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Physiologie: Schlank ohne Verzicht: Die Flieger-Diät!

Allzu viel braucht's nicht, sich den Traum vom Fliegen zu verwirklichen: Technik und Geld für uns Menschen, Flügel und ein paar aerodynamische Körperdetails für Vögel und andere Naturtalente. In den Details steckt allerdings der Teufel und besteht auf raffinierten anatomischen Lösungen.
Vogelflug
Eins ist schnell klar – Essen wie ein Spatz ist keine Lösung für ein grundsätzliches Problem von Feld- Wald- und Wiesenvögeln sowie überhaupt aller flugfähigen Wirbeltiere zwischen Fledermaus und Albatros: der Schwierigkeit, die rechte Balance zu finden zwischen den Extremen "satt, aber zu vollgefressen zum Abheben" und "leicht, aber zu kraftlos zum Start". Die Fortbewegungsart Fliegen ist Hochleistungssport, der nach ausreichender Energieversorgung verlangt – gleichzeitig aber nach einer gewissen diätären Zurückhaltung, weil zu schwer im Magen und Eingeweidetrakt liegende Energiebringer die Nutzlastkapazitäten eines fliegenden Tiers rasch übersteigen.

Eine mögliche Antwort auf das Dilemma, so vermuten in der Flugforschung beschäftigte Biologen seit langem, dürfte Effizienz sein. Vögel, aber auch Fledermäuse sollten mit möglichst ausgefeilten Hochleistungs-Verdauungsapparaten dafür sorgen, dass aus aufgenommener Nahrung möglichst schnell möglichst viel Energie extrahiert wird. Dann kann der schwere, nutzlose Fäkalrest der Nahrung auch fix durch die dem Schnabel entgegengesetzte Körperöffnung aus dem Verdauungstrakt entsorgt werden. Bei maximaler Effizienz ist so ein minimal langer Darmtrakt möglich, wodurch weiter Gewicht gespart wird: Kürzere Därme sind schon leer leichter und begrenzen die zwischenzeitliche Zuladung auf ein Mindestmaß.

Das klingt so logisch, dass es bis dato offenbar noch niemand wirklich überprüft hat, geben sich nun Todd McWhorter von der Mordoch-Universität in Australien und seine Kollegen überrascht – und begannen zum Start ihrer Untersuchungen mit skrupulösen Darmlängen-Vermessungen von fliegenden und flugunfähigen Wirbeltierspezies. So ein Vergleich ist natürlich nur fair und aussagekräftig, wenn Gesamtgewicht und Darmlängen der Tiere korreliert werden und nicht gerade spezialisierte Fleisch- und Pflanzenfresser verglichen werden, deren Nahrungsgewohnheiten ziemlich andere Eingeweide-Herausforderungen stellen.

Am Ende der Studie hatten die Forscher aber Innereien verschiedenster passender Allesfresser vermessen und stellten fest: Ja, der Darm fliegender Vögel und Fledermäuse ist tatsächlich kürzer, seine resorbierende Oberfläche kleiner und sein Gesamtvolumen geringer als der durchschnittliche Dauerbodenbewohner-Darm – Letzteres, gemittelt über alle vermessenen Spezies, sogar um beträchtliche 57 Prozent.

Damit war nur ein Anfang gemacht, der den komplizierteren Teil der Fragestellung dringlicher werden ließ: Was genau macht diesen im Durchschnitt kürzeren Leichtbauweisedarm denn nun so viel effektiver, dass er dem im Durchschnitt größeren Energiebedarf der Flugtiere genug Nachschub liefert?

Antworten suchten McWhorter und Kollegen mit Messungen von Geschwindigkeit und Transportmenge verschiedener Stoffe durch die Darmepithelien der Tiere. Dabei fiel ihnen besonders eines auf: Gerade seltenere Zucker aus dem verdauten Nahrungsbrei wanderten extrem schnell und gründlich durch die Vogel-, nicht aber die Durchschnittssäuger-Darmwand. Gerade für diese Zucker existierten in den Zellen des Darmepithels keine Transporter; jene spezialisierten Proteine in den Darmzellmembranen, die Zielmoleküle exakt erkennen, binden und aktiv in die Zelle einzuschleusen, von wo aus sie dann in das unter dem Darm liegende Blutgefäßsystem weitergereicht werden.

Von Epithel-Rezeptoren nicht erkannte Nahrungsbestandteile können durchaus auch die Darmwand passieren – sie gehen dabei aber nicht den Weg durch die Zellen, sondern per "parazellulärer Absorption" zwischen ihnen hindurch. Diese Art des "Transportes" hat Vorteile: Er verbraucht keine zusätzliche Energie, da die Moleküle passiv durch die Zellzwischenräume gedrückt werden. Durch diese Lücken der Darmdeckschicht gelangen Moleküle ohne größere Umstände schneller in den Körper.

Vögel scheinen eben durch diesen erhöhten parazellulären Transport die kapazitativen Beschränkungen ihres Kurzdarms auszugleichen, schlussfolgert McWhorters Team. Tatsächlich scheint der Feinaufbau der Darmwand bei Vögeln parazelluläre Zwischenzellraumtransporte zu begünstigen. So fanden die Wissenschaftler pro Fläche etwa mehr Mikrovilli, also mehr der darmtypischen, beweglichen fingerförmige Ausstülpungen. Diese erhöhen zwar nicht die resorbierende Oberfläche, da der größte Teil der Mikrovilliausstülpungen selbst keine Nährstoffe aufnehmen kann – wahrscheinlich aber bedeuten mehr Mikrovilli pro Fläche auch eine größere Zahl mikrovillibildender Zellen, damit zugleich mehr Zellzwischenräume und somit vergrößerte Chancen für parazellulären Transport.

Zudem vermuten die Forscher noch weitere biochemisch-molekulare Unterschiede: Womöglich sind die tight junctions, also jene eng schließenden Manschetten, welche die Zellen eines Epithels fest und undurchdringlich verbinden, im Vogeldarm seltener oder durchlässiger ausgestaltet.

Insgesamt jedenfalls werden durch erhöhten parazellulären Transport mehr Nährstoffe – die seltenen Zucker, aber auch Aminosäuren und Peptide – in kürzerer Zeit durch die Darmwand geschleust und sorgen so für die hohe Effizienz des eigentlich kurzen Darms der Vögel und der Fledermäuse. Natürlich dürfte der unselektive parazelluläre Transport bei aller Effizienz nicht nur Vorteile haben, geben die Forscher zu bedenken: Auch energetisch nicht verwertbare oder gar toxische Substanzen überwinden parazellulär die Darmwand, während sie in einem dichter schließenden, mit selektiven Transportern versehenen Darm von nicht fliegenden Säugetieren unbeachtet bleiben und unschädlich wieder ausgeschieden werden.

Es wäre spannend zu untersuchen, ob Vögel wegen ihres effektiven, aber gefährlich durchlässigen Darms vielleicht auf kompensierende Verhaltensweisen angewiesen sind, die sie zum Beispiel dazu verdammen, auf Experimente mit unbekannten, potenziell schädliche Substanzen enthaltene Nahrungsstoffe eher einmal zu verzichten. Der Vogeldarm hätte seinem Besitzer damit bestimmte ökologische Nischen versperrt. Eines aber verlangt er nicht: Ist ungefährlich scheinende Kost vorhanden, dann wird reingehauen wie ein Weltmeister. Eben wie ein Spatz: Der Durchschnittswildvogel verschlingt, das haben Forscher schon vor längerer Zeit herausgefunden, um satt zu werden etwa ein Drittel mehr Trockenfutter pro Körpergewicht als ein mittelmäßiger nichtfliegender Säuger.

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