Atommüll-Endlager: Salzstöcke sind nicht völlig wasserdicht
Steinsalz ist ein entscheidender Teil der europäischen Technikgeschichte – schon seit über 5000 Jahren baut man es in unserer Region bergmännisch ab, es prägte Handel und ganze Kulturen. Seit ein paar Jahrzehnten allerdings hat der einst in flachen Meeren abgelagerte Rohstoff eine neue Facette erhalten: Als Endlager für radioaktive Abfälle soll er die Zivilisation vor ihren eigenen Hinterlassenschaften schützen.
Doch es scheint, als hätten die Kraftwerksbetreiber die Rechnung ohne das Wirtsgestein gemacht – das vermeintlich so wasserundurchlässige Salz lässt Flüssigkeiten vermutlich schon unter weniger drastischen Bedingungen passieren als bisher vermutet, selbst wenn der Salzstock nicht schon durch den Bergbau undicht wird. Viele der als nukleare Endlager angepeilten Salzstöcke müssten damit noch einmal überprüft werden.
Wandernde Salzlauge
Die Salzstöcke galten bisher als gute Lagerstätten, weil Steinsalz über lange Zeiträume so plastisch ist, dass sich Klüfte selbst verschließen. Der Atommüll wäre tief in einer Salzblase gefangen, weit entfernt von fließendem Wasser, mit dem radioaktive Substanzen wieder an die Oberfläche gelangen könnten. Die Poren im Steinsalz enthalten zwar Salzlauge, doch diese Flüssigkeiten würden, so dachte man bisher, unter den Bedingungen von Salzdomen aus energetischen Gründen an Ort und Stelle bleiben.
Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Marc Hesse von der University of Texas hat nun gezeigt, dass real existierende Salze durchlässiger sind, als sie der Theorie nach sein sollten. Das liegt an einer lange bekannten Besonderheit des Salzes: Weil es in Wasser so gut löslich ist, müssen seine Poren – anders als zum Beispiel in Sandstein – nicht verbunden sein, damit Salzlauge wandern kann.
Wenn Druck und Temperatur hoch genug sind, reichen Lösungs- und Fällungsreaktionen zwischen festem Salz und Flüssigkeit aus, damit sich die Lauge bewegen kann. Ab welcher Tiefe das geschieht, lässt sich berechnen. Es hängt von den Oberflächenenergien der Grenzflächen zwischen Flüssigkeit und Salz sowie den Salzkörnern untereinander ab. Die relativ flachen Salzminen der Endlager sind nach diesem theoretischen Kriterium undurchlässig – in der Praxis könnte das nach den Ergebnissen der Arbeitsgruppe anders aussehen.
Zwar hat Hesses Team die Vorhersagen an synthetischen Steinsalzproben im Labor überprüft und eine gute Übereinstimmung gefunden, doch die theoretischen Schwellenwerte sind nicht die ganze Wahrheit. Die Wissenschaftler analysierten neben den Salzproben im Labor auch die Durchlässigkeit von Steinsalz in freier Wildbahn, und diese Daten sprechen eine andere Sprache. Salz ist anscheinend nicht die perfekte Barriere für Flüssigkeiten, die es eigentlich sein sollte. Damit könnten auch nukleare Endlager in Salzstöcken ihren Inhalt früher freigeben als geplant.
Verräterisches Öl
Die Daten aus Bohrprotokollen im Golf von Mexiko, wo Salz oft Öllagerstätten überdeckt, zeigen Bestandteile von Öl und Gas sogar in jenen Teilen des Salzstocks, die der Theorie nach undurchlässig sind – Druck und Temperatur sind zu gering, um Flüssigkeiten wandern zu lassen, ebenso der Porenraum. Trotzdem bewegen sich die Stoffe durch das undurchlässige Salz.
Der Mechanismus hängt vermutlich mit jener Eigenschaft zusammen, die es als Lagerstätte attraktiv macht – seiner Fließfähigkeit. Hesse und sein Team mutmaßen, dass die Scherkräfte in fließendem Salz dazu führen, dass sich die mikroskopischen Körner durch Lösung und Kristallisation an ihren Grenzen verformen. Dieser Prozess würde die Salzlauge im Gestein ganz anders verteilen als in den statischen Lagerstätten, von denen das theoretische Modell ausgeht. Die Flüssigkeit würde entlang der dynamischen Korngrenzen durch das Gestein kriechen und so Kanäle schaffen, wo keine sein sollten.
Hesse und seine Arbeitsgruppe sind allerdings weit davon entfernt, Steinsalz grundsätzlich für ungeeignet zu erklären. Sie merken zwar an, dass potenzielle Endlager Bedingungen aufweisen, unter denen sich nach ihren Befunden Lauge bewegen kann – andererseits seien die Scherspannungen in solchen flachen Steinsalzlagern vergleichsweise gering. Deswegen seien sie wahrscheinlich dicht. Trotzdem schlagen die Wissenschaftler vor, im Hinblick auf ihre Ergebnisse auch die tektonische Geschichte, vorhandene Spannungen und die Porenstruktur der Salzstöcke gründlich zu analysieren, bevor die Entscheidung für ein Endlager fällt.
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