsgzentrum zeigt jedoch, dass die Einrichtung von Schutzzonen diesen Prozess mindestens verlangsamen und meist sogar stoppen kann [2].

Im Vergleich der entsprechenden Aufnahmen von 1997 und 2000 entdeckten Nepstad und seine Kollegen, dass die Abholzung außerhalb von Naturschutzgebieten oder Indianerreservaten um das 1,7- bis 20fache und die Zahl der Feuer vier bis neunmal höher lag als innerhalb der protegierten Flächen. Selbst entlang der aktivsten Rodungsfronten hatten 33 von 38 Indianerreservaten nur Waldverluste von 0,75 Prozent der Fläche pro Jahr zu beklagen, während dieser Wert ansonsten bei mindestens 1,5 Prozent lag.

"Wird ein Wald nur wenig beschädigt, so kann er sich wieder voll erholen – sofern ihm die Gelegenheit dazu gegeben wird"
(David Wills)
Die Wissenschaftler konnten dabei zudem Bedenken von einigen Naturschützern entkräften. Denn diese befürchteten, dass die Stämme der Ureinwohner nach Kontakt mit der Moderne ihre eigenen Wälder gegen Geld verscherbeln könnten. Doch selbst bei Völkern, die seit 400 Jahren in Kontakt mit Weißen stehen, wurde kein Anstieg der Rodungstätigkeiten in den Reservaten beobachtet. Und nicht einmal eine höhere Bevölkerungsdichte beeinträchtigte die Indianer im Schutz ihrer Heimat – den Regenwald zu retten, geht also auch mit seinen Menschen.

Dem trug die brasilianische Regierung im letzten Jahr sogar schon Rechnung: Mit breiter Unterstützung durch Naturschützer, Kleinbauern und Indianer wies sie ein fünf Millionen Hektar großes Reservat im Bundesstaat Pará aus, das zwei weitere Reservate zu einem insgesamt 24 Millionen Hektar umfassenden Regenwaldpark vereint. Die Üppigkeit der ganzen Vegetation kann Darwins Nachfolger also vielleicht auch noch zukünftig mit Bewunderung erfüllen.

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