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Sandaale: Fangverbot für Minifische soll Papageitaucher retten

Großbritannien verbietet den Fang von Sandaalen. Naturschützer sehen darin eine historische Chance, den Niedergang europäischer Meeresvögel zu stoppen.
Papageitaucher mit Sandaalen
Sandaale sind eine bedeutende Nahrungsquelle für Papageitaucher. Die kleinen Fische dienen zur Ernährung der Jungtiere.

Es ist ein Erfolg für den internationalen Naturschutz, der Artenschützer auf eine Trendwende für viele bedrohte Seevögel in Europa hoffen lässt: Nach jahrelanger Debatte hat die britische Regierung ihre Gewässer dauerhaft für die Fischerei nach Sandaalen geschlossen. Das bereits im Februar beschlossene Verbot trat mit Beginn der Fischereisaison in der vergangenen Woche in Kraft. Seitdem sind die Gewässer Großbritanniens und Schottlands auch tabu für die Fangflotten der EU. Englischen und schottischen Fischern war die Jagd auf die kleinen Meeresfische schon seit mehreren Jahren untersagt.

Sandaale nehmen eine zentrale Rolle im Nahrungsnetz ein. Sie ernähren sich von kleinen wirbellosen Tieren, dem so genannten Plankton, und werden ihrerseits von größeren Fischen, Meeressäugern und Seevögeln gefressen. Das macht sie zu einer Schlüsselart für das gesamte Ökosystem der Nordsee. Ihr Verbreitungsgebiet gleicht einem Flickenteppich, weil sie bevorzugt dort leben, wo der Untergrund sandig ist: Die nur wenige Zentimeter langen Fische verbringen einen Teil ihres Lebens im Meeresboden eingegraben und benötigen Sand für die Eiablage. Die Gewässer vor der britischen Insel gelten als eine ihrer wichtigsten Reproduktionsstätten in Europa.

Dort finden sich auch einige der weltweit größten Seevogelkolonien. Diese sind in den vergangenen Jahren parallel zur Abnahme der Sandaalbestände drastisch geschrumpft. So verschwand seit der Jahrtausendwende jeder vierte Papageitaucher im Vereinigten Königreich, wie eine Langzeitzählung ergab. Die Zahl der Dreizehenmöwen-Brutpaare brach um mehr als 60 Prozent ein. In Schottland, wo mehr als die Hälfte aller britischen Seevögel – und damit ein großer Teil des europäischen Gesamtbestands – brütet, verzeichnen zwei von drei Seevogelspezies Bestandseinbußen.

Als eine der wichtigsten Ursachen dafür gilt die Sandaalfischerei. Denn Arten wie Papageitaucher, Tordalk, Eissturmvogel oder Dreizehenmöwe sind auf die kleinen Beutefische angewiesen, um ihre Küken aufzuziehen. Dass die Sandaalbestände massiv überfischt wurden, ist für Ökologen seit Jahrzehnten ausgemachte Sache. Der starke Einbruch der Fangmengen ungefähr seit der Jahrtausendwende deutet ebenfalls darauf hin.

Viele Meeresvögel versuchen, sich dem knapperen Angebot an Sandaalen anzupassen. So ergab die Analyse der Nahrung von Trottellummen aus Kolonien in der Irischen See, dass statt Sandaal vermehrt ernährungsphysiologisch weniger wertvolle Kleinfische auf dem Speiseplan standen. Sollte dieser aus der Not geborene Trend anhalten, wäre die Anpassung an eine weitaus weniger gehaltvolle Nahrung nach Einschätzung von Wissenschaftlern eine Gefahr auch für diese bislang nicht bedrohte Vogelart.

Dänische Fischer fordern »Kampf bis zum letzten Blutstropfen« gegen das Verbot

Für die Industriefischerei sind Sandaale nicht als Lebensmittel für Menschen interessant. Sie werden stattdessen zur Herstellung von Fischmehl und -öl gefangen und dann in der Fischzucht verfüttert.

In der Nordsee wird die Sandaalfischerei hauptsächlich von Norwegen und Dänemark betrieben. Während Norwegen überwiegend in seinen eigenen Gewässern fischt, beuteten dänische Firmen bislang vor allem die britischen und schottischen Gewässer aus. Nach Angaben der zuständigen Meeresmanagement-Organisation wurden im Zeitraum 2015 bis 2019 jährlich durchschnittlich 257 000 Tonnen Sandaal hauptsächlich von dänischen Schiffen in britischen Gewässern gefangen. Zuletzt schrumpften die Fangmengen im britischen Hoheitsgebiet auf rund 100 000 Tonnen pro Jahr zusammen. Trotz immer geringerer Fangmengen wollen die dänischen Fischereiverbände die Jagd auf Sandaale nicht einstellen. Sie werfen Großbritannien vor, mit dem Fangverbot gegen Vereinbarungen der Brexit-Verhandlungen zu verstoßen, in denen EU-Fischern weiterhin Fangrechte für britische Gewässer gewährt wurden. Angesichts der ökonomischen Dimension müsse die dänische Regierung »bis zum letzten Blutstropfen« gegen die Entscheidung kämpfen, forderte der Vorsitzende der dänischen Produzentenorganisation, Jens Schneider Rasmussen, in einem Pressestatement.

Die Sandaalfischerei hat auch gravierende Auswirkungen auf viele andere Meerestiere der Nordsee, darunter Kegelrobben und Schweinswale. Gerade in den für Paarung und Geburt wichtigen Gebieten sei bislang intensiv nach Sandaalen gefischt worden, kritisierte die Wal- und Delfinschutzorganisation WDC. Die Konkurrenz durch die Fischfangflotten habe dazu geführt, dass zahlreiche Wale verhungerten und ihr Nachwuchs geringere Überlebenschancen habe.

NABU: »Deutschland muss von Großbritannien lernen«

Der Meeresexperte des Naturschutzbundes NABU, Kim Detloff, sieht die britische Entscheidung als Vorbild für die Bundesregierung an. In der deutschen Nordsee finde ebenfalls industrielle Sandaalfischerei statt und zerstöre den Meeresboden, sagt der Biologe. Damit werde auch hier zu Lande den durch den Ausbau der Offshore-Windenergie schon stark belasteten Fisch fressenden Seevögeln wie Seetauchern und Trottellummen die Nahrungsgrundlage entzogen. Diese Form der Industriefischerei zur Gewinnung von Fischöl und Tierfutter müsse ein Ende haben. »Von der britischen Entscheidung kann und muss Deutschland lernen«, fordert Detloff.

Das Verbot sei »eine lebenswichtige Rettungsleine für Seevögel« zu einem Zeitpunkt, an dem sie diese am meisten brauchen würden, zitiert der britische Vogelschutzverband RSPB seine Chefin Beccy Speight. Insbesondere setzt derzeit die Vogelgrippe den Seevögeln massiv zu. In vielen Beständen hat sie bereits zu starken Verlusten geführt.

Andere Experten sind weniger euphorisch. Die Meeresökologin Ruth Dunn von der Lancaster University hält das Verbot zwar auch für wichtig, sieht im Klimawandel aber eine noch größere Bedrohung für Seevögel als durch die Fischerei, wie sie in einem Beitrag für »The Conversation« schreibt. Erst vor wenigen Monaten hatten Wissenschaftler auf die bislang unterschätzten Auswirkungen von Hitzewellen im Meer infolge des Klimawandels für Seevögel aufmerksam gemacht. In den vergangenen Jahren seien durch die dadurch ausgelöste Nahrungsknappheit bereits Millionen Seevögel gestorben.

Dunn verweist zudem auf Studien, die belegten, dass Sandaale im viel zu warmen Nordseewasser immer zeitiger im Frühjahr ihre Quartiere im Meeressand verließen. Für die Vogelküken im Frühsommer stünden sie dann als Nahrungsquelle nicht mehr zur Verfügung. Die steigenden Meerestemperaturen verschieben zudem die saisonale Entwicklung des Zooplanktons, von dessen Verfügbarkeit wiederum das Wachstum und Überleben der Sandaallarven abhängig ist. »Um sicherzustellen, dass gesunde Sandaalpopulationen auch in Zukunft Seevögel ernähren können, müssen wir die Meere kühl halten, damit sich die Bestände wieder auf das Niveau von vor der Fischerei erholen können«, schreibt die Meeresökologin Dunn.

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