Schlafforschung: Schlaflos über Seattle
Lassen sich große Taten nicht gut ausgeruht viel einfacher vollbringen? Einige Vögel scheinen auf ihrem jährlichen Langstreckentrip für solche Ratschläge schlicht keine Zeit zu haben. Und warum auch.
Zonotrichia leucophrys gambelii will wandern, wenn der Herbst kommt, und auch, wenn es Frühling wird – wie es in der Natur jedes Zugvogels liegt. In freier Wildbahn kommt die Dachsammer-Unterart damit weit herum: Sie pendelt einmal jährlich von ihrem kälter werdenden Sommerquartier in Alaska zu den südkalifornischen Küsten und zurück, sobald die Tage wieder länger werden. Knapp viereinhalbtausend Jahreskilometer bringt der Singvogel dabei durchschnittlich hinter sich – eine erstaunliche, für Zugvögel aber keineswegs ungewöhnliche physiologische Hochleistung.
Bislang sah es fast so aus – den Vögeln scheint schon allein die Zeit zu fehlen, während ihrer schnellen Reise auch angemessene Rastzeiten einzuhalten. Ihre Bodenstandzeit ist schließlich ähnlich kurz und effizient wie die einer Billigfluglinie: Untersuchungen von Tieren mit Bewegungssensor zeigten, dass ziehende Singvögel meist nur knappe drei Stunden im Durchschnitt rasten, bevor sie sich wieder in die Luft schwingen.
Eine Vielzahl von Studien belegt allerdings, wie stark höhere tierische Organismen unter Schlafmangel zu leiden scheinen: Menschen etwa zeigen nach einer durchwachten Nacht oder bei einem über eine Woche auf sechs Stunden reduzierten Nachtschlaf schon deutlich nachweisbare neurobiologische Schwächen. Ratten, aber auch Taufliegen, sterben durch erzwungenen Schlafentzug innerhalb kurzer Zeit. Und Zugvögel sollen, zudem während einer Phase extremer Hochleistung, mit höchstens drei Schlafstunden auskommen?
Die Forscher um Rattenborg untersuchten dies an ihren Dachsammern des Nachts mit Hilfe von Elektroenzephalogrammen (EEG). Auch diesen im Käfig gefangenen Zonotrichia-leucophrys-Versuchstieren ließ sich der typische saisonale Wandertrieb nicht austreiben: Bei ihnen äußert sich die jährliche Aufbruchstimmung aller Zugvögel in so genannter “Zugunruhe”. Stets in den üblichen Frühlings- und Herbstzugperioden flattern dabei die Tiere unruhig mit den Flügeln, hüpfen im Käfig herum und sind nachts ständig sehr aktiv.
Die Wissenschaftler analysierten nun mit Verhaltensexperimenten, ob der Schlafmangel sich negativ auf die neuronale Leistungsfähigkeit der Tiere am Tag auswirkt, wie dies bei anderen Betroffenen der Fall wäre. Aber Fehlanzeige: Zugunruhige Tiere erwiesen sich bei den Aufgaben sogar fast als geistig fitter denn ausgeruhte Vögel außerhalb der Wandersaison. Dabei stört Schlafmangel generell die Vögeln durchaus: Tiere außerhalb der Zugperiode, deren nächtliche Ruhezeiten experimentell auf drei Stunden pro Nacht beschränkt wurde, ließen in ihren Versuchsleistungen stets deutlich nach.
Irgendetwas, so die Wissenschaftler, macht die Zugvögel während der Wanderschaft offenbar resistent gegenüber den üblichen Folgen des Schlafentzugs – was genau, bleibt allerdings ungeklärt. Vielleicht hat eine erhöhte Aktivität in der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden (HPA)-Achse, die während der Zugphase bei Zugvögeln beobachtet wurde, etwas damit zu tun: Bei Menschen führt ähnliches zu Schlafstörungen und abnormalen Verschiebungen der REM-Schlafphasen. In gewisser Hinsicht seien Parallelen erkennbar zwischen dem veränderten Schlafzustand wandernder Zugvögel und dem bipolar gestörter menschlicher Patienten in einer manischen Phase, so Rattenborg. Weitere Erkenntnisse der Zugvogel-Schlafforschung könnten demnach dazu beitragen, auch grundlegende Prinzipien bei menschlichen Störungen des Schlafsystems zu verstehen.
Dabei zeigen die Ergebnisse der Forscher streng genommen übrigens nur, dass ihre gefangenen Versuchs-Zugvögel in Wanderlaune auf Schlaf ganz gut verzichten können, nicht aber, dass Dachsammern in freier Wildbahn auf Wanderschaft nicht möglicherweise doch schlafen – bei der einzig sich bietenden Gelegenheit. Theoretisch könnten sie dies quasi nebenbei im Flug erledigen, spekuliert Rattenborg. Etwa, indem die ruhig dahinfliegenden Vögel eine ihrer beiden Hirnhälften schlafen schicken, während die andere ein Auge auf aeronautische Notwendigkeiten hat. Einen derartigen Gehirnhälften-Halbschlaf beobachtete man tatsächlich bereits bei verschiedenen Säugetieren, etwa den Delfinen.
Im Flug sollte einer Gehirnhälfte allerdings wohl nur langsamwelliger Tiefschlaf möglich sein, meint Rattenborg: Die während der REM-Phasen charakteristische generelle Muskelentspannung würde sich mit der Notwendigkeit auftrieberzeugenden Flügelschlagens wohl kaum vertragen. Vielleicht also Schlafen im Flug – träumen allerdings würde ein ziemlich böses Erwachen nach sich ziehen.
Niels Rattenborg von der Universität von Wisconsin und seine Kollegen beobachteten nun wild gefangene Dachsammern in der Voliere über ein Jahr hinweg, um eine bislang unbeleuchtete Facette der Zugvögel-Leistungsfähigkeit auf Wanderschaft näher zu untersuchen: Brauchen die Tiere auf ihrem beschwerlichen jährlichen Langstreckenflug eigentlich gar keinen Schlaf?
Bislang sah es fast so aus – den Vögeln scheint schon allein die Zeit zu fehlen, während ihrer schnellen Reise auch angemessene Rastzeiten einzuhalten. Ihre Bodenstandzeit ist schließlich ähnlich kurz und effizient wie die einer Billigfluglinie: Untersuchungen von Tieren mit Bewegungssensor zeigten, dass ziehende Singvögel meist nur knappe drei Stunden im Durchschnitt rasten, bevor sie sich wieder in die Luft schwingen.
Eine Vielzahl von Studien belegt allerdings, wie stark höhere tierische Organismen unter Schlafmangel zu leiden scheinen: Menschen etwa zeigen nach einer durchwachten Nacht oder bei einem über eine Woche auf sechs Stunden reduzierten Nachtschlaf schon deutlich nachweisbare neurobiologische Schwächen. Ratten, aber auch Taufliegen, sterben durch erzwungenen Schlafentzug innerhalb kurzer Zeit. Und Zugvögel sollen, zudem während einer Phase extremer Hochleistung, mit höchstens drei Schlafstunden auskommen?
Die Forscher um Rattenborg untersuchten dies an ihren Dachsammern des Nachts mit Hilfe von Elektroenzephalogrammen (EEG). Auch diesen im Käfig gefangenen Zonotrichia-leucophrys-Versuchstieren ließ sich der typische saisonale Wandertrieb nicht austreiben: Bei ihnen äußert sich die jährliche Aufbruchstimmung aller Zugvögel in so genannter “Zugunruhe”. Stets in den üblichen Frühlings- und Herbstzugperioden flattern dabei die Tiere unruhig mit den Flügeln, hüpfen im Käfig herum und sind nachts ständig sehr aktiv.
Wie das nächtliche EEG beweist, schlafen die Tiere, wenn überhaupt, in diesen unruhigen Nächten anders als gewöhnlich: Der so genannte REM-Schlaf, beim Menschen die durch schnellere Hirnwellen gekennzeichnete Traumphasen des Schlafes, begannen bei den zugunruhigen Vögeln deutlich früher in der Nacht. Langsamwellige SWS-(“slow-wave-sleep”)-Schlafphasen waren dagegen sehr viel seltener – und größtenteils blieben die Tiere schlicht wach. Dies normalisierte sich erst wieder, wenn die Zug-Jahreszeiten vorüber waren: Mitten im Sommer und Winter schliefen die Tiere wieder länger, und ihre REM- und SWS-Schlafphasen wechselten wie gewohnt.
Die Wissenschaftler analysierten nun mit Verhaltensexperimenten, ob der Schlafmangel sich negativ auf die neuronale Leistungsfähigkeit der Tiere am Tag auswirkt, wie dies bei anderen Betroffenen der Fall wäre. Aber Fehlanzeige: Zugunruhige Tiere erwiesen sich bei den Aufgaben sogar fast als geistig fitter denn ausgeruhte Vögel außerhalb der Wandersaison. Dabei stört Schlafmangel generell die Vögeln durchaus: Tiere außerhalb der Zugperiode, deren nächtliche Ruhezeiten experimentell auf drei Stunden pro Nacht beschränkt wurde, ließen in ihren Versuchsleistungen stets deutlich nach.
Irgendetwas, so die Wissenschaftler, macht die Zugvögel während der Wanderschaft offenbar resistent gegenüber den üblichen Folgen des Schlafentzugs – was genau, bleibt allerdings ungeklärt. Vielleicht hat eine erhöhte Aktivität in der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden (HPA)-Achse, die während der Zugphase bei Zugvögeln beobachtet wurde, etwas damit zu tun: Bei Menschen führt ähnliches zu Schlafstörungen und abnormalen Verschiebungen der REM-Schlafphasen. In gewisser Hinsicht seien Parallelen erkennbar zwischen dem veränderten Schlafzustand wandernder Zugvögel und dem bipolar gestörter menschlicher Patienten in einer manischen Phase, so Rattenborg. Weitere Erkenntnisse der Zugvogel-Schlafforschung könnten demnach dazu beitragen, auch grundlegende Prinzipien bei menschlichen Störungen des Schlafsystems zu verstehen.
Dabei zeigen die Ergebnisse der Forscher streng genommen übrigens nur, dass ihre gefangenen Versuchs-Zugvögel in Wanderlaune auf Schlaf ganz gut verzichten können, nicht aber, dass Dachsammern in freier Wildbahn auf Wanderschaft nicht möglicherweise doch schlafen – bei der einzig sich bietenden Gelegenheit. Theoretisch könnten sie dies quasi nebenbei im Flug erledigen, spekuliert Rattenborg. Etwa, indem die ruhig dahinfliegenden Vögel eine ihrer beiden Hirnhälften schlafen schicken, während die andere ein Auge auf aeronautische Notwendigkeiten hat. Einen derartigen Gehirnhälften-Halbschlaf beobachtete man tatsächlich bereits bei verschiedenen Säugetieren, etwa den Delfinen.
Im Flug sollte einer Gehirnhälfte allerdings wohl nur langsamwelliger Tiefschlaf möglich sein, meint Rattenborg: Die während der REM-Phasen charakteristische generelle Muskelentspannung würde sich mit der Notwendigkeit auftrieberzeugenden Flügelschlagens wohl kaum vertragen. Vielleicht also Schlafen im Flug – träumen allerdings würde ein ziemlich böses Erwachen nach sich ziehen.
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