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Umweltzerstörung: Das verheerende Treiben der Sandmafia

Kriminelle Kartelle entreißen Flüssen und Meeren wertvollen Sand, um die weltweite Nachfrage aus der Bauindustrie zu decken. Damit ruinieren sie Ökosysteme und die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung. Wie kann man sie stoppen?
ein Kipplaster hinterlässt Spuren im Sand. Zu sehen ist nur der untere Teil des Lasters (Räder und Teil der Ladefläche)

Bei erdrückender Hitze waren Abdelkader Abderrahmane und seine Kollegen schon sechs Kilometer über trockenes, staubiges Terrain gefahren, als nahe der marokkanischen Stadt Kenitra plötzlich ein Geländewagen auf sie zuraste. Ein Mann mit einer Gendarmenmütze zwang mit wütenden Gesten die Ermittler für grenzüberschreitende Sicherheit anzuhalten. »Was wollt ihr hier?! Hier geht es nirgendwo hin.« Abderrahmanes Kollege sagte, sie wollten nur den Strand und das nahegelegene Touristencamp besuchen. Der Gendarm schüttelte den Kopf: Sie dürften hier nicht weiter.

Die Gruppe kehrte um und begann, auf der holprigen Straße zurückzufahren. Aber sobald der Gendarm außer Sichtweite war, bogen die Männer ab und schlichen sich an der versteckten Seite eines Bergrückens entlang. Etwa 400 Meter weiter hielten sie an und stellten den Motor ab. Abderrahmane ging leise zum Kamm der Klippe und spähte hinunter. Obwohl der Ermittler schon viel zu illegalem Sandabbau geforscht hatte, war er auf den Anblick, der ihn dort unten erwartete, nicht vorbereitet. Ein halbes Dutzend Kipplaster, verstreut über eine tief zerklüftete Mondlandschaft, waren bis oben hin mit braunem Sand gefüllt. Gleich dahinter lag das hellblaue Meer. Abderrahmane war fassungslos angesichts der »großen Verschandelung« der Dünen, wie er später in einem Videogespräch resümiert: »Das war ein Schock.«

»Man kann nicht illegal Sand am helllichten Tag abbauen, wenn man keine Leute hat, die einem helfen«Abdelkader Abderrahmane, Ermittler

Schockiert war er teils vom Anblick der geschändeten Natur, teils von der Unverfrorenheit der Männer in den Lastwagen, die den Sand einfach bei Tageslicht abtransportierten. »Man kann nicht illegal Sand am helllichten Tag abbauen, wenn man keine Leute hat, die einem helfen«, sagt er und meinte damit Personen in hohen Positionen: »Die großen Unternehmen werden geschützt, vielleicht von Ministern oder stellvertretenden Ministern oder wem auch immer. Es ist ein ganzes System.« Jeder im Geschäft mit Sand profitiere davon, von ganz oben bis ganz unten.

In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hat Abderrahmane für das Institute for Security Studies (ISS) – eine afrikanische Forschungs- und Politikberatungsorganisation mit Sitz in Südafrika – Handel und Verbrechen im Umweltbereich untersucht. Unterlagen der ISS belegen, wie Umweltzerstörung Spannungen zwischen den Menschen schüren und die Sicherheit gefährden kann. Doch bis vor wenigen Jahren hatte Abderrahmane noch nie etwas von Sandschmuggel gehört. Auf Feldforschung zum Drogenhandel in Mali wurde er zum ersten Mal darauf aufmerksam: Ein Informant wies ihn darauf hin, dass das meiste Cannabis in Mali aus Marokko stamme und dass die Drogenhändler auch am Sandhandel beteiligt seien. »Wenn man über Sandschmuggel spricht, glauben die meisten Leute nicht, dass es das überhaupt gibt«, sagt Abderrahmane. Ihm sei es genauso gegangen.

2050 könnte der Bausand ausgehen

Nur sehr wenige Menschen nehmen das illegale Sandsystem genau unter die Lupe. Dabei ist der Sandabbau der größte Wirtschaftszweig der Welt, denn der Rohstoff ist ein Hauptbestandteil von Beton – und seit Jahrzehnten erlebt die globale Bauindustrie einen Aufschwung. Einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen zufolge werden jedes Jahr weltweit bis zu 50 Milliarden Tonnen Sand verbraucht. Die einzige natürliche Ressource, von der noch mehr geschöpft wird, ist Wasser. Laut einer Studie der Universität Amsterdam aus dem Jahr 2022 wird aus Flüssen weitaus mehr Sand geholt, als die Natur ersetzen kann. Bis 2050 könnte der Welt dadurch der Bausand ausgehen. Der UN-Bericht bestätigt, dass der Sandabbau im derzeitigen Umfang nicht nachhaltig ist.

Ein Rohstoff wird knapp | Die weltweite Nachfrage nach Sand steigt seit mehr als 100 Jahren ununterbrochen. Der Rohstoff ist ein wichtiger Bestandteil für Beton, Glas und Elektronikbauteile. Prognosen zufolge wird der Hunger nach Sand künftig noch stark zunehmen, so dass er bald nicht nur die Produktionskapazitäten übersteigt, sondern möglicherweise auch die Regenerationsfähigkeit der Natur. Das treibt die Preise weiter in die Höhe.

Die größte Nachfrage kommt aus China, das in drei Jahren mehr Zement verbraucht hat (6,6 Gigatonnen von 2011 bis 2013) als die USA im gesamten 20. Jahrhundert (4,5 Gigatonnen), erklärt Vince Beiser. Der Journalist schrieb in seinem 2018 erschienenen Buch »The World in a Grain« (auf Deutsch unter dem Titel »Sand«) über den Sandhunger des 21. Jahrhunderts. Der meiste Sand wird in dem Land weiterverarbeitet, in dem er abgebaut wird. Doch nationale Reserven schwinden langsam, und so haben im Jahr 2018 Länder weltweit den Rohstoff im Wert von rund 1,7 Milliarden Euro importiert – ein Rekordhoch laut dem »Atlas of Economic Complexity« der Harvard University.

Große und kleine Unternehmen baggern Sand aus Wasserstraßen und vom Meeresboden ab und transportieren ihn zu Großhändlern, Bauunternehmen und Einzelhändlern. Selbst der legale Sandhandel ist schon schwer zu verfolgen. Je nachdem, wen man fragt, schätzen einzelne Experten den Weltmarkt auf gut 90 Milliarden Euro pro Jahr, doch laut dem Geologischen Dienst der USA könnte der Wert sogar bei mehr als 720 Milliarden Euro liegen. Sand in Flussbetten, Seen und Uferzonen eignet sich am besten für den Bau, doch weil das Gut knapper wird, kommt auch schlechter geeigneter Sand von landseitigen Stränden und Dünen auf den Markt. Viele der Gebiete werden illegal und zu niedrigen Preisen abgetragen. Angesichts der sich abzeichnenden Knappheit und der steigenden Preise wird Sand von marokkanischen Stränden und Dünen sowohl innerhalb des Landes verkauft als auch ins Ausland verschifft. Das geschieht über die ausgedehnten Transportnetze des organisierten Verbrechens, wie Abderrahmane beobachtet hat. Mehr als die Hälfte des marokkanischen Sandes wird ihm zufolge illegal abgebaut.

Leicht verdientes Geld für Verbrechersyndikate

Luis Fernando Ramadon, ein Spezialist der brasilianischen Bundespolizei, schätzt, dass mit illegal gehandeltem Sand weltweit 185 bis 320 Milliarden Euro pro Jahr verdient werden. Das ist mehr als durch illegalen Holzschlag, Goldabbau und Fischfang zusammen. Für Verbrechersyndikate ist es leicht verdientes Geld.

Die ökologischen Folgen sind enorm. Werden Flüsse ausgebaggert, zerstört das Flussmündungen und Lebensräume und begünstigt Überschwemmungen. Wer Küstenökosysteme abträgt, wühlt Vegetation, Erdreich sowie Meeresböden auf und bringt das Leben im Meer durcheinander. In einigen Ländern mache der illegale Sandabbau einen großen Teil der Gesamtproduktion aus, und seine Umweltauswirkungen seien oft noch schlimmer als die des rechtmäßigen Abbaus, sagt Beiser. Und das nur, um billig Städte zu bauen.

Problematischer Sandabbau findet weltweit statt. In den frühen 1990er Jahren stoppten die Behörden in San Diego County, Kalifornien, den Abbau am San Luis Rey River – nur um dann zusehen zu müssen, wie die Banden über die Grenze nach Mexiko zogen, um dort die Flussbetten zu verwüsten. Bis vor einigen Jahren holte das internationale Bauunternehmen Cemex nördlich der kalifornischen Küstenstadt Monterey jährlich mehr als 270 000 Kubikmeter Sand vom Strand, allerdings in einer rechtlichen Grauzone. Dies war die letzte Strandmine in den USA, und auf Grund des Drucks der aus Bevölkerung wurde sie Ende 2020 endgültig geschlossen. Der Bergbau in Flüssen und Flussdeltas wird jedoch überall in den USA weiterhin betrieben, und zwar nicht nur legal.

Sand ist hartes, körniges Material – das kann etwa von Steinen oder Muscheln stammen – nach üblicher Definition mit einem Durchmesser zwischen 116 und 2 Millimetern. Feiner Sand dient zur Herstellung von Glas, noch feinere Sorten finden sich in Solarzellen und Siliziumchips für die Elektronik. Die Körner des Wüstensands sind in der Regel durch die ständige Verwitterung abgerundet wie winzige Murmeln. Der beste Bausand hat jedoch kantige Körner, was förderlich für das Abbinden von Betonmischungen ist. Flusssand eignet sich dafür besser als Küstensand, auch weil Letzterer erst von Salz befreit werden muss. Dennoch wird Material von Küsten verwendet, vor allem, wenn es die Bauherren eilig haben. Die damit hochgezogenen Gebäude sind allerdings weniger robust und bergen deshalb größere Risiken für die Bewohner. Solche Schnellschüsse hätten beispielsweise zu den schlimmen Schäden des katastrophalen Erdbebens beigetragen, das im Februar 2023 die Türkei und Syrien erschütterte, sagt die Geografin Mette Bendixen, die seit 2017 an der McGill University die Auswirkungen des Sandabbaus untersucht.

Umweltkriminalität als Einstieg für Verbrecher

Louise Shelley, die Leiterin des Zentrums für Terrorismus, transnationale Kriminalität und Korruption an der George Mason University in Fairfax, Virginia, machte mich erstmals auf die Sandmafia aufmerksam. Sie erkannte, dass der Sandabbau eine natürliche Entwicklung des organisierten Verbrechens darstellen könnte, als sie 2018 als Gast an einer NATO-Konferenz teilnahm. Ein hoher NATO-Beamter wandte sich an sie, um mit ihr über die illegale Hochseefischerei vor Westafrika zu sprechen, seiner Ansicht nach eine ernste Bedrohung für die Sicherheit Europas und der NATO. Sie sprachen darüber, wie die niedrigen Einstiegshürden für Umweltverbrechen wie die Wilderei kriminelle Banden anlocken. Diese wechselten anschließend zu anderen Arten der organisierten Umweltkriminalität wie dem verbotenen Holzeinschlag. Der Sandabbau war ein weiteres typisches Beispiel. Shelley zufolge treffen in Nordwestafrika mehrere Faktoren zusammen, die den gesetzeswidrigen Handel begünstigen: Die Region bietet Zugang zu den Märkten in Europa, und ihr Geflecht aus instabilen Regierungen, terroristischen Gruppen und korrupten internationalen Konzernen macht sie anfällig.

Neben den sozialen Auswirkungen sorgt sich Shelley um die katastrophalen ökologischen Folgen. Der Sandabbau zerstört das natürliche System zur Wasserspeicherung. Das beeinflusst das tägliche Leben der Menschen immens: Flusssand wirkt wie ein Schwamm und sorgt dafür, dass sich das Einzugsgebiet nach Trockenperioden wieder regeneriert. Wird zu viel Sand entnommen, kann sich der Fluss nicht mehr auf natürliche Weise erholen, was die Wasserversorgung der Menschen verschlechtert und ebenso Tieren und Pflanzen schadet. Im Mekongdelta in Vietnam wurde mittlerweile so viel Sand abgebaut, dass das Flusssystem austrocknet.

Wird Sand von den Küsten weggebaggert, gefährdet man dadurch das Land, das bereits vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen ist, noch stärker. Abderrahmane hat das in Marokko erlebt, als er von Rabat aus in Richtung Norden nach Larache fuhr, bekannt als »Balkon des Atlantiks«. In einem Regierungsdokument aus dem Jahr 2001 war vorgeschlagen worden, die Natur an vielen Orten des Landes, in denen Sand abgebaut wird, stärker zu schützen – so auch in Larache. Bei seinen Recherchen vor Ort im Jahr 2021 stellte Abderrahmane jedoch fest, dass der dunkle Sand und der felsenreiche Strand dort stark vom Abbau geprägt waren: Er sah Teams von Arbeitern, die Esel mit Satteltaschen voller Sand beluden und am Ufer Krater hinterließen. Sie trieben die Tiere über Trampelpfade, die in das weiche Gestein der Klippen gegraben waren, zu Lastwagen, die oben warteten. Diese transportierten das illegal geschürfte Material weiter zu verschiedenen Betonproduktionsstätten.

Nach dem Raubbau kommen die Sturzfluten

In Mosambik wiederum wurde die Stadt Nagonha am Indischen Ozean von immer verheerenderen Sturzfluten heimgesucht. Ältere Menschen dort sagten gegenüber Amnesty International, sie könnten sich nicht an vergleichbare Überschwemmungen in der Vergangenheit erinnern – zumindest nicht, bevor das Bergbauunternehmen Haiyu im Jahr 2011 den Betrieb aufgenommen und Sand und Mineralien wie Ilmenit, Titan und Zirkon aus den Dünen gewonnen hatte. Einem Bericht von Amnesty International zufolge verteilte die Firma den übrig gebliebenen Sand über ein großes Gebiet, um eine ebene Bearbeitungsfläche zu schaffen. Das zerstörte die Vegetation und verhinderte die Entwässerung.

Die Vorgehensweise des Unternehmens entspricht nicht den mosambikanischen Gesetzen und sorgte dafür, dass Nagonha von Sturzfluten teilweise zerstört wurde, wie Amnesty International berichtet. Eine Flut spülte 48 Häuser ins Meer und machte fast 300 Menschen obdachlos. Ein Mann beschrieb Amnesty International, wie das Haus seiner Familie mit zwei Schlafzimmern verschwand: »Wir spürten, wie das Haus zusammenbrach, und rannten um unser Leben.«

Die Plünderung von Sand verändert auch die Hydrologie ganzer Flüsse. Halinishi Yusuf erlebte das, als sie als junges Mädchen in Kenia aufwuchs. Sie wurde auch Zeugin, welche gewalttätigen Auswüchse der Sandabbau annehmen kann, und half schließlich, ihn unter Kontrolle zu bringen. Yusuf forscht heute als Doktorandin an der Newcastle University in England über Sandabbau und Flusssysteme. Sie wurde in Makueni County südöstlich der kenianischen Hauptstadt Nairobi geboren. Als Kind holte sie Wasser aus dem Fluss und wie die meisten Einwohner war ihre Familie auf Regenfeldbau angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch die saisonalen Regenfälle wurden auf Grund mehrerer miteinander verbundener Klimamuster unregelmäßig, und die lokale Landwirtschaft litt. Viele Menschen verloren ihre Arbeit.

Als das Leben immer schwieriger wurde, gingen die Bewohner dazu über, Sand für den Bauboom in Nairobi abzubauen. Das war jedem möglich, weil außer einer Schaufel keine Investitionen erforderlich waren. Als Yusuf Anfang der 2000er Jahre zur Highschool ging, sah sie bei ihren Besuchen in der Heimat, wie Lastwagen im Flussbett parkten und den Sand verluden. Anwohner arbeiteten als Lader, und Händler verkauften Lebensmittel an die Besatzungen.

Yusuf brachte den Abbau damals nicht mit Umweltschäden in Verbindung. »Es war sowieso nur Sand«, beschreibt sie ihre damalige Einstellung. Und der Handel spülte Geld in die Wirtschaft; das Dorf »lebte«, wie Yusuf bei einem Videoanruf sagt. Doch die Schäden an den Flusssystemen wurden immer deutlicher. Der Grundwasserspiegel sank; Landwirte, die bereits mit Problemen zu kämpfen hatten, konnten ihre Felder nicht bewässern. Die sozialen Spannungen stiegen. Im Rahmen der Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung in Kenia übernahmen lokale Behörden der 47 Bezirke des Landes die Verantwortung für Lizenzen zum Sandabbau. Doch häufig waren sie schlecht ausgestattet und überfordert von der Aufgabe.

Tote bei Streit um Sand

Um dem Chaos Einhalt zu gebieten, verabschiedete der Bezirk Makueni 2015 ein Gesetz zur Einrichtung einer lokalen Sandbehörde. Doch schnell zeigte sich, dass das Problem nicht so einfach zu lösen war: Von 2015 bis 2017 kam es in der Region zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um Sand, bei denen mindestens neun Menschen starben und dutzende verletzt wurden. Selbst rechtmäßige Akteure operierten im Verborgenen, und die lokalen Regierungen veruntreuten die Genehmigungsgebühren, erzählt Yusuf. »Niemand hat den Sandabbau beanstandet.«

In anderen Bezirken kam es zu ähnlichen Konflikten, aber in Makueni änderte eine kleine Gruppe von Sandarbeitern ihren Kurs und wurde zu einer Art Bürgerwehr. Sie erkannten, dass der Abbau die Trockenheit verschlimmerte und nur Außenstehende von dem Geschäft profitierten. Sie sahen, wie sich Beamte an Bestechungsgeldern bereicherten und Bautrupps den Sand außer Landes schafften. Die Gruppe schwor sich, die Lastwagen um jeden Preis zu stoppen. Sie setzte das Verbot für Lastwagen in dem Gebiet durch, indem sie Fahrzeuge in Brand setzten, deren Besitzer sich nicht daran hielten. In einer Dezembernacht im Jahr 2016 starben zwei kenianische Lkw-Fahrer: Sie hatten nach Mitternacht am Muooni-Fluss geparkt und Sand aus dem Flussbett geladen. Die Bürgerwehr umzingelte sie und zündete die Lastwagen an. Beide Fahrer verbrannten »bis zur Unkenntlichkeit«, wie die Polizei den lokalen Medien berichtete.

Doch nicht alle Anwohner wollten das lukrative Geschäft unterbinden. Es kam zu Zusammenstößen zwischen zwei Gruppen, die zu weiteren Todesopfern führten. »Der Konflikt wurde von außen durch das Sandkartell in Nairobi finanziert«, sagt Yusuf, und die Strafverfolgungsbehörden hätten nicht eingegriffen.

Die Gewalt und die Umweltzerstörungen erreichten Mitte 2017 ihren Höhepunkt. Damals verließ Yusuf Nairobi, wo sie im Fischereimanagement gearbeitet hatte, und kehrte nach Hause zurück. Dort wurde sie die neue Leiterin der Makueni Sand Authority, die bis dahin kaum Fortschritte gemacht hatte.

Wichtig ist, die Anwohner aufzuklären

Zu Beginn ihrer Tätigkeit berief sie in Muooni eine morgendliche Versammlung mit den lokalen Interessengruppen ein. Mehrere Dutzend Menschen setzten sich auf Plastikstühlen in den Schatten am Muooni-Fluss, an dem der Sandabbau weit verbreitet war. Yusuf hatte ihr gesprochenes Kikamba – die lokale Sprache – vorher geübt. Obwohl sie in ihrem Job in der Fischerei an Treffen mit Interessenvertretern teilgenommen hatte, hatte sie noch nie ein solches geleitet. »Der ganze Bezirk schaut zu«, dachte sie damals. »Ich muss es gut machen.«

Yusuf erklärte den Zuhörern, wie Sand in trockenen Gebieten Wasser speichert und wie das Wasser wieder aufgefüllt wird. Sie erzählte, der Sand sei wie ein Schwamm, der Wasser für sie und das Ökosystem verfügbar mache. »Wo es Sand gibt, gibt es auch Wasser«, sagte sie ihnen. Im Lauf des Gesprächs wurde den Bewohnern klar, dass sie mit dem Sand ein Einkommen erzielen und gleichzeitig dafür sorgen können, dass er die Wasservorräte auffüllt. In den nächsten fünf Jahren gewann die Sandbehörde unter Yusufs Leitung an Vertrauen. Sie verhängte strenge Geldstrafen für illegalen Abbau.

Yusuf fuhr eine dreigliedrige Strategie. Erstens nutzte sie die Macht der Regierung, um zu verhindern, dass der Sand das Land verlässt. Die Behörde erteilte nur noch Genehmigungen an lokale Bauprojekte: keine Lastwagen aus Nairobi mehr. Zweitens setzte Yusuf eine Reihe von Treffen mit lokalen Gruppen an den Flüssen fort. Schließlich machte sie die Bilanzen ihrer Behörde öffentlich und zeigte durch diese Transparenz, dass die Hälfte der Einnahmen aus den Genehmigungsgebühren direkt in Projekte zur Flussrenaturierung floss.

Zum ersten Mal führten Sandeinnahmen zu sichtbaren lokalen Vorteilen. Die Projekte reichten von »Sanddämmen« – Betonwehre im Flussbett, die den vom Regen flussabwärts geschwemmten Sand auffangen – bis hin zu »Wassersümpfen«: Betontanks, die mehrere Meter tief im Flussbett versenkt werden und zur Trinkwassergewinnung dienen. Wenn die Flussbetten auch nur eine Regenzeit lang unberührt blieben (in Kenia gibt es davon zwei pro Jahr), konnten die Sedimente flussaufwärts die kontrollierten Entnahmen wieder auffüllen, so Yusuf. Die Gemeinschaft erkannte, dass es möglicherweise Alternativen dazu gab, den Sand an Außenstehende zu verkaufen.

Sandmafia bedroht Journalistinnen

Wo lokale Gruppen nicht die Kontrolle über die Rohstoffe haben, ist es schwieriger, Veränderungen anzustoßen. In Marokko fand Abderrahmane ein breites Spektrum von Personen vor, die von dem klandestinen System profitierten, von lokalen Arbeitern bis hin zu hohen Beamten. Die wenigen Menschen, die protestierten, wurden eingeschüchtert. Die französische Dokumentarfilmerin Sophie Bontemps erlebte das im Jahr 2021, als ihr Team in den Dünen bei El Jadida Aufnahmen anfertigte. Die Polizei verhaftete sie, weil sie gefilmt hatten, berichtet Bontemps, verhörte sie einen ganzen Tag lang und beschlagnahmte ihre Ausrüstung. Am Abend, so erzählt sie weiter, arrangierte ein Oberst des Militärs zusammen mit zwei Beamten in Zivil einen Scheinprozess in einem Hotel; gegen Mitternacht zwangen sie die Mitglieder des Teams, ein Dokument in arabischer Sprache zu unterschreiben, in dem sie zugaben, dass sie kein Recht zum Filmen hatten und zustimmten, ihre Aufzeichnungen zu löschen. Schließlich wurden sie freigelassen. Das Team hatte das Material an einem anderen Ort aufbewahrt. Ihr Film »Morocco: Sand Raiding Mafia« berichtet von Vorfällen, bei denen lokale Demonstranten bedroht und geschlagen werden.

Für Abderrahmane war es schwierig, genau zu erkennen, wie weit die Korruption reichte. Wurde Sand für nahegelegene Gebäude illegal abgebaut, würde das örtlichen Beamten möglicherweise nicht auffallen. Aber Langstreckentransporte, bei denen Dutzende von Lastwagen auf einer öffentlichen Straße weite Distanzen zurücklegen, mussten sie bemerken. In Larache konnte der Ermittler nicht auf die Unterstützung der Regierung zählen, also ging er ein Risiko ein. Sein Team gab sich als Immobilienentwickler aus, die Bauunternehmer für ein großes Projekt in Casablanca suchten. Einer von Abderrahmanes Mitarbeitern betrat ein Gelände, auf dem riesige rötliche Sandhaufen lagen und das ihnen verdächtig erschien. Es war Abend, und die Lastwagen kamen von ihren Auslieferungen zurück. Er erkundigte sich nach Angeboten für ein fiktives Bauprojekt. Die Antwort verblüffte ihn: Die Bieter könnten innerhalb einer Woche Hunderte von Lastwagen und Frontladern mobilisieren.

Länderübergreifende Kriminalität | In der Rangliste der länderübergreifenden kriminellen »Branchen« mit dem höchsten Umsatz rangiert der illegale Abbau von Sand und dessen Handel nach Produktfälschungen und Drogenhandel an dritter Stelle. 2020 erwirtschafteten Banden damit nach Angaben von Luis Fernando Ramadon, einem Spezialisten bei der brasilianischen Bundespolizei, zwischen 200 und 350 Milliarden US-Dollar (zwischen 185 und 325 Milliarden Euro)

An anderen Tagen wandte sich Abderrahmanes Mitarbeiter direkt an die Fahrer von mit Sand beladenen Lastwagen, die in der Innenstadt parkten. Vom Fahrersitz aus erklärte ein Transporteur, dass Bauunternehmen über ein Firmenkonsortium nächtliche Transporte mit bis zu 250 Wagen organisieren könnten. Sobald der Sand angeliefert wurde, mischten die Bauunternehmen den geschmuggelten Sand mit solchem aus legalen Quellen. Die Zuversicht der Bauunternehmer, derartige Mengen über große Entfernungen und entlang vieler Kontrollstellen liefern zu können, deutet laut Abderrahmane auf eine vielschichtige Beteiligung offizieller Stellen hin.

Der Sandmafia mit allen Methoden entgegentreten

Da sich die örtliche Bevölkerung oft nur schwer gegen große Syndikate wehren kann, bräuchte es internationalen Druck, damit die Regierungen die Schmuggler verfolgen. In Marokko wären für eine solche Strategie wahrscheinlich strengere Umweltgesetze erforderlich, außerdem müsste man nachhaltige Praktiken fördern und die Maßnahmen über Landesgrenzen hinweg durchsetzen. Ein internationales Zertifizierungssystem nach dem Vorbild des Forest Stewardship Council für die Holzbeschaffung werde derzeit erst noch diskutiert, sagt Pascal Peduzzi vom UN-Umweltprogramm.

Abderrahmanes marokkanischen Quellen zufolge könnte die Regierung jedoch Maßnahmen in Erwägung ziehen, wenn die fraglichen Gebiete von der Konvention über Feuchtgebiete zertifiziert würden. Das ist ein internationales Verfahren, das auf die 1970er Jahre zurückgeht und das die meisten UN-Mitgliedsländer einhalten. Ein Land reicht zunächst eine Liste von Feuchtgebieten zur Aufnahme ein. Wenn das internationale Gremium, das die Konvention überwacht, die Zulassung erteilt, können die Regionen von einem unabhängigen Beratungsausschuss überwacht werden. Das stellt sicher, dass das Gebiet erhalten bleibt und nicht ausgebeutet wird. Neue Technologien könnten außerdem dabei helfen, zu unterscheiden, ob der Sand aus einem legalen oder illegalen Betrieb stammt. 2023 haben Forschende mehrerer Universitäten beispielsweise ein optisches System vorgestellt, mit dem sich Sandkörner anhand einer Art Fingerabdruck zu ihrem Ursprungsort zurückverfolgen lassen.

»Die Sanduhr läuft ab. Das ist eine der am wenigsten untersuchten weltweiten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts«Mette Bendixen, Geografin

Louise Shelley fühlt sich von der Energie ermutigt, mit der sich eine neue Generation mit dem Problem befasst. Oft brauche man einen neuen Blick, um etwas zu verändern, sagt sie. Yusuf und Abderrahmane könnten andere Menschen inspirieren, die sich um die Umwelt sorgen. Mehr Forschung werde dazu beitragen, Verbrecherringe aufzudecken – davon ist Mette Bendixen überzeugt. 2018 seien auf der Jahreskonferenz der American Geophysical Union nur zwei Studien zum Sandabbau vorgestellt worden, fünf Jahre später seien es bereits 20 gewesen. Diese Forschung könne helfen, Sandströme zu kartieren und Hotspots sowie illegale Aktivitäten aufzuzeigen. Bendixen macht es Mut, dass die African Futures Conference 2023 dem Sandabbau einen eigenen Workshop gewidmet hat. »Die Sanduhr läuft ab«, stellt sie fest. Immer mehr Menschen mit den vielfältigsten Hintergründen machten auf das Problem aufmerksam. »Ich denke, es ist eine der am wenigsten untersuchten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.«

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