Naturkatastrophen: Schleichende Katastrophe
Er ist wahrscheinlich Menschenwerk. Doch das nützt den von Lusi betroffenen Menschen wenig: Die verantwortliche Firma stiehlt sich aus der Verantwortung - ein Augenzeugenbericht.
Reres Gefühle sind an diesem Nachmittag sehr gemischt. Der Indonesier besucht mal wieder den Ort, an dem einst sein Heimatdorf Kedung stand. Kedung musste abgerissen werden, denn giftige Gase und die toxische Brühe des Schlammvulkans, der hier am 29. Mai 2006 ausgebrochen war, hatten das Leben in dem Dorf unmöglich gemacht. Rere und seine Familie waren erst 2005 nach Kedung gezogen, doch auch wenn er nur kurz dort lebte, so war es doch das Zuhause des Javaners geworden. So ist Rere an diesem Tag Ende April traurig, enttäuscht, auch ein wenig wehmütig – vor allem aber ist er zornig.
Vielen Menschen in den Dörfern rund um den Schlammvulkan Lusi im Distrikt Sidoarjo in Ostjava geht es wie ihm: Lusi – eine Wortschöpfung aus Lumpur, dem indonesischen Begriff für Schlamm, und Sidoarjo – hat in den vergangenen fünf Jahren gut 1000 Hektar Land, zwölf Dörfer und das Hab und Gut von 12 000 Familien verschlungen. Alle mussten sie ihre Dörfer verlassen, denn Schwermetalle vergiften das Grundwasser, das Erdreich, die Luft. Rund um den Schlammvulkan dringt aus mehr als 200 kleinen und größeren Erdöffnungen sehr leicht entflammbares Methangas aus. Und deshalb ist Rere ein Aktivist der indonesischen Umweltorganisation Walhi Jatim geworden, die für die Rechte der Betroffenen von Lusi eintritt.
Erdbeben oder menschliches Versagen
Umweltorganisationen und die Betroffenen vor Ort sind davon überzeugt, dass eine unprofessionell durchgeführte Gasbohrung Lusi ausgelöst hat. Bestärkt wird diese Vermutung durch unabhängige Untersuchungen internationaler Wissenschaftler, allen voran von Professor Richard Davies von der britischen Universität Durham: "Wir sind zu 99 Prozent sicher, dass die Bohrung die Ursache war." Für das Onlineinternetmagazin Fastcompany.com gehört Lusi sogar zu jenen acht Projekten zur Energiegewinnung mit schlimmsten Auswirkungen auf die soziale und natürliche Umwelt. Es steht damit auf der Liste neben dem Drei-Schluchten-Damm in China und der Ölpest im Golf von Mexiko nach dem Brand der BP-Bohrinsel Deepwater Horizon.
Um die schlimmsten Folgen einzudämmen, haben Staat und Firma rund um die 1000 Hektar des unmittelbar von Lusi verwüsteten Gebiets einen 20 Meter hohen Damm gebaut. Er soll die Schlammmassen im Zaum halten: Zu den schlimmsten Zeiten quollen täglich 180 000 Kubikmeter Schlamm aus dem Bohrloch, genug, um 40 Swimmingpools im Olympiaformat zu füllen. Diese Zeiten sind vorüber, doch reichen die täglichen Mengen nach Expertenschätzungen immer noch für vier derartige Schwimmbecken.
Das vermeintliche Bollwerk ist keines
Doch das Bollwerk hält nicht, was es verspricht: Immer wieder bricht der eilig errichtete Wall – zuletzt Ende April an der Stelle, wo einst Kedung stand. Lawinenartig rutschten Teile des Damms ab und entließen Schlamm in die Umgebung. Die gebrochenen Abschnitte verstärken den Eindruck einer Mondlandschaft auf dem Gebiet von Kedung: Wild wuchert Unkraut, wo Pflanzen noch wachsen könnten; schlammiger Boden, stinkende Wasserpfützen bestimmen das Bild, wo einst Kinder spielten und Reisbauern arbeiteten. Nur ein Haus steht noch in der Einöde. In dem war die Behörde BPLS untergebracht, die die Abwicklung von Kedung managte. Auf den Wänden haben die Menschen ihrer Wut mit Graffiti Luft gemacht: "BPLS Maling Tanah Warga" – die BPLS stiehlt unser Land. Und auch Lapindo bekommt sein Fett weg.
Das Problem mit den Entschädigungen
Das Dörfchen Pejarakan zum Beispiel ist ebenfalls schon abgerissen – auch hier hat Lusi das Leben unmöglich gemacht. Gleich daneben liegt jedoch Mindi; die beiden Dörfer gehen direkt ineinander über. Und so ist auch in Mindi alles verseucht. Dennoch leben hier noch viele Menschen: "Wir haben Angst. Überall steigt aus Erdritzen brennbares Methan auf. Wir sehen das Gas, wenn nach Regenschauern in den Pfützen die Gasbläschen aufsteigen. Bei uns hinterm Haus hat es vor ein paar Monaten plötzlich gebrannt. Auch daran war das Gas schuld. Methan ist sehr leicht entflammbar", sagt Basori.
Der 65 Jahre alte ehemalige Beamte klagt: "Das Grundwasser ist durch Schwermetalle verseucht. Das Wasser läuft braun aus dem Hahn und ist nicht mehr trinkbar. Die Behörden haben uns dafür einen Wassertank mit kostenlosem Wasser spendiert – wenn er denn gefüllt wird." Warum Mindi bisher nicht auch zum betroffenen Gebiet erklärt worden ist, darüber kann Basori nur spekulieren. "Perajakan ist kleiner als Mindi, es hat nur 28 Hektar. Vielleicht ist das billiger. Da müssen nicht so viele Menschen entschädigt werden."
Abdul Rokhim hat gar keine Entschädigung bekommen. Der Familienvater hatte ein Reisfeld gepachtet, auf dem durch die Versalzung des Bodens jetzt nichts mehr angebaut werden kann. Geld dafür bekam allerdings nur der Grundbesitzer, weshalb Rokhim als Tagelöhner jetzt bei einem Bauern arbeiten muss. Irshad hingegen hat eine Ausgleichszahlung bekommen, weil ihm ein versalzenes Reisfeld gehört, aber zufrieden ist er mit der Kompensation nicht. "Ich konnte zweimal im Jahr ernten. Zudem war das Reisfeld alles, was ich hatte. Was habe ich bekommen? Den Gegenwert einer einzigen Ernte."
Und Irshad hat aus seinem Haus einen Treffpunkt der Unzufriedenen gemacht – all jener, die glauben, dass der Staat wie auch Bakrie und Lapindo sie im Stich gelassen haben. Nicht jeder in Sidoarjo ist glücklich über die Aktivisten. So mancher nimmt, was er als Entschädigung kriegen kann, nach dem Motto "Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach". Diese Menschen empfinden die Aktivisten als Störenfriede. "Mir wurden erst vor Kurzem die Scheiben in meinem Haus eingeworfen", erzählt Irshad. Aber von solchen Ausbrüchen des Hasses lässt er sich nicht beirren: "Es geht um unsere Rechte."
Beton wie Beten vergeblich
Der Schlammvulkan sprudelt dagegen vorerst weiter: Ingenieure haben vergeblich versucht, das Loch mit Betonkugeln zu stopfen. Auch die Tieropfer animistischer Schamanen sowie die Gebete muslimischer Imame und christlicher Priester vermochten die Erdgötter nicht zu besänftigen. Professor Davies prognostiziert, der Schlamm werde noch gut 26 Jahre aus dem Bohrloch quellen. Aber das ist nur eine Prognose auf der Basis von Modellierungen. "Wir müssen jetzt versuchen, bessere Methoden zur Prognose des Schlammflusses zu entwickeln", sagt Davies per Telefon aus Surabaya, wo am 5. Jahrestag des Ausbruchs des Schlammvulkans ein wissenschaftliche Konferenz von Lusi-Experten stattfindet.
In Mindi und den anderen Dörfern rund um den Schlammvulkan bleibt hingegen die Angst. Und sie wird noch verstärkt durch die Absicht von Lapindo, in unmittelbarer Nähe des Katastrophenorts bald schon die Suche nach Gasvorkommen wieder aufzunehmen. Zwölf neue Bohrlöcher sind schon markiert.
Vielen Menschen in den Dörfern rund um den Schlammvulkan Lusi im Distrikt Sidoarjo in Ostjava geht es wie ihm: Lusi – eine Wortschöpfung aus Lumpur, dem indonesischen Begriff für Schlamm, und Sidoarjo – hat in den vergangenen fünf Jahren gut 1000 Hektar Land, zwölf Dörfer und das Hab und Gut von 12 000 Familien verschlungen. Alle mussten sie ihre Dörfer verlassen, denn Schwermetalle vergiften das Grundwasser, das Erdreich, die Luft. Rund um den Schlammvulkan dringt aus mehr als 200 kleinen und größeren Erdöffnungen sehr leicht entflammbares Methangas aus. Und deshalb ist Rere ein Aktivist der indonesischen Umweltorganisation Walhi Jatim geworden, die für die Rechte der Betroffenen von Lusi eintritt.
Erdbeben oder menschliches Versagen
Umweltorganisationen und die Betroffenen vor Ort sind davon überzeugt, dass eine unprofessionell durchgeführte Gasbohrung Lusi ausgelöst hat. Bestärkt wird diese Vermutung durch unabhängige Untersuchungen internationaler Wissenschaftler, allen voran von Professor Richard Davies von der britischen Universität Durham: "Wir sind zu 99 Prozent sicher, dass die Bohrung die Ursache war." Für das Onlineinternetmagazin Fastcompany.com gehört Lusi sogar zu jenen acht Projekten zur Energiegewinnung mit schlimmsten Auswirkungen auf die soziale und natürliche Umwelt. Es steht damit auf der Liste neben dem Drei-Schluchten-Damm in China und der Ölpest im Golf von Mexiko nach dem Brand der BP-Bohrinsel Deepwater Horizon.
Verantwortlich für die Bohrung war die Firma Lapindo Brantas, die hier nach Erdgas gesucht hat und aus deren Bohrloch schließlich Lusi zu sprudeln begann. Doch das Unternehmen wiegelt ab. Für Lapindo Brantas trägt ein Erdbeben die Schuld an der Katastrophe, das eine Woche vor Ausbruch des Schlammvulkans die gut 300 Kilometer entfernte Großstadt Yogyakarta in Zentraljava erschüttert hatte. Lapindo Brantas gehört zum Firmenimperium von Indonesiens reichstem Mann Aburizal Bakrie, der zum Zeitpunkt der Katastrophe Sozialminister im Kabinett von Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono war. Heute ist Bakrie Vorsitzender der Partei Golkar und hat Ambitionen, 2014 zum Präsidenten Indonesiens gewählt zu werden.
Um die schlimmsten Folgen einzudämmen, haben Staat und Firma rund um die 1000 Hektar des unmittelbar von Lusi verwüsteten Gebiets einen 20 Meter hohen Damm gebaut. Er soll die Schlammmassen im Zaum halten: Zu den schlimmsten Zeiten quollen täglich 180 000 Kubikmeter Schlamm aus dem Bohrloch, genug, um 40 Swimmingpools im Olympiaformat zu füllen. Diese Zeiten sind vorüber, doch reichen die täglichen Mengen nach Expertenschätzungen immer noch für vier derartige Schwimmbecken.
Das vermeintliche Bollwerk ist keines
Doch das Bollwerk hält nicht, was es verspricht: Immer wieder bricht der eilig errichtete Wall – zuletzt Ende April an der Stelle, wo einst Kedung stand. Lawinenartig rutschten Teile des Damms ab und entließen Schlamm in die Umgebung. Die gebrochenen Abschnitte verstärken den Eindruck einer Mondlandschaft auf dem Gebiet von Kedung: Wild wuchert Unkraut, wo Pflanzen noch wachsen könnten; schlammiger Boden, stinkende Wasserpfützen bestimmen das Bild, wo einst Kinder spielten und Reisbauern arbeiteten. Nur ein Haus steht noch in der Einöde. In dem war die Behörde BPLS untergebracht, die die Abwicklung von Kedung managte. Auf den Wänden haben die Menschen ihrer Wut mit Graffiti Luft gemacht: "BPLS Maling Tanah Warga" – die BPLS stiehlt unser Land. Und auch Lapindo bekommt sein Fett weg.
Reres Familie ist immerhin für den Verlust ihres Hauses entschädigt worden, wobei sich die indonesische Regierung und die Firma Lapindo Brantas die Kosten der Umweltkatastrophe teilen. Das Unternehmen ist für die Entschädigung der Menschen zuständig, deren Dörfer direkt im Schlamm versunken sind, die Regierung für diejenigen, die weichen müssen, weil sie – wie Rere – Opfer der schleichenden Katastrophe außerhalb des Epizentrums geworden sind. Entschädigungen werden aber ebenso willkürlich ausgezahlt, wie auch Evakuierungen angeordnet werden.
Das Problem mit den Entschädigungen
Das Dörfchen Pejarakan zum Beispiel ist ebenfalls schon abgerissen – auch hier hat Lusi das Leben unmöglich gemacht. Gleich daneben liegt jedoch Mindi; die beiden Dörfer gehen direkt ineinander über. Und so ist auch in Mindi alles verseucht. Dennoch leben hier noch viele Menschen: "Wir haben Angst. Überall steigt aus Erdritzen brennbares Methan auf. Wir sehen das Gas, wenn nach Regenschauern in den Pfützen die Gasbläschen aufsteigen. Bei uns hinterm Haus hat es vor ein paar Monaten plötzlich gebrannt. Auch daran war das Gas schuld. Methan ist sehr leicht entflammbar", sagt Basori.
Der 65 Jahre alte ehemalige Beamte klagt: "Das Grundwasser ist durch Schwermetalle verseucht. Das Wasser läuft braun aus dem Hahn und ist nicht mehr trinkbar. Die Behörden haben uns dafür einen Wassertank mit kostenlosem Wasser spendiert – wenn er denn gefüllt wird." Warum Mindi bisher nicht auch zum betroffenen Gebiet erklärt worden ist, darüber kann Basori nur spekulieren. "Perajakan ist kleiner als Mindi, es hat nur 28 Hektar. Vielleicht ist das billiger. Da müssen nicht so viele Menschen entschädigt werden."
Abdul Rokhim hat gar keine Entschädigung bekommen. Der Familienvater hatte ein Reisfeld gepachtet, auf dem durch die Versalzung des Bodens jetzt nichts mehr angebaut werden kann. Geld dafür bekam allerdings nur der Grundbesitzer, weshalb Rokhim als Tagelöhner jetzt bei einem Bauern arbeiten muss. Irshad hingegen hat eine Ausgleichszahlung bekommen, weil ihm ein versalzenes Reisfeld gehört, aber zufrieden ist er mit der Kompensation nicht. "Ich konnte zweimal im Jahr ernten. Zudem war das Reisfeld alles, was ich hatte. Was habe ich bekommen? Den Gegenwert einer einzigen Ernte."
Wie Rere sind Rokhim und Irshad aus Wut und Frust über Willkür, Korruption und der Zerstörung ihrer Umwelt zu Aktivisten für die Rechte der Opfer des Schlammvulkans geworden. Rere arbeitet für die indonesische Umweltorganisation Walhi Jatim, Rokhim ist Moderator des von Walhi Jatim unterstützten Bürgerradios. In den Talkshows, Ratgebersendungen und Nachrichten des Senders geht es um die Rechte der Opfer, die ausbleibenden Entschädigungen, die zunehmenden Gesundheitsprobleme unter den Anwohnern des Schlammvulkans. "Im April sind drei Babys an Atemwegserkrankungen gestorben", sagt Rokhim.
Und Irshad hat aus seinem Haus einen Treffpunkt der Unzufriedenen gemacht – all jener, die glauben, dass der Staat wie auch Bakrie und Lapindo sie im Stich gelassen haben. Nicht jeder in Sidoarjo ist glücklich über die Aktivisten. So mancher nimmt, was er als Entschädigung kriegen kann, nach dem Motto "Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach". Diese Menschen empfinden die Aktivisten als Störenfriede. "Mir wurden erst vor Kurzem die Scheiben in meinem Haus eingeworfen", erzählt Irshad. Aber von solchen Ausbrüchen des Hasses lässt er sich nicht beirren: "Es geht um unsere Rechte."
Beton wie Beten vergeblich
Der Schlammvulkan sprudelt dagegen vorerst weiter: Ingenieure haben vergeblich versucht, das Loch mit Betonkugeln zu stopfen. Auch die Tieropfer animistischer Schamanen sowie die Gebete muslimischer Imame und christlicher Priester vermochten die Erdgötter nicht zu besänftigen. Professor Davies prognostiziert, der Schlamm werde noch gut 26 Jahre aus dem Bohrloch quellen. Aber das ist nur eine Prognose auf der Basis von Modellierungen. "Wir müssen jetzt versuchen, bessere Methoden zur Prognose des Schlammflusses zu entwickeln", sagt Davies per Telefon aus Surabaya, wo am 5. Jahrestag des Ausbruchs des Schlammvulkans ein wissenschaftliche Konferenz von Lusi-Experten stattfindet.
Vertreter der Erdbebentheorie als auch der Lapindo-These sind anwesend. "Wir streiten gar nicht mehr so sehr über die Ursache. Wir schauen lieber nach vorn", meint Davies. Es gehe jetzt darum, genauere Forschungsergebnisse darüber zu bekommen, wie lange Lusi noch Schlamm ausstößt und wie weit sich der Boden absenken werde.
In Mindi und den anderen Dörfern rund um den Schlammvulkan bleibt hingegen die Angst. Und sie wird noch verstärkt durch die Absicht von Lapindo, in unmittelbarer Nähe des Katastrophenorts bald schon die Suche nach Gasvorkommen wieder aufzunehmen. Zwölf neue Bohrlöcher sind schon markiert.
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