News: Schlamperei als letzte Rettung
Das als "pol V" bezeichnete Enzym unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht deutlich von den gut studierten Polymerasen pol I, II und III. Zum einen arbeitet es sehr ungenau. Während die anderen drei Polymerasen weniger als einen Fehler auf eine Million korrekt kopierte DNA-Basen machen, arbeitet pol V etwa hundertmal ungenauer. Außerdem ist seine Struktur ganz anders als die von pol I, II und III, von denen aufgrund ihrer Ähnlichkeit zueinander vermutet wird, daß sie von einem einzigen Vorläufer abstammen.
Für Notsituationen, in deren Verlauf die DNA der Zelle geschädigt wird, haben Bakterien einen effektiven Reparaturmechanismus entwickelt, die sogenannte SOS-Antwort. Innerhalb von nur einer Stunde beginnen Enzyme, Mutationen des Erbgutes aufzuspüren und rückgängig zu machen. "Daher war es ein Rätsel, weshalb ultraviolettes Licht so viel Schaden anrichten kann, wenn diese Reparatursysteme doch so effizient sind", sagt Goodman. "Warum finden wir so viele Mutationen?"
Im Laufe ihrer Forschung fanden die Wissenschaftler heraus, daß die Vermehrung der DNA immer genau dann fehlerhaft verlief, wenn ein Komplex aus ungewöhnlichen Proteinen, die mit umuC und umuD bezeichnet wurden, in der Zelle vorkam. Die Gene für die beiden Proteine lagen auf einem besonders gut kontrollierten Abschnitt der DNA. Nur unter ganz bestimmten Bedingungen – zum Beispiel bei starkem UV-Licht – ermöglicht das Protein RecA die Produktion von umuC und umuD. "Jeder hat angenommen, daß diese umu-Proteine dann irgendwie die DNA-kopierenden Enzyme beeinflussen und irgendwie die Kopiergenauigkeit von pol III herabsetzen...", erklärt Goodman.
Jetzt ist es den Biologen aber gelungen, den aktiven Proteinkomplex zu isolieren. Sie nennen ihn umuD'2C, da er aus zwei leicht veränderten Molekülen umuD und einem Molekül umuC besteht. Statt jedoch wie erwartet mit den bekannten Polymerasen zu wechselwirken, erwies er sich als eigene DNA-Polymerase, die schneller, aber eben auch ungenauer als pol III kopiert.
Nach Ansicht von Goodman hat die Zelle solch eine schlampige Kopiermaschine entwickelt, um sich mit einem letzten, verzweifelten Kraftakt vielleicht doch noch an lebensbedrohliche Situationen anpassen zu können. "In Anbetracht der Wahl zwischen einer möglichen Mutation und dem Tod wählt die Zelle die Mutation."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 24.8.1998
"Zu schnell für genaues Arbeiten" - Spektrum Ticker vom 15.1.1998
"Viel Bewegung auf wenig Raum"
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