Direkt zum Inhalt

News: Schlamperei als letzte Rettung

Die Bestrahlung von Bakterien mit ultraviolettem Licht gehört seit Jahren zum gängigen Methodenrepertoir in mikrobiologischen und biochemischen Labors auf der ganzen Welt, um mutierte Zellen mit neuen Eigenschaften zu gewinnen. Warum diese Behandlung aber eigentlich zu so vielen Veränderungen im Erbgut der Organismen führt, konnte niemand genau sagen. Nun ist es gelungen, ein Protein zu isolieren, daß nur im UV-Licht und bei ähnlich bedrohlichen Situationen hergestellt wird. Seine Aufgabe ist es, möglichst schnell fehlerhafte Kopien der DNA zu machen, in der Hoffnung, daß dabei zufällig eine lebensrettende Mutation auftritt.
Auf der Suche nach dem Grund für die vielen Veränderungen der DNA von Bakterien, die mit UV-Licht bestrahlt werden, untersuchte ein Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Myron F. Goodman von der University of Southern California, welche Proteine nur in einer solchen Streßsituation kurz in der Zelle auftauchten. In ihren Experimenten mit dem "Haustier der Mikrobiologen", dem Darmbakterium Escherichia coli, stellten sie fest, daß ein Proteinkomplex, der als sogenannte DNA-Polymerase die Vervielfältigung des bakteriellen Erbguts katalysiert, für viele der Mutationen verantwortlich ist (Proceedings of the National Academy of Sciences vom 3. August 1999).

Das als "pol V" bezeichnete Enzym unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht deutlich von den gut studierten Polymerasen pol I, II und III. Zum einen arbeitet es sehr ungenau. Während die anderen drei Polymerasen weniger als einen Fehler auf eine Million korrekt kopierte DNA-Basen machen, arbeitet pol V etwa hundertmal ungenauer. Außerdem ist seine Struktur ganz anders als die von pol I, II und III, von denen aufgrund ihrer Ähnlichkeit zueinander vermutet wird, daß sie von einem einzigen Vorläufer abstammen.

Für Notsituationen, in deren Verlauf die DNA der Zelle geschädigt wird, haben Bakterien einen effektiven Reparaturmechanismus entwickelt, die sogenannte SOS-Antwort. Innerhalb von nur einer Stunde beginnen Enzyme, Mutationen des Erbgutes aufzuspüren und rückgängig zu machen. "Daher war es ein Rätsel, weshalb ultraviolettes Licht so viel Schaden anrichten kann, wenn diese Reparatursysteme doch so effizient sind", sagt Goodman. "Warum finden wir so viele Mutationen?"

Im Laufe ihrer Forschung fanden die Wissenschaftler heraus, daß die Vermehrung der DNA immer genau dann fehlerhaft verlief, wenn ein Komplex aus ungewöhnlichen Proteinen, die mit umuC und umuD bezeichnet wurden, in der Zelle vorkam. Die Gene für die beiden Proteine lagen auf einem besonders gut kontrollierten Abschnitt der DNA. Nur unter ganz bestimmten Bedingungen – zum Beispiel bei starkem UV-Licht – ermöglicht das Protein RecA die Produktion von umuC und umuD. "Jeder hat angenommen, daß diese umu-Proteine dann irgendwie die DNA-kopierenden Enzyme beeinflussen und irgendwie die Kopiergenauigkeit von pol III herabsetzen...", erklärt Goodman.

Jetzt ist es den Biologen aber gelungen, den aktiven Proteinkomplex zu isolieren. Sie nennen ihn umuD'2C, da er aus zwei leicht veränderten Molekülen umuD und einem Molekül umuC besteht. Statt jedoch wie erwartet mit den bekannten Polymerasen zu wechselwirken, erwies er sich als eigene DNA-Polymerase, die schneller, aber eben auch ungenauer als pol III kopiert.

Nach Ansicht von Goodman hat die Zelle solch eine schlampige Kopiermaschine entwickelt, um sich mit einem letzten, verzweifelten Kraftakt vielleicht doch noch an lebensbedrohliche Situationen anpassen zu können. "In Anbetracht der Wahl zwischen einer möglichen Mutation und dem Tod wählt die Zelle die Mutation."

Siehe auch

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.