Direkt zum Inhalt

News: Schleimige Betrüger

In schlechten Zeiten muss man zusammen halten. Das gilt auch für Schleimpilze. Wird die Nahrung knapp, dann verbünden sich die individuell lebenden Einzeller und bilden ein mehrzelliges Gebilde, das auf den ersten Blick wie ein neuer Organismus wirkt. Bei den ins Kollektiv gezwängten Individualisten tauchen jedoch ab und zu Betrüger auf, die sich die besten Plätze sichern.
Unser Körper ist nichts anderes als der Zusammenschluss von Milliarden einzelner Zellen. Fast alle dieser Zellen werden sterben – sie opfern sich für einige wenige. Denn die Keimzellen – also Eizellen und Spermien – sind die einzigen, die überleben und unser Erbgut weitertragen können. Für die Körperzellen macht dieses Opfer jedoch Sinn, da ihr Erbgut, das ja bei allen Zellen gleich ist, in den Nachkommen weiterlebt.

Einzeller haben es da einfacher. Sie sind potenziell unsterblich, leben als Individualisten und gehen höchstens zeitweilige Bündnisse für die sexuelle Fortpflanzung ein. Es gibt jedoch auch Einzeller, die sich zu vielzelligen Gebilden zusammenschließen können. Das vermögen beispielsweise die Zelligen Schleimpilze (Acrasiomycetes) wie Dictyostelium discoideum. Normalerweise kriechen sie als amöbenartige Individualisten durch feuchte Erde und ernähren sich von Bakterien. Wird die Nahrung jedoch knapp, machen die Zellen eine erstaunliche Wandlung durch: Hunderte bis tausende der "Amöben" rotten sich zusammen und bilden ein Nacktschnecken-artiges Gebilde, das Pseudoplasmodium genannt wird. Dieses "Pseudotier" kriecht eine Weile umher und sucht sich einen geeigneten Ort, wo es sich niederlässt und die nächste Umwandlung durchmacht. Jetzt wandern einige Zellen nach oben, trocknen aus und bilden so einen langsam emporwachsenden Stiel. Andere Zellen klettern über die ausgetrocknete Masse ihrer toten Artgenossen und häufen sich oben zu einem Fruchtkörper an. Dort umgeben sich einige Zellen mit einer dicken Hülle und wandeln sich so in Sporen um. Diese werden schließlich aus dem Fruchtkörper freigesetzt. Aus den Sporen schlüpfen wiederum amöbenartige Zellen, die als normale Einzeller weiterleben.

80 Prozent der Dictyostelium-Zellen können als Sporen überleben, aber 20 Prozent sterben als Stiel ab. Auch hier opfern sich also einige Zellen für andere. Im Gegensatz zu einem echten mehrzelligen Organismus müssen jedoch die beteiligten Zellen nicht genetisch identisch sein – auch unterschiedliche Stämme schließen sich zu dem Pseudoorganismus zusammen. Die einzelnen Zellen konkurrieren somit um die besten Plätze. Dabei sollte der Zufall entscheiden, welche Zellen sich opfern und welche überleben dürfen. Doch geht es wirklich so fair zu?

Diese Frage stellten sich auch Joan Strassmann, Yong Zhu und David Queller vom Department of Ecology and Evolutionary Biology der Rice University in Houston. Sie mischten zwei genetisch unterschiedliche Dictyostelium-Stämme, die sich zu Mischwesen – so genannten Chimären – zusammenschlossen. Mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion konnten sie die beiden Stämme im Fruchtkörper des Schleimpilzes genetisch voneinander unterscheiden.

Meistens ging es bei den Schleimpilzen gerecht zu – jedoch nicht immer. Es gab Stämme, die ihre Kollegen regelmäßig übervorteilten. Sie wandelten sich vorzugsweise in Sporen um, trugen jedoch zum Stiel fast nichts bei (Nature vom 21. Dezember 2000).

Betrug ist in der Natur nicht ungewöhnlich. So leben in Insektenstaaten Parasiten, die durch chemische Signale ihre Zugehörigkeit zum Staat vortäuschen. Der Zusammenschluss zum Dictyostelium-Pseudoplasmodium wird ebenfalls durch chemische Botenstoffe gesteuert. Daher könnten – so vermuten die Wissenschaftler – auch die betrügenden Schleimpilzzellen Signalstoffe abgeben, welche die Zellen des unterlegenden Stammes zum Stil werden lässt. Wie dem auch sei – Dictyostelium, das bisher als "Haustier" für Entwicklungsbiologen diente, dürfte jetzt auch als Modellorganismus für die Forscher interessant werden, die sich mit sozialer Evolution beschäftigen.

Siehe auch

  • Quellen

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.