Megacitys: Schlaue Systeme und Faktor Mensch
Die Probleme der Megametropolen sind so gewaltig wie die Städte selbst. Technik und "smarte" Systeme sollen eine Lösung bringen. Aber profitiert davon auch die Bevölkerung?
Ob Babylon, Nairobi, Angkor oder New York – Städte üben seit alters eine magische Anziehungskraft auf Menschen aus. Wohlstand, Bildung und Karriere, Freiheit von traditionellen, familiären oder religiösen Zwängen – schon immer erhofften sich die Glückssucher all das von ihrem Wegzug vom Land. Eines aber hat sich dramatisch verändert: die Geschwindigkeit der Urbanisierung. Wellington E. Webb, ehemaliger Bürgermeister von Seattle, prophezeit: "Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter großer Reiche und das 20. das der Nationalstaaten. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Städte."
1900 lebten 13 Prozent der Menschheit in Städten. Heute sind es 50 Prozent, und 2030 werden es voraussichtlich schon 60 Prozent sein. Städte bedecken weniger als ein Prozent der Erdoberfläche, benötigen aber drei Viertel der weltweit verbrauchten Energie und stoßen genauso viel Treibhausgase aus. Jeden Tag wächst die Zahl der Stadtbewohner um 200 000 Menschen.
Werden Städte unregierbar?
Die große Frage lautet: Wie lassen sich die Megametropolen regieren? Können die Stadtväter und -mütter ihre Kernbereiche Strom- und Wasserversorgung, Verkehr, Sicherheit, Wirtschaft, Umweltschutz, Armut, Finanzen überhaupt in den Griff bekommen? Glaubt man Unternehmen wie Siemens oder auch IBM, dann ist die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie (kurz: IKT/ICT) der Stein der Weisen zum ganzheitlichen Management der großen urbanen Konglomerate.
Neben dem Großstadtverkehr haben die beiden großen Unternehmen die intelligente Steuerung des Energieverbrauchs der Megastädte im Visier. Zu Recht, wie IBM mit eindrucksvollen Zahlen aus den USA belegt. Wären die Stromnetze in den USA nur um fünf Prozent effizienter, könnte pro Jahr der Ausstoß von Treibhausgasen um die Menge gesenkt werden, die den Emissionen von 53 Millionen Autos entspricht. Solche Ziele wären in den USA und anderswo durch den Einsatz so genannter "Smart Grids", also schlauer Energienetze, erreichbar.
Schlaue Systeme …
Smart Grids, wie sie derzeit sowohl von IBM als auch von Siemens entwickelt werden, unterscheiden sich fundamental von bisherigen Netzen. Dass dabei auch zunehmend aus erneuerbaren Energien erzeugter Strom eingesetzt wird, ist schon fast eine Binsenweisheit. Entscheidender noch: Die "smarten" Netze der Zukunft sind dezentral, vergleichbar dem Internet, das auf einer astronomisch hohen Zahl von Servern beruht. Auch Smart Grids basieren nicht mehr allein auf den herkömmlichen E-Werk-Giganten, die bloß Bürger und Wirtschaft mit Strom versorgen. Vielmehr sind die Netze in der Lage, durch IKT die Nachfrage und das Angebot von Strom dynamisch zu steuern.
Wie das in der Praxis zuverlässig funktionieren soll und ob die Verbraucher tatsächlich ihr Konsumverhalten durch präzise Informationen ändern, testet Siemens gerade in 4000 mit Smartmetern ausgerüsteten Haushalten in Singapur. "Smart Grids können in Zukunft auch für andere Bereiche angepasst und eingesetzt werden", sagt Heidinger. Die Wasserversorgung sei ein Beispiel.
… und Faktor Mensch
Ein Modell dieses City Cockpits und seiner bunten, mit Grafiken, Zahlen und Diagrammen gespickten Oberfläche präsentierte Siemens jetzt in Singapur. Wer an dem hypermodernen ganzheitlichen Stadtverwaltungsinstrument Interesse hat, konnte wie in einem überdimensionierten Monopoly spielerisch Häuser und Straßen bauen, die Stromversorgung optimieren oder ein Sicherheitssystem gegen Kriminalität einführen. "Es gewinnen immer die, die sich vor Spielbeginn zusammensetzen und gemeinsam ihre Ziele festlegen", resümiert Heidinger. Hier liegen auch die Grenzen der wunderbaren holistischen Informationswelt: im Faktor Mensch. "IKT kann bei der Problemlösung helfen, aber es muss immer der politische Wille da sein, Probleme als solche zu erkennen, zu akzeptieren und lösen zu wollen."
Ein Beispiel für den "Faktor Mensch" als unbeherrschbare Größe in schlauen Systemen ist das "Mission Convergence"-Projekt in Neu Delhi, das in der Economist-Studie lobend vorgestellt wird. In der indischen Hauptstadt entwickeln seit einigen Jahren Nichtregierungsorganisationen gemeinsam mit den Behörden der Stadtregierung ein System, das zum ersten Mal ein präzises Bild über das Ausmaß der städtischen Armut liefert. Gleichzeitig hoffen sie so, zielgenau Hilfe für die Armen zu leisten. Wieder soll es der Einsatz von IKT möglich machen. Unterstützung komme so schneller an, und durch den Einsatz der Technik werde das Problem der Korruption beseitigt, heißt es in der Studie.
Die Realität sieht anders aus, wie die Doktorandin Richa Dhanju weiß, die ihre Dissertation über das Mission-Convergence-Projekt schreibt. "Diese Pläne sind noch nicht Wirklichkeit geworden, weil das IT-System gerade erst entwickelt wird. Die Ziele des Projekts sind durch Interventionen von Nichtregierungsorganisationen und Politikern mehrfach verändert worden", sagt die Forscherin der Fakultät für Anthropologie an der Texas A&M University. Sie wolle dem Ergebnis ihrer laufenden Forschung zwar nicht vorgreifen, so Dhanju, aber vieles deute darauf hin, dass Mission Convergence der Stadt und den NGOs die Verwaltung der Armut erleichtere, nicht aber "Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit der Armen" fördere.
Es fehle der "politische Wille" vieler Regierungen in den Entwicklungsländern, Slums durch angemessene Wohnmöglichkeiten für die Armen zu ersetzen, klagt Anna Tibaijuka, Chefin von UN Habitat. Gegen den Einsatz von IKT zum Management von Städten sei nichts einzuwenden. Aber auch sie hat Zweifel, ob die Armen von der modernen Technik profitieren werden. Zwei wesentliche Voraussetzungen zur Nutzung von IKT seien in den Slums der Großstädte nicht oder nur sehr bedingt gegeben, gibt sie zu bedenken: Stromversorgung und ausreichende Bildung. "Wer nicht lesen und schreiben kann, für den ist ein Computer nutzlos."
Dennis L. Meadows, einer der Autoren des revolutionären Buchs "Grenzen des Wachstums", warnt in einem Interview in der Siemens-Publikation "Pictures of the Future – Building Greener Cities" davor, in technischen Lösungen den Heiligen Gral zu sehen. "Natürlich müssen wir neue Technologien entwickeln. Aber wir sollten nicht glauben, dass Technologie an sich die Lösung unserer Probleme ist. Hunger, Klimawandel, Energiekrise, sinkende Grundwasserspiegel haben ihre Ursache in unseren Wertesystemen, ethischen Grundsätzen und Verhaltensweisen."
1900 lebten 13 Prozent der Menschheit in Städten. Heute sind es 50 Prozent, und 2030 werden es voraussichtlich schon 60 Prozent sein. Städte bedecken weniger als ein Prozent der Erdoberfläche, benötigen aber drei Viertel der weltweit verbrauchten Energie und stoßen genauso viel Treibhausgase aus. Jeden Tag wächst die Zahl der Stadtbewohner um 200 000 Menschen.
Werden Städte unregierbar?
Die große Frage lautet: Wie lassen sich die Megametropolen regieren? Können die Stadtväter und -mütter ihre Kernbereiche Strom- und Wasserversorgung, Verkehr, Sicherheit, Wirtschaft, Umweltschutz, Armut, Finanzen überhaupt in den Griff bekommen? Glaubt man Unternehmen wie Siemens oder auch IBM, dann ist die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie (kurz: IKT/ICT) der Stein der Weisen zum ganzheitlichen Management der großen urbanen Konglomerate.
Beispiele für den erfolgreichen Einsatz solcher Technologien zu finden, scheint den beiden Firmen keine Schwierigkeiten zu bereiten, wobei für IBM wie auch für Siemens das Zauberwort "smart" lautet. "Schlaue" Systeme finden sich der jüngst veröffentlichten IBM-Studie "A Vision of smart Cities" zufolge unter anderem in Stockholm. Der Einsatz eines anpassungsfähigen Mautsystems hat den Verkehr in der schwedischen Hauptstadt um 20, die Wartezeiten in Staus um 25 und die CO2-Emissionen um zwölf Prozent reduziert.
Neben dem Großstadtverkehr haben die beiden großen Unternehmen die intelligente Steuerung des Energieverbrauchs der Megastädte im Visier. Zu Recht, wie IBM mit eindrucksvollen Zahlen aus den USA belegt. Wären die Stromnetze in den USA nur um fünf Prozent effizienter, könnte pro Jahr der Ausstoß von Treibhausgasen um die Menge gesenkt werden, die den Emissionen von 53 Millionen Autos entspricht. Solche Ziele wären in den USA und anderswo durch den Einsatz so genannter "Smart Grids", also schlauer Energienetze, erreichbar.
Schlaue Systeme …
Smart Grids, wie sie derzeit sowohl von IBM als auch von Siemens entwickelt werden, unterscheiden sich fundamental von bisherigen Netzen. Dass dabei auch zunehmend aus erneuerbaren Energien erzeugter Strom eingesetzt wird, ist schon fast eine Binsenweisheit. Entscheidender noch: Die "smarten" Netze der Zukunft sind dezentral, vergleichbar dem Internet, das auf einer astronomisch hohen Zahl von Servern beruht. Auch Smart Grids basieren nicht mehr allein auf den herkömmlichen E-Werk-Giganten, die bloß Bürger und Wirtschaft mit Strom versorgen. Vielmehr sind die Netze in der Lage, durch IKT die Nachfrage und das Angebot von Strom dynamisch zu steuern.
"Dank der IT können sich die Verantwortlichen einen ganzheitlichen Überblick über die Funktionsabläufe der Stadt verschaffen."
(Klaus Heidinger)
Wie machen sie das? Indem sie den Verbraucher aktiv einbeziehen. In der von Siemens gesponserten und von der Beraterfirma Economist Intelligence Unit erstellten Studie "ICT for City Management" heißt es, 74 Prozent der Bürger und 61 Prozent der Unternehmen würden ihren Umgang mit Ressourcen wie Wasser und Strom verändern, wenn sie genauere Informationen über ihren Verbrauch hätten. Diese präzisen Verbrauchsinformationen könnten ergänzt werden durch aktuelle Preisinformationen, mit denen zusammen sie eine Entscheidungsbasis für den eigenen Konsum bilden sollen. "Die Stromanbieter werden in der Lage sein, durch dynamische Preisgestaltung Verbrauchsspitzen zu glätten und so effizienter und sparsamer Energie zu produzieren", sagt Klaus Heidinger, Leiter des "Globalen Kompetenzzentrums für City Management", Teil von "Siemens IT Solutions and Services" in Singapur. (Klaus Heidinger)
Wie das in der Praxis zuverlässig funktionieren soll und ob die Verbraucher tatsächlich ihr Konsumverhalten durch präzise Informationen ändern, testet Siemens gerade in 4000 mit Smartmetern ausgerüsteten Haushalten in Singapur. "Smart Grids können in Zukunft auch für andere Bereiche angepasst und eingesetzt werden", sagt Heidinger. Die Wasserversorgung sei ein Beispiel.
Aber das City-Kompetenzzentrum von Siemens ist noch einen großen Schritt weiter. "City Cockpit" heißt das System, das die Techniker und Stadtplaner von Siemens entwickelt haben und für das es dem Vernehmen nach schon ernsthafte Interessenten gibt. "Mit der IT-Lösung können sich die Verantwortlichen einen ganzheitlichen Überblick über die verschiedenen Funktionsabläufe der Stadt verschaffen und dabei immer mit dem Budget verbunden bleiben", erklärt Heidinger. "Die Kosten für Problemlösungen sind schnell ermittelbar, prognostizierbar und ihre Auswirkungen auf den Haushalt direkt sichtbar. Bei beschlossenen Projekten sind der Stand der Umsetzung und die Kosten jederzeit abrufbar."
… und Faktor Mensch
Ein Modell dieses City Cockpits und seiner bunten, mit Grafiken, Zahlen und Diagrammen gespickten Oberfläche präsentierte Siemens jetzt in Singapur. Wer an dem hypermodernen ganzheitlichen Stadtverwaltungsinstrument Interesse hat, konnte wie in einem überdimensionierten Monopoly spielerisch Häuser und Straßen bauen, die Stromversorgung optimieren oder ein Sicherheitssystem gegen Kriminalität einführen. "Es gewinnen immer die, die sich vor Spielbeginn zusammensetzen und gemeinsam ihre Ziele festlegen", resümiert Heidinger. Hier liegen auch die Grenzen der wunderbaren holistischen Informationswelt: im Faktor Mensch. "IKT kann bei der Problemlösung helfen, aber es muss immer der politische Wille da sein, Probleme als solche zu erkennen, zu akzeptieren und lösen zu wollen."
Ein Beispiel für den "Faktor Mensch" als unbeherrschbare Größe in schlauen Systemen ist das "Mission Convergence"-Projekt in Neu Delhi, das in der Economist-Studie lobend vorgestellt wird. In der indischen Hauptstadt entwickeln seit einigen Jahren Nichtregierungsorganisationen gemeinsam mit den Behörden der Stadtregierung ein System, das zum ersten Mal ein präzises Bild über das Ausmaß der städtischen Armut liefert. Gleichzeitig hoffen sie so, zielgenau Hilfe für die Armen zu leisten. Wieder soll es der Einsatz von IKT möglich machen. Unterstützung komme so schneller an, und durch den Einsatz der Technik werde das Problem der Korruption beseitigt, heißt es in der Studie.
Armut, Slums und Werte
Die Realität sieht anders aus, wie die Doktorandin Richa Dhanju weiß, die ihre Dissertation über das Mission-Convergence-Projekt schreibt. "Diese Pläne sind noch nicht Wirklichkeit geworden, weil das IT-System gerade erst entwickelt wird. Die Ziele des Projekts sind durch Interventionen von Nichtregierungsorganisationen und Politikern mehrfach verändert worden", sagt die Forscherin der Fakultät für Anthropologie an der Texas A&M University. Sie wolle dem Ergebnis ihrer laufenden Forschung zwar nicht vorgreifen, so Dhanju, aber vieles deute darauf hin, dass Mission Convergence der Stadt und den NGOs die Verwaltung der Armut erleichtere, nicht aber "Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit der Armen" fördere.
"Wer nicht lesen und schreiben kann, für den ist ein Computer nutzlos."
(Anna Tibaijuka)
Jeder sechste Mensch lebt in Slums. In Afrika sind es mehr als zwei Drittel der urbanen Bevölkerung, in Asien je nach Region zwischen 30 und 35 Prozent. Das geht aus dem Bericht "Zustand der Weltstädte 2010/2011" hervor, den UN Habitat auf der Konferenz "World Cities Summit" in Singapur präsentierte. Dem Programm der Vereinten Nationen für menschliches Wohnen zufolge hätten zwar seit dem Jahr 2000 mehr als 277 Millionen Menschen aus den Slums der Großstädte in bessere Wohn- und Lebensverhältnisse umziehen können. Im gleichen Zeitraum sei aber die absolute Zahl der Slumbewohner um 55 Millionen Menschen gewachsen. (Anna Tibaijuka)
Es fehle der "politische Wille" vieler Regierungen in den Entwicklungsländern, Slums durch angemessene Wohnmöglichkeiten für die Armen zu ersetzen, klagt Anna Tibaijuka, Chefin von UN Habitat. Gegen den Einsatz von IKT zum Management von Städten sei nichts einzuwenden. Aber auch sie hat Zweifel, ob die Armen von der modernen Technik profitieren werden. Zwei wesentliche Voraussetzungen zur Nutzung von IKT seien in den Slums der Großstädte nicht oder nur sehr bedingt gegeben, gibt sie zu bedenken: Stromversorgung und ausreichende Bildung. "Wer nicht lesen und schreiben kann, für den ist ein Computer nutzlos."
Dennis L. Meadows, einer der Autoren des revolutionären Buchs "Grenzen des Wachstums", warnt in einem Interview in der Siemens-Publikation "Pictures of the Future – Building Greener Cities" davor, in technischen Lösungen den Heiligen Gral zu sehen. "Natürlich müssen wir neue Technologien entwickeln. Aber wir sollten nicht glauben, dass Technologie an sich die Lösung unserer Probleme ist. Hunger, Klimawandel, Energiekrise, sinkende Grundwasserspiegel haben ihre Ursache in unseren Wertesystemen, ethischen Grundsätzen und Verhaltensweisen."
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