Private Drohnen: Scharfäugige Überflieger
Der Blick in Nachbars Garten kostet 300 Euro. Es braucht für ihn lediglich ein Smartphone, etwas Fingerspitzengefühl und ein futuristisch anmutendes Fluggerät: Der schwebende Spion, den sich jeder im Internet bestellen kann, besteht aus vier lautlosen Propellern und einem bunten Plastikgehäuse. Aus dessen stumpfer Nase lugt eine Videokamera hervor, die ihre Bilder umgehend an jedes beliebige Smartphone überträgt. Das Telefon gibt auch den Kurs vor, alles andere regelt ein Minicomputer an Bord.
"Parrot AR.Drone" nennt sich das unförmige Flugobjekt – und es ist nur ein Beispiel für eine ganze Reihe kommerziell verfügbarer Drohnen, die derzeit den Himmel über deutschen Vorgärten, Straßen und Wäldern unsicher machen. Technik-Freaks filmen damit sich selbst und ihre Umgebung. Werbestrategen suchen ungewohnte Perspektiven für ihre Kampagnen. Ingenieure überwachen Chemieanlagen, Stromleitungen, Windräder. Und Wissenschaftler spüren süße Rehkitze auf, um sie vor dem sicheren Tod durch den Mähdrescher zu bewahren.
Flauschige Forschungsprojekte sind allerdings nur eine Seite der Medaille. Denn die neue Freiheit am Himmel wirft auch viele Fragen auf: Wer darf solch kleine Drohnen überhaupt starten? Wer ist für ihre Sicherheit verantwortlich? Inwieweit verletzen die fliegenden Augen die Privatsphäre der Menschen – und wie lässt sich das kontrollieren? Zwar gibt es in Deutschland, anders als beispielsweise in den USA, inzwischen umfassende gesetzliche Bestimmungen. Die Vorschriften bleiben aber oftmals ungenau und wenig konsistent.
Kinder des technischen Fortschritts
Die Regeln, die sich im Lauf der Zeit für den Betrieb von Modellflugzeugen entwickelt haben, greifen jedenfalls nur bedingt: Ferngesteuerte Objekte, die stets mit Sichtkontakt geflogen werden, machen lediglich das, was die Regler der Funkfernsteuerung vorgeben. Drohnen verfügen dagegen über eine gewisse Autonomie: Meist sind sie in der Lage, ihre Höhe und Position zu halten, mitunter schaffen sie es sogar, einen zuvor gewählten Punkt aus eigener Kraft anzusteuern.
Möglich geworden ist all das durch den rasanten Fortschritt auf dem Gebiet der Mobiltelefone. Um einen leistungsfähigen Autopiloten zu konstruieren, mussten Ingenieure früher einen Kompass, einen Höhenmesser, ein Gyroskop und im Idealfall ein GPS-System kombinieren. Heute reicht dafür ein kleiner Chip, der für wenig mehr als zehn Euro im Elektronikversand zu haben ist. Auf ihm finden sich ein Beschleunigungssensor, ein digitaler Kompass und ein Gyroskop, das die Rotation misst. "Da kommt eine ganze Menge zusammen", sagt Oliver Knittel, Gründer der Berliner Firma Service-Drone, die kommerzielle Fluggeräte entwirft, vermietet und vertreibt. "Erst der technische Fortschritt der vergangenen Jahre und die damit verbundene Komplexität hat den Bau moderner Drohnen möglich gemacht."
Auch bei der Steuerung hilft Technik aus dem Smartphone: In AR.Drone des französischen Herstellers Parrot arbeitet beispielsweise der gleiche Prozessorkern wie in Apples iPad. Gespeist wird er von einem Lithium-Polymer-Akku, als Auge dient eine Megapixelkamera – heutzutage alles Standardkomponenten in mobilen Geräten. Bereits vergangenes Jahr hat daher Chris Anderson, der damalige Chef des Technik-Magazins "Wired", das "Zeitalter der Drohnen" ausgerufen. "Genauso wie die 1970er Jahre die Geburt und den Aufschwung des privaten Computers gesehen haben, erleben wir nun den Aufstieg der privaten Drohnen", sagt Anderson. Der Amerikaner ist davon derart überzeugt, dass er inzwischen seinen Chefsessel bei "Wired" aufgegeben und eine Drohnenfirma gegründet hat.
Doch nicht nur bei der Flugelektronik ist eine Revolution in Gang gekommen. Auch die Aerodynamik hat sich weiterentwickelt: Ferngesteuerte Hubschrauber waren bislang eine laute und wackelige Angelegenheit. Sie konnten nur wenig Nutzlast transportieren und eigneten sich kaum für ruhige Aufnahmen. Die meisten kommerziellen Drohnen setzen deshalb auf vier Rotorblätter (so genannte Quadrokopter) oder sogar auf acht, Oktokopter genannt.
Die Drehzahl jedes einzelnen Rotors lässt sich dabei individuell anpassen. In Verbindung mit den Lagesensoren, deren Daten mehrere Male pro Sekunde abgefragt werden, kann der Bordcomputer so auf Windböen reagieren oder punktgenau ein Ziel anfliegen. "Wenn dann noch das GPS und die automatische Höhenregelung zugeschaltet wird, steht die Drohne wie angenagelt in der Luft", sagt Oliver Knittel.
Ab 3800 Euro ist das Einstiegsmodell der Berliner Entwickler zu haben. Kein Preis für Hobbyflieger. Dennoch hat Service-Drone nach eigenen Angaben bereits mehr als 200 Geräte verkauft – hauptsächlich an Fotografen und Fernsehproduzenten, aber auch an Ingenieure und Architekturbüros, die aus der Luft Grundstücke vermessen und Solaranlagen überwachen. Das Topmodell (Listenpreis: 31 900 Euro) kann sogar eine Nutzlast von 4,5 Kilogramm in den Himmel wuchten, genug für eine Hollywoodkamera oder eine digitale Spiegelreflexkamera mit einem großen Teleobjektiv. Kein Wunder, dass sich – zumindest im Ausland – bereits die ersten Paparazzi damit rühmen, Drohnen für ihre indiskreten Schnappschüsse angeschafft zu haben. Unter den Kunden von Service-Drone, betont Knittel, seien keine solche Fälle bekannt. "Das ist wie immer im Leben, jedes Ding hat zwei Seiten", sagt der Ingenieur. "Als Hersteller distanzieren wir uns aber komplett davon, Leute zu bespitzeln oder Daten zu sammeln. Das ist in Deutschland ohnehin per Gesetz verboten."
Lücken im Gesetz
In der Regel gilt es als Persönlichkeitsverletzung, Menschen ohne deren Einverständnis auf ihrem Grundstück abzulichten. Selbst die Polizei, die seit Längerem auf Drohnen setzt, darf die Fluggeräte offiziell nur nutzen, wenn auf den Bildern der Überwachungskameras keine Gesichter erkannt werden können – oder wenn Demonstranten vorher über den Einsatz informiert worden sind. Geht es um den Persönlichkeitsschutz, dann ist es dem Gesetz schlichtweg egal, ob jemand auf eine Leiter klettert und ins Schlafzimmer der Nachbarn fotografiert oder ob er dafür eine Drohne benutzt. In der Praxis kann es aber durchaus einen Unterschied machen: Moderne Drohnen sind so leise und diskret, dass ihr Einsatz oft unbemerkt bleibt. Und selbst wenn er auffällt, lässt sich daraus nicht schließen, wer gerade durchs Fenster spannen will.
Der Gesetzgeber ist sich dieser Gefahr durchaus bewusst: Vergangenes Jahr hat er die Luftverkehrsordnung extra um Regelungen für "unbemannte Luftfahrtsysteme" ergänzt. Die Vorschriften wirken allerdings zahnlos, sie schreiben lediglich vor, dass der Einsatz von Drohnen dann erlaubt werden kann, wenn er "die Vorschriften über den Datenschutz" nicht verletzt. Es ist ein bisschen so, als würde man jemandem einen Autoführerschein geben, sofern er verspricht, nie falsch zu parken.
Auch sonst ist die Verordnung zwar gut gemeint, aber zum Teil weit von der Realität entfernt: Für Drohnen bis zu einem Gewicht von fünf Kilogramm kann demnach eine auf zwei Jahre befristete Aufstiegsgenehmigung erteilt werden – ohne dass die Steuerfertigkeit des Betreibers oder die technische Sicherheit der Drohne überprüft werden muss. Voraussetzung ist lediglich, dass das versicherte Fluggerät nicht höher als 100 Meter fliegt, dass es nicht über Menschenmengen, Flughäfen, Unglücksorten, Kraftwerken oder Gefängnissen unterwegs ist und dass innerorts die Polizei oder das Ordnungsamt vorab informiert wird. Nur: Wie soll all das kontrolliert werden? "Gerade im Bereich der kleineren Fluggeräte scheren sich viele Piloten eher nicht um die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die machen das einfach", sagt Stefan Levedag, Direktor des Instituts für Flugsystemtechnik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig. "Und wo kein Kläger, da kein Richter."
Hinzu kommt, dass Drohnen offiziell nur unter Sichtflugregeln betrieben werden dürfen: Zwischen demjenigen, der die Regler bedient, und dem Fluggerät muss somit stets Sichtkontakt bestehen. Bei autonomen Manövern muss zudem jederzeit ein manueller Eingriff möglich sein. "Deshalb kann ich einer Drohne auch nicht sagen: Flieg mal zwei Kilometer zu einem fremden Garten, mach mir ein paar Bilder und komm wieder zurück", sagt Oliver Knittel. "Rein technisch ginge so etwas zwar, aber das ist verboten."
Gemäß den Buchstaben des Gesetzes ist es nicht einmal erlaubt, die Drohne über eine Datenbrille zu steuern, in die das Kamerabild des Fluggeräts projiziert wird. Und wenn doch, muss jemand danebenstehen, der freien Blick hat und zur Not eingreifen kann. Aktuell entwickeln die Hersteller zwar Systeme, die automatische Starts und Landungen erlauben sowie über Sensoren zur Kollisionsvermeidung verfügen, diese sind allerdings primär als Hilfe für den Piloten gedacht. "In geschlossenen Räumen wie einem Kirchenschiff oder einem Filmstudio sind solche Systeme zum Schutz aller Personen absolut sinnvoll", sagt Oliver Knittel.
Genau die gleiche bis zu fünf Kilogramm schwere Drohne kann allerdings auch komplett ohne Genehmigung und ohne Beschränkung der Flughöhe betrieben werden – sofern dies ausschließlich dem "Zweck des Sports oder der Freizeitgestaltung" dient. Dann greifen plötzlich die überkommenen Regelungen des Modellflugs, die lediglich eine Sichtverbindung zur Drohne vorschreiben und dem Piloten ansonsten weit gehend freie Hand lassen.
Was Hobbyflieger und Besitzer von Geräten wie der AR.Drone freut, lässt Experten ratlos zurück. "Was passiert", fragt Stefan Levedag, "wenn das erste Gerät herunterfällt, wenn dabei vielleicht sogar der erste Mensch stirbt?" Jede Technik habe ihre Risiken, sagt der DLR-Ingenieur, irgendwann werde etwas passieren. "Dann aber wird ein öffentliches Nachdenken einsetzen, dann werden sicherlich die Gesetze verschärft", sagt Levedag. Und dann könnte auch die derzeit boomende Drohnenbranche plötzlich ein Problem bekommen.
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