Altruismus: Schleiereulennachwuchs bremst sich beim Futtern
Kinder können grausam sein. Was für Menschenkinder gilt, findet auch im Tierreich Bestätigung, etwa wenn der gefiederte Kuckucksnachwuchs die legitimen Nachkommen seiner Pflegeeltern einfach aus dem gemeinsamen Nest kegelt. Es gibt ein Hauen und Stechen um das meiste Futter und die tiefste Zuneigung, sogar unter Geschwistern kommt das vor - menschlichen wie auch tierischen. Umso erstaunlicher scheint, was man nun über die Jungtiere der Schleiereule (Tyto alba) herausgefunden hat. Forscher um Amélie N. Dreiss vom Département d'écologie et évolution der Université de Lausanne haben beobachtet, dass die kleinen Vögel den Verzehr ihrer Nahrung um fast 30 Minuten verschieben, wenn sie das hungrige Geschrei junger Artgenossen hören. Vernehmen sie hingegen die Rufe satter kleiner Schleiereulen, warten die Tiere nicht so lange mit dem Futtern.
Die Forscher zeichneten für ihre Versuche hungrige und satte Jungtieren auf, die sich durch die Häufigkeit des Rufens unterschieden. Hungrige Tiere riefen im Mittel 16-mal pro Minute, die satten nur viermal. Diese Aufnahmen spielten sie anderen Jungtieren vor, die sich allein mit mehreren Mäusen als Nahrung in einem künstlichen Nest befanden. Die Forscher vermuteten, dass der Schleiereulennachwuchs mittels der Rufe den Bedarf an Futter kommuniziert, um einem körperlichen Wettkampf vorzubeugen. Das würde auf eine gewisse Rücksichtnahme unter den Jungtieren hinweisen. Tatsächlich zeigte sich, dass in den Fällen, in denen die Forscher die hungrigen Rufe einspielten, die Jungtiere im Mittel 29 Minuten länger damit warteten, die Mäuse im Nest zu verspeisen als bei den satten Rufen. Und das, obwohl die Tiere allein im Nest waren und also keine direkte körperliche Auseinandersetzung um das Futter fürchten mussten.
Die Forscher verstehen die Rufe als Teil einer Verhandlungsstrategie über Ressourcen: Im Tausch für den Verzicht auf den ersten Happen frischer Nahrung könnten die Tiere das Erstzugriffsrecht beanspruchen, wenn sie tatsächlich hungrig sind. Dazu wollen sie nun weitere Experimente anstellen.
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