Insomnie: »Schlechte Schläfer träumen viel vom Grübeln«
Jeder, der hin und wieder schlecht schläft, weiß: Eine durchwachte Nacht kann sich endlos anfühlen. Und je angestrengter man versucht einzuschlafen, desto schlechter gelingt es. Manchen Menschen geht es über Monate oder gar Jahre regelmäßig so – und es scheint kein Ausweg in Sicht. Dabei schlafen die Betroffenen im Schnitt kaum kürzer als gute Schläfer, wie Fachleute herausfanden. Bernd Feige von der Universität Freiburg erforscht, wie es zu diesem Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Schlafdauer kommt. Im Interview spricht er über seine Erkenntnisse und darüber, was sie für die Therapie bedeuten. Denn ausweglos ist die Situation keineswegs.
Herr Feige, manchmal hat man morgens das Gefühl, fast die ganze Nacht wach gelegen zu haben. Der Partner versichert einem aber, dass man geschlafen hat. Wer hat Recht?
Tatsächlich stimmen die gefühlte und die reale Schlafdauer nicht immer überein. Gerade solche Menschen, die generell den Eindruck haben, schlecht zu schlafen, wachen morgens häufig mit diesen diffusen Erinnerungen an eine durchwachte Nacht auf. Würde man sie im Schlaflabor untersuchen, käme vermutlich heraus, dass sie einen beträchtlichen Teil der Nacht schlafen. Das betrifft vor allem Menschen mit einer Schlafstörung, die wir in der Fachwelt als Insomnie bezeichnen.
Das heißt, Menschen mit Insomnie schlafen im Schnitt gar nicht kürzer als Gesunde?
Nur unwesentlich. Wenn Sie eine große Gruppe von Insomnikern im Schlaflabor übernachten lassen und die Schlafdauer mit derjenigen von ebenso vielen guten Schläfern vergleichen, ergibt sich ein durchschnittlicher Unterschied von 25 bis 30 Minuten pro Nacht. Um diese Differenz zu sehen, brauchen wir aber eine große Stichprobe von über 30 Versuchspersonen pro Gruppe, weil die Varianz sehr hoch ist. Jeder Einzelne schläft von Nacht zu Nacht unterschiedlich lang, und zwischen den Individuen ist die Diskrepanz natürlich noch einmal viel größer. Gemessen an der subjektiven Beeinträchtigung, die bei den Betroffenen ja katastrophal sein kann, ist die im Labor gemessene Schlafzeit also nur geringfügig verändert. Das macht einen schon stutzig.
Ist die Insomnie nicht genau dadurch definiert, dass die Person nicht einschlafen kann oder stundenlang wach liegt?
Das schon, aber die Diagnose beruht auf rein subjektiven Angaben. Wenn jemand berichtet, über mehrere Wochen hinweg schlecht zu schlafen, und deshalb tagsüber unter starker Müdigkeit und beispielsweise Konzentrationsproblemen leidet, würden wir sagen: Die Person hat eine Insomnie. Dafür ist keine Untersuchung im Schlaflabor nötig. Eine solche würden die Krankenkassen auch nicht bezahlen – außer eventuell, um auszuschließen, dass es sich um eine unerkannte Schlafapnoe handelt, also nächtliche Atemaussetzer.
Wollen Sie damit sagen, die Betroffenen bilden sich ihre Schlafprobleme nur ein?
Nein, auf gar keinen Fall! Es liegt ja eine starke Beeinträchtigung vor, und die muss man auf jeden Fall ernst nehmen. Das ist einer der Gründe, warum die Diagnose auf subjektiven Kriterien beruht: Denn für die Therapie ist in erster Linie entscheidend, worunter die Person leidet, nicht, was gemessen wird. Zudem ist zwar die Schlafdauer nicht unbedingt nennenswert verkürzt, dafür haben wir aber andere Auffälligkeiten im Schlafmuster der Patientinnen und Patienten gefunden.
Welche?
Sie betreffen den so genannten REM-Schlaf, wobei REM für »rapid eye movement« steht. Man nennt ihn auch Traumschlaf, und er ist eines der Schlafstadien, die wir in jeder Nacht mehrmals durchlaufen. Wir beginnen fast immer mit dem Leichtschlaf, wechseln dann in den tieferen Non-REM- und schließlich in den REM-Schlaf. Ich habe mit meinem Team an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg in einer retrospektiven Studie eine große Menge Schlaflabor-Daten ausgewertet. Wir haben berechnet, wie viele Minuten jede Versuchsperson in jedem Schlafstadium verbracht hat. Dabei entdeckten wir Folgendes: Je länger eine Person glaubte in der Nacht wach gelegen zu haben, desto mehr Zeit hatte sie im REM-Schlaf verbracht. Das betraf vor allem Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit diagnostizierter Insomnie.
»Man vergisst normalerweise die kleinen Wachphasen, die jeder von uns hat«
Wie könnte das mit dem verzerrten Urteil über die eigene Schlafdauer zusammenhängen?
Die Ergebnisse wiesen erstmals darauf hin, dass Menschen mit Insomnie den REM-Schlaf anders wahrnehmen – möglicherweise als Wachzeit. Direkt konnte man das an den Daten allerdings nicht ablesen. Deshalb haben wir eine weitere Untersuchung angeschlossen: Wir ließen wieder gute Schläfer und Personen mit Insomnie in unserem Labor übernachten. Diesmal weckten wir sie zwischendurch, und zwar in einer Nacht dreimal aus dem REM-Schlaf und in einer anderen Nacht ebenso häufig aus dem Non-REM-Schlaf. Dazu spielten wir ihnen Töne in ansteigender Lautstärke vor. Sobald sie wach waren, mussten sie einen Taster drücken, der an ihrem Daumen befestigt war. Wir dachten, die Insomniepatienten haben vielleicht eine niedrigere Weckschwelle, sie wachen also bereits bei einer geringeren Lautstärke auf. Das hat sich zu unserer Überraschung aber nicht bestätigt.
Dafür fiel etwas anderes auf: Direkt nachdem die Versuchspersonen aufgewacht waren, haben wir sie gefragt, ob sie gerade wach waren oder geschlafen haben. Und hier unterschied sich das Urteil der Menschen mit Insomnie von dem der Gesunden, allerdings nur beim Wecken aus dem REM-Schlaf. Die Patienten gaben deutlich häufiger an, soeben wach gewesen zu sein.
Wie erklären Sie sich das?
Das ergibt sich aus den Antworten auf die zweite Frage, die wir unseren Probandinnen und Probanden stellten: »Ist Ihnen gerade etwas Angenehmes oder etwas Unangenehmes durch den Kopf gegangen?« Hier zeigte sich, dass die Insomniker im Schnitt deutlich negativere Gedanken hegten, wenn wir sie aus dem REM-Schlaf weckten, als die Gesunden. Wahrscheinlich drehten sich ihre Träume genau um das Thema, das für sie so problembehaftet ist: das Herumwälzen im Bett. Ich nenne das manchmal »Albtraum vom schlechten Schlaf«. Gute Schläfer sehen sich im Traum oft in Situationen, die nicht viel mit der Nachtruhe zu tun haben – beim Kaffeetrinken mit der Großmutter, bei anderen Begegnungen mit Menschen oder bei der Suche nach einem weggelaufenen Haustier. Wacht man aus einem solchen Traum auf, weiß man natürlich sofort, dass man geschlafen hat. Normalerweise überschätzen Menschen die Schlafzeit sogar häufig. Denn sie vergessen in der Regel die kleinen Wachphasen, die jeder von uns hat.
Warum träumen Menschen mit Schlafstörung so viel vom Wachliegen?
Der REM-Schlaf ähnelt recht stark dem Wachzustand, weil man währenddessen häufig Ereignisse des Tages noch mal durchgeht. Manche Menschen können sogar die Handlung ihrer Träume aktiv beeinflussen – ein Phänomen, das man luzides Träumen nennt. Normalerweise kann man im Schlaf nicht bewusst handeln, das ist ja eigentlich ein Grundkriterium des Schlafs. Doch gerade der REM-Schlaf kann so verändert sein, dass man die eigene Situation wahrnehmen und teils sogar bewusst darauf reagieren kann. Nun sind Insomniepatienten überzeugt davon, schlecht zu schlafen, und sie gehen daher oft mit diesen negativen Erwartungen ins Bett: »Jetzt kann ich schon wieder nicht einschlafen, die Nacht wird bestimmt furchtbar!« Irgendwann nicken sie ein, denn der Körper nimmt sich die Auszeit, die er braucht. Die Menschen aber bringen die negativen Gedanken mit in den Schlaf. Es ist gut belegt, dass man recht viel von dem träumt, was einen tagsüber beschäftigt hat.
»Die Menschen bringen die negativen Gedanken mit in den Schlaf«
Und wenn man aufwacht, hat man den Eindruck, bis dahin nur gegrübelt zu haben.
Genau. Schlechte Schläfer träumen viel vom Grübeln. Deshalb fällt es den Betroffenen so schwer, den REM-Schlaf vom Wachsein zu unterscheiden. Das dürfte aber nicht die ganze Geschichte sein.
Welcher Teil fehlt?
Wie wir inzwischen alle wissen, ist das Gehirn äußerst komplex. Wenn Sie in einem Hirnbereich einen Schlaganfall haben, kann sich das ganz anders äußern, als wenn ein anderer Teil betroffen ist. Wir Schlafforscher beurteilen aber beim so genannten Schlaf-Staging im Labor einfach pauschal die Aktivität des gesamten Gehirns. Wir sagen: »Es ist jetzt in Stadium zwei. Punkt.« Das ist eigentlich viel zu ungenau, da sich sehr wahrscheinlich nicht alle Hirnareale zur selben Zeit im selben Stadium befinden. Die Elektroenzephalografie (EEG), mit der wir die Hirnaktivität bestimmen, erfasst zudem nur den Zustand der oberflächlichen Hirnbereiche. Regionen unterhalb des Kortex bleiben unter dem Radar.
Und die subkortikalen Areale könnten womöglich noch wach sein, während der Kortex schon schläft?
Zumindest zum Teil. Tief im Gehirn liegen zum Beispiel das limbische System und andere Netzwerke, die Emotionen sowie ein grundlegendes Alarmgefühl vermitteln. Wir sprechen hier von Arousal, also dem Impuls, auf jegliche potenzielle Gefahr zu reagieren. Menschen mit Schlafstörungen neigen zu einer solchen Alarmhaltung. Sie nehmen das Nicht-schlafen-Können selbst als Bedrohung wahr. Möglicherweise arbeiten die dafür zuständigen Zentren noch auf Hochtouren, während die Großhirnrinde schon schläft.
»Der gesunde Schlaf ist dadurch gekennzeichnet, dass man ihn einfach geschehen lässt«
Das erinnert mich an Tiere wie Delfine oder Vögel, die nur mit einer Hirnhälfte schlafen, um mit der anderen noch auf Gefahren reagieren zu können.
Ja, so ähnlich könnte es sein. Nur dass es beim Menschen nicht eine komplette Hemisphäre ist. Es gibt eine Forschungsrichtung, die sich mit dem Phänomen des lokalen Schlafs beschäftigt. Sie gründet auf der Erkenntnis, dass verschiedene Teile des Gehirns unterschiedlichen Erholungsbedarf haben. Eines der ersten Experimente dazu hat der Neurobiologe Reto Huber von der Universität Zürich durchgeführt. Dabei fixierte er einen ganzen Tag lang mit einer Schlinge jeweils einen Arm seiner Versuchspersonen. Er nahm an, dass dadurch die Hirnregion, die für den anderen, beweglichen Arm zuständig ist, mehr ermüdet als die weniger aktive Seite des Gehirns. Und tatsächlich maß Huber in der Folgenacht im Non-REM-Schlaf über der Hemisphäre, die tagsüber aktiver gewesen war, mehr Deltawellen mit großen Ausschlägen. Das ist ein Marker für Regenerationsvorgänge: je höher die Deltawellen, desto intensiver die Regeneration. Wir können davon ausgehen, dass Vergleichbares auch in tiefer liegenden Hirnarealen abläuft, die wir im EEG nicht sehen. Wenn ich anderthalb Stunden vor Studenten rede, sind ganz andere Teile meines Gehirns ermüdet, als wenn ich in derselben Zeit zum Beispiel laufe.
Eine Schlafstörung ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass man tagsüber sehr erschöpft ist. Wenn die Schlafdauer gar nicht so stark verkürzt ist, muss die Müdigkeit noch andere Gründe haben. Ein nächtlich aktives Alarmsystem vielleicht?
Das kann gut sein. Bei einem Experiment haben wir unseren Versuchspersonen, Insomnikern sowie einer Gruppe gesunder Kontrollpersonen, im Schlaflabor die ganze Nacht lang Gitarrentöne vorgespielt. Davon wachten sie nicht auf, aber Messungen per EEG deuteten darauf hin, dass die Insomniepatienten sie dennoch anders verarbeiteten. Sie wiesen während des REM-Schlafs veränderte ereigniskorrelierte Potenziale auf – das sind Ausschläge im elektrischen Aktivitätsmuster, die anzeigen, wenn eine Hirnregion auf einen äußeren Reiz reagiert. Diese Veränderung kann etwa von tiefer liegenden Emotionsarealen kommen und auf eine höhere Empfindlichkeit des Alarmsystems hindeuten.
Das heißt, die Patientinnen und Patienten hatten ihre »Antennen« auf die Gitarrenmusik gerichtet, während sie schliefen?
Ja, genau. Wenn man ohnehin schon sehr empfänglich für potenzielle Bedrohungen ist, registriert das Alarmsystem womöglich auch während des Schlafs jede kleine Störung. Selbst wenn man davon nicht aufwacht. Und eine solche REM-Phase könnte weniger erholsam sein. Studien zufolge ist zudem die Abfolge der Schlafstadien entscheidend für den Erholungseffekt, so dass die Funktion des REM-Schlafs in diesem Zusammenspiel beeinträchtigt sein kann.
Die Betroffenen plagt oft ein Gefühl der Hilflosigkeit. Dabei ist ihre Situation nicht ausweglos. Was raten Sie ihnen?
Ich sage mal zuerst, was ich nicht empfehle: Schlafmittel! Wobei der Begriff eigentlich falsch ist, weil man bislang keine Substanz kennt, die den natürlichen Schlaf einleitet oder fördert. Die bekanntesten, Benzodiazepine oder Z-Substanzen zum Beispiel, sind eher Betäubungsmittel. Sie leiten einen Zustand ein, der sich stark vom natürlichen Schlaf unterscheidet, weil sie lediglich die Hemmung des Nervensystems erhöhen.
»Man kennt bislang keine Substanz, die den natürlichen Schlaf einleitet oder fördert«
Was ist so problematisch daran?
Erstens hatte ich ja gesagt, dass es für die Erholung des Gehirns vor allem auf die Abfolge der Schlafphasen ankommt. Diese ist durch die Medikamente verändert. Und zweitens lässt das Gehirn die Dämpfung der neuronalen Aktivität nicht einfach geschehen, sondern es regelt nach: Wenn ich also die Hemmung künstlich steigere, fährt es im Gegenzug die Erregung hoch. So dauert es nicht lange, bis die übliche Dosis nicht mehr ausreicht und die Betroffenen mehr von den Mitteln nehmen, womit sich das Problem noch weiter verschärft. Und wenn sie den Stoff dann wieder absetzen, ist das Gehirn auf einem sehr hohen Erregungsniveau. Sie können somit noch schlechter schlafen als vorher.
Was empfehlen Sie stattdessen?
Für Menschen, die unter starken Schlafproblemen leiden, gibt es ein wirksames, gut etabliertes Programm: die so genannte kognitiv-behaviorale Therapie für Insomnie, eine kognitive Verhaltenstherapie. Zu einer solchen raten auch die Leitlinien. Hierbei erlernt man beispielsweise Maßnahmen zur Schlafhygiene und Verhaltensweisen, die die Nachtruhe verbessern können. Die Therapie besteht aus verschiedenen Bausteinen. Einer davon ist die Aufklärung über die Prozesse des Schlafs. Eine ganz wichtige Erkenntnis für die Betroffenen ist etwa die Tatsache: Man schläft umso schlechter, je mehr Sorgen man sich über das Wachsein macht. Denn der gesunde Schlaf ist dadurch gekennzeichnet, dass man ihn einfach geschehen lässt. Versucht man, ihn zu erzwingen, wird er nicht eintreten. Es geht also vor allem darum, das Vertrauen wiederzugewinnen, das nötig ist, um den Schlaf geschehen zu lassen.
Worüber werden die Patientinnen und Patienten noch aufgeklärt?
Das Ziel der Aufklärung besteht darin, die katastrophalen Erwartungen abzumildern. Das gelingt unter anderem, indem man den Menschen klarmacht: Jeder schläft ab und an schlecht, und das wirkt sich oft gar nicht so stark auf die Leistungsfähigkeit am nächsten Tag aus. Es kann zudem hilfreich sein zu betonen, dass man mit zunehmendem Alter immer weniger Schlaf benötigt. Wenn die Betroffenen das wissen, versuchen sie nicht mehr, die gleiche Dauer zu erzwingen wie in jungen Jahren.
Und wie kann man sich den »Verhaltens«-Teil der kognitiv-behavioralen Therapie vorstellen?
Eine sehr wirksame Komponente ist die Schlafrestriktion. Dabei gilt es zunächst einzuschätzen, wie viele Stunden pro Nacht man insgesamt schläft. Nehmen wir mal an, es sind fünf Stunden. Ziel ist es nun, die Bettzeit auf diesen Zeitraum zu verkürzen. Man geht dann also zum Beispiel anstatt um 23 Uhr um Mitternacht ins Bett und steht um 5 Uhr morgens wieder auf. An diesen Schlafrhythmus hält man sich auch am Wochenende.
»Die natürliche Reaktion der meisten Menschen mit Schlafstörung ist, einfach länger im Bett zu bleiben«
Sind die Menschen dann nicht völlig gerädert am Tag?
Vorübergehend schon. Deshalb erscheint die Maßnahme den Patienten erst mal kontraproduktiv, da sie ja eigentlich länger schlafen wollen. Und tatsächlich ist die natürliche Reaktion der meisten Menschen mit Insomnie, einfach länger im Bett zu bleiben. Aber das ist nicht hilfreich, weil das den Schlafdruck weiter senkt und sie in der Folgenacht noch unruhiger sind. Durch die Restriktion erhöht man den Schlafdruck systematisch. Die Patienten sind dann so müde, dass sie automatisch, ohne zu grübeln, ein- und auch durchschlafen. Und diese Erkenntnis ist extrem wichtig: Ich bin noch in der Lage, gut zu schlafen! Man könnte das der Person noch so oft versichern – sie muss es selbst erfahren. Und mit der Gewissheit kann sie ihre Bettzeit dann langsam wieder erhöhen.
Sollten die Patienten erfahren, dass die Schlafdauer in Wirklichkeit kaum verkürzt ist? Vielleicht nähme das ein wenig den Druck raus.
Hier wäre ich vorsichtig. Wir nehmen die Beschwerden der Hilfesuchenden zu hundert Prozent ernst und würden auf gar keinen Fall sagen: »Was haben Sie denn? Sie schlafen doch!« Das ist nicht der richtige Ansatz, denn die Symptome sind ja da und schränken die Lebensqualität stark ein. Andererseits haben Sie natürlich Recht. Es kann helfen zu wissen, dass man geschlafen hat, obwohl es sich nicht so anfühlte. Dafür gibt es sogar ein spezielles Biofeedbackverfahren: Man lässt die Menschen mehrfach einschlafen und weckt sie jedes Mal sofort wieder auf. Oft sind sie überrascht, dass sie bereits eingenickt waren. Irgendwann bekommen sie erneut eine Ahnung davon, wie es sich anfühlt zu schlafen.
Albträume behandelt man ja bisweilen, indem man deren Inhalt tagsüber umschreibt und ihnen einen angenehmen Dreh verpasst. Nun bezeichneten Sie Schlafstörungen als »Albtraum vom schlechten Schlaf«. Könnte man dessen Handlung nicht auf die gleiche Weise ins Positive kehren?
Das stimmt. Bei der Albtraumtherapie versucht man, im Wachzustand jene Probleme zu lösen, die im Traum aufkommen. Das funktioniert in der Regel sehr gut. Und tatsächlich spielt das implizit bereits bei der Behandlung von Schlafstörungen eine Rolle. Letztlich tut die kognitive Verhaltenstherapie genau das: Die Betroffenen bearbeiten im Wachzustand den Inhalt ihrer Träume, also die Sorge, nicht schlafen zu können. Sie lernen, mit ihren Befürchtungen umzugehen. Basierend auf den Erkenntnissen unserer Studien wollen wir diesen Anteil nun noch weiter stärken, aber vieles findet schon in der normalen Standardtherapie statt.
In der Literatur findet man häufig den Begriff »Pseudoinsomnie«. Sie schrieben mir vorab, Sie halten davon nicht viel. Warum?
»Pseudo-« legt nahe, dass die Menschen sich ihre Schlafstörung nur einbilden. Das würde ich nie behaupten. Es wäre auch ein Widerspruch, denn die Diagnose »Insomnie« beruht ausschließlich auf den subjektiven Beschwerden – und die sind ja da. Ein verwandter Begriff, »paradoxe Insomnie«, trifft es ebenfalls nicht ganz. Er suggeriert, dass man die bei einer Schlafstörung vorherrschenden subjektiven Symptome im Schlaflabor nicht nachweisen kann. Aber das stimmt inzwischen nicht mehr, schließlich haben wir physiologische Korrelate gefunden. Wir sollten daher vermeiden, mit solchen Bezeichnungen das Leid der Patienten herunterzuspielen, und lieber erforschen, wie man ihnen besser helfen kann.
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