Schlafstörungen bei Kindern: La-Le-Lu und wach bist du
Zehn bis zwölf Stunden Schlaf. Für manche Erwachsene wäre das ein Traum, für die meisten Kleinkinder ist es Normalität. Nicht so für die kleine Ella*: Spätestens drei Stunden nach dem Einschlummern wird die Dreijährige wieder wach – hellwach sogar. Nichts kann sie dann wieder zum Schlafen bewegen. Häufig ist das Mädchen erst nach zweistündigem Spielen wieder so müde, dass es zurück ins Bett krabbelt und einschläft. Doch auch diese zweite Schlafphase hält nur ein paar Stunden an. Dann ist Ella wieder wach. »Wir haben alles Mögliche ausprobiert, aber nichts half«, erinnern sich Ellas Eltern an diese schwierige Zeit. Bis in Ellas fünftes Lebensjahr geht das so – ihr Schlafverhalten dominiert nicht nur die Nacht der ganzen Familie, sondern hat durch den Schlafmangel natürlich auch Einfluss auf deren Tagesablauf. Die Eltern sind erschöpft und ratlos: Was könnte ihrer Tochter bloß helfen, endlich durchzuschlafen?
»Etwa die Hälfte aller Kinder gehen einfach zu spät ins Bett und bekommen daher nicht den altersgemäßen Schlaf«Ingo Fietze, Schlafmediziner
Warum guter Schlaf so wichtig ist
Das gestörte Schlafverhalten der kleinen Ella ist eher speziell, generell ist ein Schlafmangel bei Kindern allerdings keine Seltenheit: Die American Academy of Sleep Medicine (AASM) empfiehlt für Ein- bis Zweijährige 11 bis 14 Stunden Schlaf am Tag, für Drei- bis Fünfjährige 10 bis 13 Stunden und für Sechs- bis Zwölfjährige 9 bis 12 Stunden. Konträr zu diesen Empfehlungen haben der kanadische Forscher Jean-Phillipe Chaput und sein Team jedoch in einer 2018 erschienenen Metaanalyse von 79 Studien aus 17 Ländern ermittelt, dass die meisten Kinder im Schnitt zu wenig Schlaf bekommen. Der durchschnittliche tägliche Schlafmangel bei Kindern zwischen 3 und 18 Jahren betrug laut der Analyse etwa 0,5 bis 3 Stunden. Auch der Berliner Schlafmediziner Ingo Fietze beobachtet diese Entwicklung: »Es gibt immer mehr Kinder, die ein zum Teil extremes Schlafdefizit aufweisen«, so der Experte, der Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums an der Charité Universitätsklinik Berlin ist. »Etwa die Hälfte aller Kinder gehen einfach zu spät ins Bett und bekommen daher nicht den altersgemäßen Schlaf.«
Allerdings: Die Dauer des Schlafs ist nicht allein entscheidend für seine Qualität. Auch die Abfolge der Schlafzyklen und ob diese an bestimmten Stellen unterbrochen werden, bestimmen, wie erholsam die Nacht wirklich ist. Ein Schlafzyklus besteht dabei aus unterschiedlichen Schlafphasen, wobei sich so genannter Rapid-Eye-Movements(REM)-Schlaf und Non-REM-Schlaf (Einschlaf-, Leicht- und Tiefschlafphase) abwechseln. Bei Erwachsenen dauert ein Zyklus etwa 90 bis 110 Minuten und wird pro Nacht vier- bis siebenmal durchlaufen. Bei Babys ist ein Zyklus hingegen 45 bis 60 Minuten lang. Der REM-Schlaf hat bei Kindern einen deutlich höheren Anteil als bei Erwachsenen, bei Säuglingen liegen REM- und Non-REM-Schlafphasen sogar noch zu gleichen Teilen vor. Mit steigendem Alter nimmt der REM-Schlaf dann immer weiter ab. Schlafexperten gehen davon aus, dass während des REM-Schlafs insbesondere die emotionale Gedächtnisbildung ermöglicht wird und innerhalb des Non-REM-Schlafs eher das Erlernen von Fakten und automatisierten Handlungen gefestigt wird wie etwa Gehen und Fahrradfahren. Schlaf spielt also vor allem in Lebensphasen eine wichtige Rolle, in denen man besonders viel Neues lernt.
Eine gute Nachtruhe ist zudem eng mit unserem Hormonhaushalt verbunden: Beispielsweise wird abends, wenn es dunkel wird, das so genannte Glückshormon Serotonin in das schlaffördernde Melatonin umgewandelt. Beide Hormone sind also wichtige Taktgeber für unseren Schlaf-wach-Rhythmus. Außerdem steuert Serotonin unter anderem den Wechsel zwischen den verschiedenen Schlafphasen. Nachts wird wiederum das ankurbelnde Hormon Kortisol gedrosselt, das unseren Blutdruck und die Herzrate steigert. Sein Level ist zwischen sechs und zehn Uhr morgens am höchsten, nämlich dann, wenn wir aktiv sind, und sinkt ab 18 Uhr deutlich ab. Auch bei Babys und Kleinkindern verhält sich dies sehr ähnlich. Das Wachstumshormon Somatropin, das die Regeneration und das Wachstum von Knochen, Muskeln und inneren Organen unterstützt, wird hingegen vor allem in den Tiefschlafphasen ausgeschüttet.
Schlafprobleme bei Kindern sind vielfältig
Schlaf ist demnach unerlässlich für uns, aber ganz besonders für Kinder. Genügend Schlaf ist essenziell für ein gesundes Immunsystem, unser hormonelles Gleichgewicht, die emotionale und psychische Gesundheit, Lernen und Gedächtnis sowie zahlreiche Umbau- und Aufräumarbeiten im Gehirn. Der Körper braucht diese vermeintliche Pause, in der doch ganz viel passiert. Was also, wenn Kinder zu wenig schlafen? Und wann müssen Eltern sich wirklich Sorgen machen? Schlafen nicht die meisten Kinder hin und wieder nicht so gut? Schlafprobleme sind tatsächlich bei Kindern generell keine Seltenheit: »Untersuchungen haben gezeigt, dass bis zu 40 Prozent der Kinder im Vorschul- und Schulalter von Schlafstörungen betroffen sind«, so der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP): Dabei zeigten Jungen ein höheres Risiko für einen gestörten Schlaf als Mädchen.
Prinzipiell haben Kinder die gleichen Schlafschwierigkeiten wie Erwachsene: Sie können Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen sowie Frühaufwachstörungen haben (Insomnien) und unter dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) oder Schlafapnoe leiden. Starkes Schnarchen oder sogar Atemaussetzer kommen bei Kindern relativ häufig vor; bei etwa fünf Prozent ist dies der Grund für schlechten Schlaf. Bei manchen Kindern ist hingegen der Tag-Nacht-Rhythmus verschoben (zirkadiane Schlafstörung). Sie schlafen dann nicht zu den üblichen beziehungsweise sozial erwünschten Zeiten ein, sondern bereits am sehr frühen Abend oder erst spät in der Nacht.
Ein Phänomen, das nur etwa vier Prozent der Erwachsenen, aber weitaus mehr Kinder betrifft, ist das Schlafwandeln. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin schätzt, dass bis zu 30 Prozent aller Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren und rund 17 Prozent der Kinder bis zur Pubertät zeitweise nachts herumwandern. Dabei ist das Risiko, dass ein Kind schlafwandelt, deutlich erhöht, wenn bereits ein oder beide Elternteile dieses Verhalten in ihrer Kindheit aufgezeigt haben. In der Regel tritt Schlafwandeln im ersten Nachtdrittel auf; obwohl es nicht so aussieht, schlafen Betroffene während des Schlafwandelns sehr tief, weshalb sie währenddessen möglichst nicht geweckt werden sollten. Meist sind die nächtlichen Ausflüge harmlos und dauern bloß ein paar Minuten an. Am Morgen können sich die Kinder in der Regel nicht mehr daran erinnern. Doch es birgt auch Gefahren: »Mein ältester Sohn ist beim Schlafwandeln mal die Treppe runtergefallen«, erinnert sich die Mutter von Tobias*. Zum Glück erlitt er keine größeren Verletzungen. Die Eltern sperrten die Treppe daraufhin mit einem dicken Tau ab. Doch auch das war kein Hindernis für ihren Sohn. »Wir hatten uns nachts auf die Lauer gelegt, um zu beobachten, was passiert«, erzählt sein Vater. Ungläubig beobachtete er damals, wie Tobias aus seinem Zimmer kam und zwar gegen die Barriere lief, dann aber geschickt über das Tau kletterte und die Treppe hinunterstieg. Schließlich half nur eine Tür mit einem kindersicheren Mechanismus, die nächtlichen Treppenausflüge zu stoppen.
Schlafwandeln zählt zu den so genannten Parasomnien, die während der Non-REM-Schlafphasen auftreten können – so wie auch der Nachtschreck. Dabei schrecken betroffene Kinder im Schlaf plötzlich hoch, was von schrillem Schreien, Herzrasen, schneller Atmung und angespannten Muskeln begleitet wird. Sie sind dann meist nur schwer zu beruhigen. Am häufigsten tritt der Nachtschreck im Kleinkindalter auf, etwa 34 Prozent sind davon betroffen. Ein Drittel dieser Kinder fällt später wiederum durch Schlafwandeln auf. Auch Albträume, in denen etwa Monster unter dem Bett hervorkrabbeln, können Kindern nachts den Schlaf rauben. Sie treten meist im REM-Schlaf auf. Am häufigsten haben Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren Albträume. Manche von ihnen entwickeln dann Ängste, überhaupt ins Bett zu gehen, vor allem diejenigen, die einmal oder sogar mehrmals die Woche von schlechten Träumen geplagt werden. Bei etwa fünf Prozent der Kinder ist das der Fall.
Was einen natürlichen Schlafrhythmus ausmacht
Schlafprobleme sind also sehr vielfältig – und die Ursachen auch. Kinder, die gut ein- und durchschlafen, haben einen stabilen Schlaf-wach-Rhythmus. Dafür sind unter anderem Licht und Dunkelheit wichtige Taktgeber: Tagsüber nehmen bestimmte Zellen in unserer Netzhaut die Helligkeit in der Umgebung wahr. Diese Zellen enthalten Melanopsin, das sehr empfindlich auf das bläuliche Tageslicht reagiert und davon aktiviert wird. Dadurch werden Reize an unser Gehirn gesendet, so dass sich unser innerer Rhythmus auf Tagesaktivität einstellt. Gleichzeitig hemmt Lichteinfall auf die Augennetzhaut die Bildung von Melatonin, das auch als Müdigkeitshormon bezeichnet wird. Erst wenn es dunkel wird, steigt unser Melatoninspiegel wieder an, so dass wir abends müde werden.
In den Fällen, in denen Kinder schlecht ein- oder durchschlafen, ist das meist eine Folge mangelnder Schlafhygiene, also des eigenen Verhaltens oder äußerer Bedingungen wie Lärm und Licht, die einen guten Schlaf verhindern. Dass immer ein besonderes Augenmerk auf die Begleitumstände des Kinderschlafs gelegt werden muss, empfiehlt auch Reinhold Kerbl, Pädiater und Abteilungsleiter des Bereichs Kinder- und Jugendmedizin in Leoben. »Früher hat man abends die Zeitung weggelegt und nachts geschlafen und nicht am Smartphone Nachrichten oder auf dem Tablet Serien konsumiert.« Für Ingo Fietze spielt auch das Verhalten der Erziehungsberechtigten eine wichtige Rolle: »Wenn Eltern erst um Mitternacht schlafen gehen und die Nacht zum Tag machen, kann sich das auf die Kinder übertragen«, so der Berliner Schlafmediziner. Erwachsene gingen oft zu spät ins Bett und schliefen zu kurz. »Die Verbesserung des eigenen Schlafverhaltens ist das beste Vorbild für das Kind«, mahnt Ingo Fietze an. Eine schlechte Schlafhygiene ist eine der Ursachen für Schlafschwierigkeiten, die sich oft gut beheben lassen – mit einem geregelten Tagesablauf, festen Schlafzeiten, Einschlafritualen, einer ruhigen und abgedunkelten Schlafumgebung – und vor allem mit viel Geduld und Konsequenz seitens der Eltern (siehe »Zehn Tipps für einen guten Schlaf bei Kindern«).
Bei ganz kleinen Kindern ist das jedoch nicht so einfach. Babys haben generell einen gänzlich anderen Schlaf-wach-Rhythmus als ältere Kinder oder Erwachsene. »Der zirkadiane Rhythmus der Schlaf-wach-Abfolgen entsteht erst im Lauf des ersten Lebensjahres«, sagt Ingo Fietze. »Mit knapp zwei Jahren ist der kindliche Tag-Nacht-Rhythmus dann ausgereift.« Dafür benötige der Säugling sowohl die biologische Reifung seines Gehirns als auch anderer physiologischer Zusammenhänge. Daneben würden ihm die äußeren Taktgeber von Hell-Dunkel-Phasen und die Schlafhygiene durch seine Eltern helfen. Wie wichtig es ist, dass die Eltern den Rahmen für guten Schlaf vorgeben und sogar bei sehr kleinen Kindern schon konsequent sein sollten, unterstreicht auch der steirische Experte Reinhold Kerbl: »Wenn Eltern bei jeder Regung des Kindes mit diesem auf- und ablaufen, die Flasche oder die Brust anbieten oder es wiegen, gewöhnt sich der Säugling schnell an diese Rituale.« Ab dem fünften Monat genüge es meist, den Hunger des Kindes ein- bis zweimal die Nacht zu stillen. So kann man kleine Kinder langsam daran gewöhnen, dass die Nacht zum Schlafen gedacht ist und der Tag – abgesehen von kleinen Schläfchen – für Aktivität.
Ab wann hat mein Kind eine Schlafstörung?
Bei den Kleinsten kann man auf Grund ihres Schlafprofils – das zwar mitunter häufig unterbrochen, aber dennoch altersgemäß ist – nicht von Schlafstörungen sprechen. Ältere Kinder wiederum reagieren manchmal auch einfach mit schlechtem Schlaf auf einen entscheidenden Entwicklungsschritt, den sie gerade vollziehen, oder auf eine größere Umstellung, wie beispielsweise einen Umzug oder den Schulanfang. Dann treten Schlafschwierigkeiten meistens nur vorübergehend für einen bestimmten Zeitraum auf und verschwinden wieder.
Um eine echte Schlafstörung hingegen handelt es sich, wenn ein mehr als zwölf Monate altes Kind das schlechte Schlafverhalten über einen längeren Zeitraum regelmäßig zeigt. Eine Durchschlafstörung liegt etwa vor, wenn Kinder über einen Monat lang in mehr als fünf Nächten in der Woche dreimal oder öfter pro Nacht aufwachen und für mindestens 30 Minuten wach bleiben und zum erneuten Einschlafen die Unterstützung der Eltern benötigen. Um eine Einschlafstörung handelt es sich, wenn ein mehr als zwölf Monate altes Kind über einen Monat lang an mehr als fünf Nächten in der Woche mehr als 30 Minuten zum Einschlafen braucht oder es dies nicht allein bewältigt, sondern beispielsweise herumgetragen werden muss, bis es einschlummert. Zudem sollten die Eltern sich fragen, wie sehr die Schlafsituation sie selbst oder die Familie belastet. Auch dies ist ein Kriterium, um festzustellen, ob eine Schlafstörung vorliegt.
Wie erkenne ich eine Schlafstörung bei meinem Kind?
Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) empfiehlt Eltern, fünf Fragen zu beantworten, wenn sie glauben, dass ihr Kind ein ernsthaftes Schlafproblem hat:
- Braucht Ihr Kind in der Regel 30 Minuten und länger, um einzuschlafen beziehungsweise um nach dem nächtlichen Aufwachen wieder einzuschlafen?
- Verhält sich Ihr Kind im Schlaf auffällig?
- Ist Ihr Kind tagsüber fit und munter?
- Wie viel Zeit pro Tag verbringt Ihr Kind mit der Nutzung von Medien? (Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt im Alter von 0 bis 3 Jahren keine Mediennutzung, im Alter von 3 bis 6 Jahren höchstens 30 Minuten täglich, im Alter von 6 bis 10 Jahren maximal 45 bis 60 Minuten täglich.)
- Fühlen Sie sich selbst durch das Schlafverhalten Ihres Kindes beeinträchtigt?
Patientenratgeber der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), »Schlaf und Schlafstörungen bei Säuglingen, Kleinkindern, Kinder und Jugendlichen«, 2022
Dauerhafter Schlafmangel mit Folgen
Ernsthafte Schlafprobleme im Kindesalter haben weit reichende Auswirkungen, vor allem, weil rund zwei Drittel der betroffenen Kinder mehrere Jahre Schlafstörungen haben. Ein Kind, das über einen längeren Zeitraum abends schlecht ein- oder nachts nicht durchschlafen kann, kämpft tagsüber mit den Folgen des Schlafmangels. So kann es dauerhaft Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, es kann ein ungewöhnliches Verhalten zeigen und seine Gefühle womöglich schlechter regulieren als Altersgenossen. Auch seine geistige Entwicklung und sein Körperwachstum können sich verzögern. Kanadische Forscherinnen und Forscher zeigten zudem, dass mit Schlafstörungen das Risiko für depressive Symptome bei Kindern steigt. Die Psychiaterin Cecilia Marino von der University of Toronto und ihr Team werteten dazu Daten einer seit 1997 laufenden kanadischen Kohortenstudie mit rund 1700 untersuchten Kindern und 1100 Jugendlichen aus. Insbesondere bei den Fünf- bis Achtjährigen entdeckten sie einen direkten Zusammenhang zwischen ernsthaften Schlafproblemen und einer sich manifestierenden Depression. Selbst bei älteren Kindern im Alter von zehn bis zwölf Jahren war diese Korrelation noch nachweisbar, wobei sie mit zunehmendem Alter schwächer wurde. »Gerade das Alter zwischen fünf und zwölf Jahren scheint ein sensitives Zeitfenster zu sein, um über eine Verbesserung der Schlafqualität langfristig depressiven Symptomen vorzubeugen oder diese zumindest in ihrer Ausprägung abzumildern«, schlussfolgert das Forscherteam.
»Häufiges Einschlafen in monotonen Situationen gehört unbedingt im Schlaflabor untersucht«Ingo Fietze, Schlafmediziner
Die meisten Kinder mit ausgeprägten Schlafproblemen zeigen vor allem tagsüber eine enorme Müdigkeit. Eine Tagesschläfrigkeit kann allerdings auch andere Ursachen haben und so weit gehen, dass Betroffene, egal wann und egal wo, in den Schlaf fallen. »Häufiges Einschlafen in monotonen Situationen gehört unbedingt im Schlaflabor untersucht«, sagt Ingo Fietze. Er möchte Eltern vermitteln, dass eine hohe Tagesschläfrigkeit bei Schulkindern nichts Normales ist. Wichtig sei eine Ursachenforschung vor allem dann, wenn es dadurch bereits früh zu schulischen Lücken und Fehlzeiten kommt. Laut dem Schlafmediziner wird Tagesschläfrigkeit meist zu spät untersucht und erkannt: »Ehe Jugendliche bei uns im Schlaflabor auftauchen, die wegen einer Narkolepsie oder einer idiopathischen Schlafstörung (Hypersomnie) morgens schwer weckbar sind, vergehen oft zehn Jahre.«
Bei der kindlichen »Schlummersucht« (Narkolepsie Typ 1) erschlaffen ganz plötzlich die Muskeln, so dass die Betroffenen in sich zusammensacken – das alles bei vollem Bewusstsein. Diese so genannte Kataplexie zeigt sich bei Kindern ganz anders als bei Erwachsenen. Darum dauert es mitunter lange, bis eine richtige Diagnose erstellt wird. Ursache für das Phänomen Narkolepsie ist bei vielen Patientinnen und Patienten eine geringere Menge eines Botenstoffs, der eine wichtige Rolle bei der Regulation von Schlaf und Wachsein spielt. Bei Betroffenen findet sich häufig weniger Orexin im Hirnwasser als bei Gesunden. Da das im Zwischenhirn gebildete Präpro-Orexin als stärkster Wachregulator unseres Körpers gilt, ist es viel bedeutender für unseren Schlaf als das ungleich bekanntere Müdigkeitshormon Melatonin. Ein Orexinmangel kann laut Ingo Fietze eine Erklärung dafür sein, warum manche Narkoleptiker zuweilen am Tag ohne Vorwarnzeichen einschlafen. »Die idiopathische Schläfrigkeit, die auch bei Kindern und vor allem bei Jugendlichen auftreten kann, hängt wohl ebenfalls mit einem Orexinmangel zusammen«, erklärt der Experte. Für diese Form der Schlafstörung gäbe es allerdings noch zu wenig wissenschaftliche Daten.
Wie Kindern mit Schlafproblemen geholfen werden kann
Grundsätzlich muss bei der Suche nach Auslösern für Schlafprobleme und -störungen bei Kindern erst einmal die Schlafhygiene hinterfragt und womöglich verbessert werden. Bei wiederkehrenden Albträumen kann es Kindern helfen, den schlechten Traum aufzuschreiben oder aufzumalen und zu überlegen, wie die bedrohliche Situation im Traum überwunden werden könnte. Dieses gute, alternative Ende wird schließlich dem Bild oder Text hinzugefügt.
Bleiben die Schlafprobleme bestehen, rät der Berliner Schlafmediziner Ingo Fietze Eltern, nicht zu lange mit dem Besuch beim Kinderarzt zu warten. Für das Gespräch können sie das Schlafverhalten ihrer Kinder und andere Beobachtungen in einem Schlaftagebuch festhalten. Die gebündelten Erkenntnisse erleichtern meist die erste Diagnose. Zunächst sollten organische Ursachen ausgeschlossen werden. Grund für einen häufig unterbrochenen oder nicht erholsamen Schlaf kann etwa eine Schlafapnoe sein, die von Eltern manchmal nicht als solche erkannt wird. Oft ist sie eine Folge von zu großen Rachen- oder Gaumenmandeln, die operativ entfernt oder verkleinert werden können. Andere Auslöser müssen durch Fachärzte oder -ärztinnen betreut werden. So können neurologische Erkrankungen oder psychische Probleme der Grund für einen gestörten Schlaf sein, wie etwa traumatische Erfahrungen oder Depressionen, Angststörungen, schizophrene Psychosen oder hyperaktive Störungen.
»Bis auf das recht schwache Präparat Melatonin hat man bei ausgeprägten Schlafstörungen für Kinder arzneitechnisch gar nichts zur Hand«Ingo Fietze, Schlafmediziner
Kindlichen Schlafstörungen ist in Deutschland medikamentös nur schwer beizukommen. Daran dürfte sich hier zu Lande auch so schnell nichts ändern. Das schlechte Image einer Schlafmitteltherapie lässt sich wohl auf den Contergan-Skandal zurückführen. Zwischen 1956 und 1962 hatte dieses Schlaf- und Übelkeitsmedikament bei Schwangeren zur Geburt von rund 5000 bis 10 000 behinderten Kindern geführt. »Bis auf das recht schwache Präparat Melatonin hat man bei ausgeprägten Schlafstörungen für Kinder arzneitechnisch gar nichts zur Hand«, sagt Ingo Fietze. Selbst Melatonin sei in Deutschland für Kinder abseits von genetischen oder speziellen Erkrankungen nicht zugelassen. Für ihn sei die Diskussion um Schlaftabletten für Kinder oft zweischneidig: Einerseits beschäftige sich zumindest die Wissenschaft mit pädiatrischen medikamentösen Schlafhilfen und der schlafförderlichen Neurostimulation – andererseits seien solche Errungenschaften in der Medizin bis heute umstritten. »Es werden ja schon kaum Schlafmedikamente für Erwachsene bewilligt beziehungsweise akzeptiert.« Grund dafür seien Nichtwissen, Vorurteile und auch mangelnde wissenschaftliche Erkenntnisse, erklärt er. Der Einsatz schlaffördernder Mittel erfordere Wissen und Erfahrung und eine engmaschige Begleitung der Betroffenen. All dies werde in Deutschland bisher viel zu wenig eingesetzt, so der Schlafmediziner. Deswegen tendierten Experten heute zuallererst dazu, bei besonders schläfrigen Kindern lieber Guarana auszuprobieren und bei schlecht einschlafenden Kindern auf natürliche Schlafförderer wie Baldrian, Hopfen, Melisse oder Passionsblume beziehungsweise Melatonin zu setzen.
Bei hartnäckigen Schlafschwierigkeiten ist nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen ein Besuch im Schlaflabor ratsam. Dort wird der Schlaf der Betroffenen eine oder mehrere Nächte lang beobachtet, und sie werden an verschiedene Geräte angeschlossen, die Parameter wie Hirnströme, Augenbewegungen, Muskelaktivität, Atmung und Herzrhythmus messen. All diese verschiedenen Informationen erlauben es den Schlafmedizinern, sich ein genaues Bild vom Schlaf derjenigen zu machen.
Auch die Eltern der kleinen Ella haben den Schritt ins Schlaflabor gewählt. Die Untersuchung ergab schließlich einen eher ungewöhnlichen Grund für die Schlafstörung des Mädchens: Bei ihm wurde offenbar das Schlafzentrum im Gehirn durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt geschädigt, wodurch es laut Ärzten häufiger zu starken Schlafschwierigkeiten bei Kindern kommen kann, insbesondere zu untypischen Schlaf-wach-Rhythmen. Seit der Diagnose bekommt Ella zur Nacht eine Tablette retardiertes Melatonin, das verzögert freigesetzt wird und sich deshalb vor allem bei Schlafstörungen mit nächtlichem Aufwachen eignet. Seither schläft das Mädchen nachts elf Stunden durch.
*Name von der Redaktion geändert
Zehn Tipps für einen guten Schlaf bei Kindern
- Regelmäßige Einschlaf- und Aufstehzeiten einführen.
- Schlafrituale und Schlafbegleiter wie Kuscheltiere helfen, den Schlaf einzuläuten.
- Das Kind bloß schlafen legen, wenn es müde ist.
- Zubettgehen sollte keine Strafe darstellen.
- Das Bett ist nur zum Schlafen da, nicht zum Lesen oder Spielen.
- Genügend Zeit zwischen Abendessen und Zubettgehen einplanen.
- Koffeinhaltige Getränke sind für Kinder generell zu vermeiden.
- Keine aufregenden Aktivitäten wie Sport, Fernsehen oder Computerspiele vor dem Schlaf.
- Störende Lichtquellen, Lärmgeräusche oder hohe Temperaturen im Schlafzimmer reduzieren.
- Möglicherweise Mittagsschlaf abschaffen.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJM) »Mein Kind schläft nicht«
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