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Experimentelle Archäologie: Scheiterhaufen für die Wissenschaft

Scheiterhaufen

An einem heißen Tag ein Schwein ins Feuer zu werfen, heißt normalerweise "Grillen". Beim Urgeschichtemuseum im österreichischen Asparn, eine knappe Autostunde nördlich von Wien, heißt so etwas allerdings "Kremationsexperiment" und passiert streng im Geiste der Wissenschaft, genauer gesagt, als ein Projekt der Experimentellen Archäologie.

Experimentelle Archäologen sammeln Erkenntnisse durch ein gezieltes Nachvollziehen frühgeschichtlichen Lebens. So wie an diesem heißen Wochenende im Juni, an dem sich 100 Lehrende und Studierende im Urgeschichtemuseum eingefunden haben, streng experimentellarchäologisch Erze in Feuerkuhlen mit Blasrohrtechnologie schmelzen und Steine aufeinanderschlagen, um Klingen zu gewinnen. Oder eben um ein 60 Kilogramm schweres Schwein zu verbrennen: im Kremationsexperiment.

Das Freigelände des Veranstaltungsorts ähnelt währenddessen einem Pfadfinderlager. In einer abgelegenen Ecke des Geländes stehen die modernen Kuppelzelte der Studentinnen und Studenten, in denen es bei dieser Hitze ziemlich prähistorisch riechen dürfte. Der eigentliche Museumsteil sieht ein wenig aus wie ein Asterixdorf, nur dass jede Hütte und jedes Zelt aus einer anderen Zeit stammen: Leicht erhöht auf dem Gelände steht ein Mammutjägerlager mit einem Zelt aus Leder, einer Hütte aus Stein und Erde, einem Feuerplatz und einem Loch, das vermutlich den damaligen Kühlschrank darstellen soll. Von dort aus könnte man rechts das Zelt der Rentierjäger sehen oder die Baustelle für das Langhaus – würde nicht das bereits brennende Feuer des Kremationsexperiments ablenken.

Auf dem Scheiterhaufen für die Wissenschaft | Experimentelle Archäologen grillieren für die Wissenschaft. Dabei stellt sich zum Beispiel schnell heraus, wie herausfordernd das Errichten eines perfekten Scheiterhaufens ist. Wenn alles gut geht bleiben von einer veritablen Sau nach fachgerechter Einäscherung übrigens gerade einmal 800 Gramm Knochen.

Den Versuch leitet Doris Pany-Kucera, ausgebildete physische Anthropologin, die für gewöhnlich auch im Naturhistorischen Museum in Wien Dienst tut, aber schon seit sechs Jahren aus wissenschaftlichen Gründen jährlich irgendetwas abfackelt. "Die Idee zum Kremationsexperiment ist von Archäologen gekommen, die wissen wollten, wie viel Aufwand es gewesen sein muss, einen Toten zu verbrennen. Wie viel und welches Holz ist notwendig? Wie wird ein Scheiterhaufen gebaut? Wir haben da am Anfang ziemlich viel herumprobiert."

Inzwischen können Pany-Kucera und ihr Team das ganz gut. Auf einer runden Steinplattform flammt ein beachtliches Feuer, in dem der Schweinetorso noch zu erkennen ist und noch immer obenauf liegt. In vergangenen Jahren ist der schon mal frühzeitig aus dem Brand gerollt. Für den Bau des Scheiterhaufens für die Feuerbestattung wurde Eichenholz verwendet: Acht Stützen halten die Struktur, die in der Mitte über einen Meter hoch ist. Darauf wurde das frisch verstorbene Schwein gebettet – unbearbeitet und an einer natürlichen Todesursache gestorben. "Die Kaminbauweise hat sich als ideal erwiesen, wenn es funktioniert, stürzt der zu verbrennende Körper in den Scheiterhaufen hinein."

Ob Verbrennungen in der Frühzeit tatsächlich so ausgesehen haben, lässt sich nicht sagen. Die Plattform aus Steinen, auf der der Scheiterhaufen steht, ist zwar nach einem archäologischen Befund gebaut, aber niemand weiß, ob das tatsächlich ein Verbrennungsplatz war. Mit Hilfe der experimentellen Archäologie wird immerhin geklärt, ob er als solcher in Frage kommt. Die Expertin: "Wir haben ihn jetzt mal als solchen genutzt, und für die Dokumentation hat er sich als praktisch erwiesen. Und es sieht eh auch ganz hübsch aus." Überhaupt hat das Experiment einen gewissen morbiden Charme, und es wird verständlich, warum sich rund 100 Studierende hier mit dieser Fachrichtung derart tatkräftig auseinandersetzen.

Urgeschichtemuseum im Schloss Asparn/Zaya

Eine Autostunde nördlich von Wien präsentiert das Urgeschichtemuseum im Schloss Asparn/Zaya das Leben der Jäger der Altsteinzeit von vor 40 000 Jahren bis zu dem der Kelten vor 2500 Jahren. Das Museum besteht aus einer Ausstellung von Originalen im Schloss und Modellen im archäologischen Freigelände. Die Objekte in der Ausstellung erzählen vom Alltagsleben, dem Kunstschaffen, den Ritualen und vom Werden der Kultur. Im Schlosspark sind Modelle von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden aus der Stein-, Bronze- und Eisenzeit in Originalgröße aufgebaut. Mit historischen Veranstaltungen, wie beispielsweise einem Hunnenfest, wird einerseits Publikum unterhalten und andererseits jeweils ein historisches Volk in den Mittelpunkt gerückt. Das Museum ging 1970 aus der bis dahin in Wien befindlichen archäologischen Sammlung für Niederösterreich hervor und wird heute von Ernst Lauermann geleitet, einem Spezialisten für die Ur- und Frühgeschichte Niederösterreichs.

Mit 37,2 Grad ist es der heißeste Junitag seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen in Österreich. Den Studenten ist sauheiß, vor allem jenen, welche die Temperatur des Schweins in regelmäßigen Abständen mittels Laser messen. Denn bei allem Charme und dem reichlichen Platz für Spekulationen wird hier in erster Linie wissenschaftlich gearbeitet. Für Archäologen heißt das: Alles wird dokumentiert. Lagepläne der genauen Versuchsanordnung werden gezeichnet, der Zeit- und Temperaturverlauf der Feuersbrunst wird mit mehreren Messgeräten protokolliert, Videos und Fotos halten den Ablauf fest. Auf den Plänen wird später verzeichnet werden, wo nach der Verbrennung die verschiedenen Teile des Schweins zum Liegen kommen. Daraus und aus dem Zustand der Überreste können Vergleiche zu realen Funden gezogen werden.

Schon nach etwa einer halben Stunde ist vom Schwein nicht mehr viel zu erkennen – nur ein Brandtorso, ein verkohlter Körper mit rissiger Haut. Die Versuchsleiterin ist zufrieden: "Es ist nicht aus dem Feuer gefallen. Das war eine der Befürchtungen; wenn der Wind von einer Seite recht stark ist, brennt das Feuer dort schneller ab, was wir dieses Mal gut im Griff hatten." Letztendlich, wenn die letzte Glut erloschen ist, bleiben sogar nur die Knochen über. Und die sind es auch, welche die Anthropologin in erster Linie interessieren. "Wir bekommen von den Archäologen oft Leichenbrände von Fundorten, und mit dem Kremationsexperiment schaffen wir eine Grundlage für einen Vergleich. Aus dem können wir Rückschlüsse ziehen."

Verglichen wird mit Funden von Leichenbränden aus der Prähistorie vor 26 000 Jahren bis in die der Zeit der Völkerwanderung im 5. bis 6. Jahrhundert. Eine Erkenntnis: Die sorgsam eingesammelten Knochenreste, die von dem 60 Kilogramm schweren Schwein nach der Verbrennung übrig geblieben sind, wogen gerade noch knapp 800 Gramm. "Wir haben uns oft gefragt, warum bei den Leichenbränden so viel fehlt. Das Einsammeln der Reste ist sehr aufwändig und wurde offensichtlich nicht immer in gleichem Ausmaß betrieben", so Pany-Kucera.

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