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Archäologie: Sah so der Denisova-Mensch aus?

Denisova-Menschen hatten breite, neandertalerartige Gesichtszüge, meinen Wissenschaftler nach einer Analyse, bei der sie epigenetischen Modifikationen der alten DNA auswerteten.
Vorläufiges Porträt einer jungen Denisova-Frau

Nach einer Analyse der DNA des Denisova-Menschen präsentieren Forscher einen ersten Einblick in das mutmaßliche Aussehen der ausgestorbenen Homininen. Man kennt die Denisovarer, nachdem Archäologen einzelne Knochenfragmente in einer Höhle in Sibirien entdeckt haben, nun seit rund einem Jahrzehnt. Wie die mysteriösen Menschenverwandten ausgesehen haben, blieb allerdings spekulativ: Man fand in der Denisova-Höhle nur wenige kleine Fossilien, meist Zähne. Ein auf dem Tibetplateau entdeckter Kieferknochen steuerte 2019 Detailinformationen bei – wie auch ein Fingerglied, das zwischenzeitlich beim Transfer zwischen Laboren in Russland, Kalifornien und Paris schon verloren geglaubt war. Keines dieser Fundstücke ist allerdings besonders groß oder ausreichend vollständig, um viele Details der Denisovaner rekonstruieren zu können.

Der sibirische Geisterstamm gibt Geheimnisse preis

Computerbiologen stellen jetzt im Fachmagazin »Cell« vor, wie sie die Anatomie des ausgestorbenen Menschen im Grundsatz ausgesehen haben könnten: Ihre Skizze des Äußeren eines Denisova-Menschen stützt sich auf die Analyse von epigenetischen Veränderungen, also biochemischen DNA-Modifikationen, die sich auf die Aktivität der Gene eines Individuums auswirken. Auf dieser Basis arbeiten die Forscher heraus, dass Denisovaner insgesamt dem Neandertaler ziemlich ähnelte, sich aber in subtilen anatomischen Details auch unterschied: So hatte er wohl einen etwas breiteren Kiefer und Schädel.

Porträt einer jungen Denisovanerin | Aus den Erbinformationen des Denisova-Menschen haben Bioinformatiker die anatomischen Merkmale dieses Menschenvolks rekonstruiert. Auf ihren Ergebnissen beruht dieses Bildnis eines Denisova-Mädchens.

Die Arbeit helfe dabei »eine klarere Vorstellung davon zu entwickeln, wie sie ausgesehen haben könnten. Und allein die Idee ist beeindruckend, dass man DNA dazu nutzen kann, die Morphologie derart gut vorherzusagen«, meint Bence Viola, ein Paläoanthropologe er University of Toronto in Kanada gegenüber »Nature News«. Der Wissenschaftler hat bereits an Denisova-Resten geforscht, war an der aktuellen Forschungsarbeit aber nicht beteiligt.

Kartierte Methylierung

Epigenetische Modifikationen an der DNA können die Entwicklung, den Gesundheitszustand und die meisten biologischen Eigenschaften des Menschen über sein gesamtes Leben hinweg drastisch beeinflussen. An ihnen kann man auch Unterschiede zwischen einzelnen Zellen festmachen, die ansonsten genetisch völlig identisch sind. Eine besonders gut untersuchte epigenetische Veränderung ist die Methylierung von DNA-Basen, die oft mit einer gedämpften Aktivität des betroffenen Gens einhergeht. In alter DNA von Verstorbenen ist diese Methylierung allerdings nicht zu erkennen, da die chemische Gruppe rasch nach dem Tod zerfällt. Ein Forscherteam um den Bioinformatiker Liran Carmel von der Hebräischen Universität Jerusalem hatte aber schon vor einiger Zeit eine Methode entwickelt, um die alten Methylierungsmuster an Paläo-DNA zu identifizieren: Die Forscher analysieren zu diesem Zweck die beim allmählichen DNA-Zerfall typischerweise anfallenden Defekte. Im Jahr 2014 war es Carmels Team so gelungen, die Methylierungsmuster in den Genomen von Neandertalern und Denisovanern wiederauferstehen zu lassen und dabei auch ein Gen für die Extremitätenentwicklung zu identifizieren, bei dem deutliche Unterschiede im Muster zwischen den beiden ausgestorbenen Gruppen und dem modernen Menschen auffallen.

Mama Neandertaler, Papa Denisovaner: Ein erster Altmenschen-Mischling

In der aktuellen Studie führten Carmel und David Gokhman, ebenfalls Bioinformatiker an der Hebräischen Universität Jerusalem, ein Team an, das tausende weiterer Regionen im Genom identifiziert hat, in denen sich die Methylierungsmuster von Denisovanern und Neandertalern sowie modernen Menschen unterschieden. In Zuge einer Datenbankanalyse verglichen sie die Treffer dann mit epigenetischen Modifikationen im menschlichen Gewebe, die bekannte Auswirkungen auf die Genexpression haben. Daraus ergab sich eine Liste von Hunderten von Genen, die wahrscheinlich bei modernen Menschen und archaischen Verwandten unterschiedlich stark exprimiert wurden.

Auf dieser Liste von Genen versuchten die Forscher dann, solche Erbgutfaktoren zu identifizieren, die das äußere Erscheinungsbild der Denisovaner beeinflusst haben dürfen. Dazu führten sie einen weiteren Abgleich durch – diesmal mit einer Datenbank, in der die physischen Auswirkungen von Genmutationen bei Menschen mit seltenen Erkrankungen katalogisiert sind. Dahinter steckt die Idee von Carmel und Gokhman, dass sich krankheitsverursachende Mutationen und die per DNA-Methylierung reduzierte Genexpression am Ende ungefähr analog auswirken.

Vergleich mit dem Neandertaler

Vor dem Ernstfalleinsatz der Methode am Denisovaner testete das Team um Carmel und Gokhman zunächst, ob sie die Anatomie des Neandertalers erfolgreich vorhersagen kann – die ja bereits anhand von Hunderten von Fossilien gut bekannt ist. Mit ihrem Ansatz, erklärt Carmel, können qualitative und relative Vorhersagen über das Aussehen gemacht werden: Man könne sagen, »dass die Finger länger sind, nicht aber, dass sie um zwei Millimeter länger sind«, sagt er.

Bislang größtes Denisova-Fossil als sprudelnde Informationsquelle

Das Team macht 33 Neandertalermerkmale aus, die sich potenziell aus Methylierungsmustern vorhersagen lassen. Im Methodentest gelang es dann, 29 dieser Merkmale exakt vorauszusehen: Er prognostizierte etwa, dass die Art ein breiteres Gesicht und einen flacheren Kopf hatte als der moderne Mensch. Allerdings deuteten die Ergebnisse auch fälschlicherweise darauf hin, dass die bindegewebigen Nahtstellen zwischen den Schädelknochen – die Suturen – beim Menschen breiter sein sollten.

Mit diesem Vorwissen wendeten die Wissenschaftler die Technik dann auf die Denisovaner an. Im Ergebnis stand zunächst die Vorhersage, dass die alten Menschen viele Eigenschaften mit Neandertalern teilen, etwa ihre niedrige Stirn und den breiten Brustkorb – zudem identifizierte die Prognose Unterschiede, zum Beispiel breiterer Kiefer und Schädel. Klar ist: Man wird nie wissen, wie exakt das herausanalysierte Bild tatsächlich ist – immerhin aber stützen die spärlichen Fossilbelege der Denisovaner einige der Vorhersagen durchaus.

Am besten durch Fossilfunde belegt sind die geradezu gigantische Backenzähne der Denisovaner. Dies konnten die Forscher nicht vorhersagen, weil das Merkmal »Molarengröße« in der von ihnen verwendeten Datenbank nicht abgebildet war – immerhin aber postulieren, dass Denisovaner offenbar lange Zahnbögen hatte, eine mögliche Anpassung an große Zähne. Die Prognosen von Gokhman und Carmel sagten zudem richtig drei von vier analysierbaren Merkmalen eines 160 000 Jahre alten Unterkieferknochens voraus, den Forscher zuletzt auf dem Tibetplateau gefunden haben. Einen Treffer landete die epigenetische Rekonstruktion auch mit Blick auf einen neuen, noch nicht in einer Veröffentlichung beschrieben Fund: einem Schädelfragment aus der Denisova-Höhle, das Viola zuletzt bei einem Meeting präsentiert hat und das darauf hinweist, dass Denisovaner eher einen breiten Kopf gehabt haben. Abweichungen ergeben sich allerdings gegenüber einer 2019 veröffentlichten Rekonstruktion der Denisova-Fingerspitze, die demnach eher schlank wie die des Menschen war – während die Vorhersage dicke, neandertalartige Finger rekonstruiert.

Verlorene Denisovan-Fingerknochen verblüffend menschenähnlich

»Ich denke das Gesamtbild stimmt – bei den einzelnen Merkmalen gibt es aber deutlichen Spielraum«, fasst Viola zusammen. Von den Vorhersagen sei er beeindruckt – bleibe aber unsicher, inwieweit sie hilfreich sind, die tatsächliche äußere Erscheinung eines Denisovaners abzubilden. Möglicherweise von Denisovanern stammende Knochen sind selten genug und die meisten in Frage kommenden wurden bereits auf DNA oder Protein getestet: der einzigen Methode, mit der sie der ausgestorbenen Gruppe sicher zuzuordnen sind.

Die vorgestellte Methode sei »absolut ein valider Ansatz«, findet der Bioinformatiker Manolis Kellis vom MIT in Cambridge, der mit epigenetischen Daten arbeitet. Tatsächlich, ergänzt er, leisteten die Autoren gute Arbeit bei der Berücksichtigung der Unsicherheiten, die in ihre Vorhersagen einfließen: »Die daraus resultierenden Ergebnisse sind recht zuverlässig.«

Vielleicht könnten Wissenschaftler in Zukunft mit Epigenetik die Anatomie von Homininen aus Fossilfragmenten rekonstruieren – oder vielleicht sogar aus DNA-Spuren, die sie aus dem Boden isolieren, vermutet der Populationsgenetiker Pontus Skoglund vom Francis Crick Institute in London. Er glaubt allerdings, dass der Ansatz noch nützlicher sein könnte, um eher flüchtige Charakteristika zu rekonstruieren, die in den Fossilien sonst gar keinen Niederschlag finden – etwa typische Verhaltensmuster der lange ausgestorbenen Menschen.


Der Artikel ist im Original »First portrait of mysterious Denisovans drawn from DNA« in »Nature« erschienen.

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