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Vulkanismus: Sauer aufgestoßen

Im Gegensatz zu Erdbeben kündigen sich Vulkaneruptionen lange vorher an - genug Zeit also für die Menschen, sich in Sicherheit zu bringen. Der chilenische Chaitén wirft nun diese Gewissheit über den Haufen.
Chaitén
Ein leichtes Erdbeben im Süden Chiles am Abend des 30. April 2008 erschütterte das kleine Küstenstädtchen Chaitén. Einige Gläser und Bücher purzelten aus den Regalen, doch das ist nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend. Vor der Küste taucht die Pazifische Platte erdbebenträchtig unter die Südamerikanische, unmittelbar hinter dem Ort türmen sich die Anden empor, und praktisch um die Ecke ragt der gleichnamige Vulkan Chaitén in die Höhe. Schwache Erdstöße sind in der Region also an der Tagesordnung und beunruhigen die Menschen kaum: Sie sind es gewohnt. Und nichts deutete darauf hin, dass der Feuerberg in ihrem Rücken nach 9500 Jahren Ruhepause wieder zum Leben erwachen könnte.

Chaitén | Urplötzlich erwachte er nach 9500 Jahren wieder zum Leben – und keiner hatte mit seinem Ausbruch gerechnet. Denn der chilenische Chaitén spuckte Asche und Lava, ohne dass es vorher – wie bei Vulkaneruptionen üblich – ankündigende Erdbeben gab.
Sie hatten sich getäuscht: Am nächsten Tag, dem 1. Mai, gegen 21 Uhr Ortszeit brach der Chaitén aus und stieß eine Aschewolke 20 Kilometer hoch in die Atmosphäre. Weitere Beben und noch eine schwere Explosion am 2. Mai folgten, die den steinernen Dom im Krater sprengte und Ströme aus heißem Gas und Asche die Flanken hinabjagte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die chilenische Regierung den Notstand über die Region verhängt und die Stadt schon vorsorglich evakuiert. Eine Woche lang qualmte der Chaitén noch vor sich hin und ließ Asche über Argentinien wie Chile regnen, bevor er sich etwas beruhigte. Seitdem wächst in seinem Krater ein neuer Lavadom, der von der inneren Unruhe des Bergs kündet.

Bis auf eine Frau, die während der Rettungsaktion an Herzversagen starb, lief der Ausbruch glimpflich ab, und dennoch beunruhigt er Vulkanologen wie Jonathan Castro von der Université d'Orléans und Donald Dingwell von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Normalerweise – zumindest in heutiger Zeit – lassen sich Eruptionen von Vulkanen wie dem Chaitén relativ gut und langfristig vorhersagen: Ihr Magma besteht zu einem hohen Prozentsatz aus sauren Silikaten, die recht zäh fließen und häufig die Zufuhrkanäle verstopfen. Es dauert wochen- bis monatelang, bis sich das Reservoir des Bergs mit dem glutflüssigen Gestein füllt und die Lava nach oben steigt. Bis dahin bebt die Erde immer wieder, weil sich in ihrem Inneren Druck aufbaut, der sich in aufreißenden Klüften entlädt; zugleich wölbt sich der Untergrund durch die sich weitende Magmakammer.

All dies lässt sich leicht mit Seismometern, GPS sowie Satelliten überwachen und damit die Bevölkerung rechtzeitig warnen – nichts von all dem ging aber der Explosion des Chaitén voraus. Und weil ähnliche Vulkantypen wie der Mount St. Helens im Nordwesten der USA oder der mexikanische Colima im Umkreis dicht besiedelter Landstriche liegen und damit stets eine potenzielle Gefahr darstellen, wollten die Forscher herausfinden, was am Chaitén dieses Mal passiert war. Die beiden Geologen sammelten deshalb vor Ort Bimsstein auf, der während der Explosion herausgeschleudert worden war, und analysierten ihn im Labor: Seine Zusammensetzung lässt Rückschlüsse auf den Entstehungsort zu, welche Temperaturen dort herrschten, unter welchem Druck die ursprüngliche Schmelze stand und wie sie sich chemisch zusammengesetzt hat.

Die mineralischen und physikalischen Eigenschaften des Bimssteins sprechen dafür, dass sein Ausgangsmaterial aus mehr als fünf Kilometer Tiefe stammt. Da die im Auswurfsmaterial enthaltenen Plagioklase – Silikatminerale aus der Gruppe der Feldspate – abgerundet blieben und nicht weiter auskristallisierten, muss die Druckentlastung und der Auswurf der Lava sehr schnell abgelaufen sein. Ein geringeres Tempo hätte dagegen fassettenreichere Wuchsformen ergeben. Anhand ihrer Daten berechneten die Forscher eine Aufstiegsgeschwindigkeit von 1,8 Kilometern pro Stunde – das hört sich langsam an, ist aber verglichen mit anderen "sauren Vulkanen" geradezu rasend: Dort vollzieht sich so ein Aufstieg über Wochen und Monate hinweg.

Aus dem All | Eine lange Fahne aus Rauch, Asche und Wasserdampf weist den Weg zum Krater des Chaitén in diesem so genannten Falschfarbenbild aus dem All. Das Dorf Chaitén liegt in der Bucht links unterhalb des gleichnamigen Vulkans. Die Feuerberge der Anden entstehen durch Subduktion unter anderem der Pazifischen unter die südamerikanische Platte.
Innerhalb von maximal vier Stunden kochte der Chaitén über. Und weil die Gesteinsschmelze dabei kaum aushärtete und nicht immer wieder neu von nachdrängendem Magma aufgebrochen werden musste, bebte auch die Erde kaum. Erst kurz vor der Öffnung des Schlots entgaste schlagartig Dampf aus der mit Wasser gesättigten Schmelze, und der Vulkan explodierte. Dieser hohe Gehalt an Wasser und der gleichzeitige Mangel an Kohlendioxid erkläre, warum das Magma trotz seines niedrigen pH-Werts so flüssig war und sich so rasch bewegen konnte, meinen die Forscher.

Das Beben vom 30. April war deshalb vielleicht die einzige seismische Vorwarnung: Es entstand womöglich, als sich das Magma im Untergrund den Weg von seinem Reservoir im Erdmantel in die Erdkruste bahnte und unterwegs Gesteinsschichten brach. Umgekehrt könnte das Beben den Ausbruch aber ebenso gut erst eingeleitet haben, indem es Wege öffnete, die der Schmelze zuvor verschlossen waren. Nachdem der Chaitén die Seismologen überrascht hatte, kehrte er zu der ihm zugedachten Rolle zurück und rumort und rumpelt stets lange, bevor er Asche spuckt.

Den Menschen vor Ort nützt dies leider nichts mehr: Nach dem letzten großen Ausbruch knapp ein Jahr später im Februar 2009 evakuierten die Behörden die zurückgekehrten Bewohner erneut. Sie sollen nun nach Neu-Chaitén übersiedeln, das gerade in sicherer Entfernung gebaut wird.
  • Quellen
Castro, J., Dingwell, D.: Rapid ascent of rhyolitic magma at Chaitén volcano, Chile. In: Nature 461, S. 780–784.

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