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Hochpotentes Schmerzmittel: Schmerzfrei dank Hundertfüßergift

Giftiger Schmerzstiller

Der Chinesische Rotkopfhundertfüßer (Scolopendra mutilans) kann bis zu 20 Zentimeter lang werden und gilt als aggressiver Jäger, der sogar kleine Säugetiere und Reptilien attackiert. In seinem Gift hat ein chinesisch-australisches Wissenschaftlerteam um Glenn King von der University of Queensland nun ein hochwirksames Schmerzmittel gefunden: Erste Tests ergaben, dass es mindestens ebenso gut wirkt wie Morphin und teilweise sogar noch besser.

Die Forscher hatten sich den Giftcocktail des Hundertfüßers nicht ohne Grund vorgenommen. Vorabstudien hatten gezeigt, dass seine Bestandteile zahlreiche Natriumkanäle von Nervenzellen blockieren können. Die Zellen verlieren dann die Fähigkeit, elektrische Signale weiterzuleiten. Besonderes Augenmerk richteten King und Kollegen auf den Kanal NaV 1.7 (spannungsgesteuerter Natriumkanal vom Untertyp 1.7).

Skolopender | Aus dem Gift des Chinesischen Rotkopfhundertfüßers (Scolopendra subspinipes) haben Forscher eine Substanz isoliert, die sich als schnellwirkendes, nebenwirkungsfreies Schmerzmittel erweisen könnte. Der Biss eines Skolopenders ist sehr schmerzhaft. Eine Komponente im Gift verhindert die Signalerzeugung bestimmter Nervenzellen, schadet aber sonst nicht. Der 20 Zentimeter lange Hundertfüßer lebt in Südostasien.

Das Gen für diesen Kanal ist bei einigen Menschen defekt, weshalb sie keinerlei Schmerzen empfinden können. Diese erbliche Schmerzunempfindlichkeit hat gewichtige Nachteile für Betroffenen, da ihr körpereigenes Warnsystem vor Verletzungen auf diese Weise ausgeschaltet wird. Aber vielleicht, so überlegten King und Kollegen, enthält der Giftcocktail des Hundertfüßers ja eine Substanz, die diesen Kanal vorübergehend hemmt. Ein solcher Wirkstoff würde theoretisch als Schmerzmittel taugen.

Tatsächlich wurden sie fündig: Die Substanz mit dem sperrigen Namen μ-SLPTX-Ssm6a hindert schon bei geringen Konzentrationen den NaV 1.7-Kanal an der Arbeit – ohne dabei andere Natriumkanäle im Nervensystem zu blockieren. Das ist wichtig, da sonst unweigerlich starke Nebenwirkungen bis hin zu Herzversagen auftreten könnten.

In einem Experiment an Mäusen, denen sie Schmerzen bereiteten, indem sie ihnen Formaldehyd injizierten oder die Tiere einer Hitzequelle aussetzten, überprüften sie die Wirkung des Peptids. Dabei beobachteten sie, dass die Tiere offensichtlich kaum noch Schmerzen litten, wenn ihnen zusätzlich das Ssm6a verabreicht worden war. Das Formaldehyd tolerierten sie besser, als wenn sie Morphin erhalten hatten; die Hitze genauso gut wie unter Morphineinfluss.

Nach Meinung der Forscher hat die Substanz eine Reihe von hervorragenden Eigenschaften. Insbesondere wirkt sie innerhalb von Sekunden und extrem selektiv auf den einen Natriumkanal und lässt alle anderen unbeeinträchtigt. Ähnliche NaV 1.7-Hemmer, die in früheren Studien aus Spinnengift isoliert worden waren, hatten sich als tödlich erwiesen, weil sie unter anderem auch den NaV 1.5-Kanal stilllegten, der für den Herzschlag verantwortlich ist. Auch bei einer starken Überdosierung zeigten die Mäuse keinerlei Nebenwirkungen, was nach Ansicht der Wissenschaftler daran liegt, dass ihre außergewöhnliche Molekülform es unwahrscheinlich macht, dass sie auf andere Strukturen im Körper wirkt. Überdies sei sie im Körper recht stabil: Die schmerzlindernde Wirkung des Ssm6a hielt bei diesen Tests über vier Stunden an.

Nun müssen weitere Tests – nicht zuletzt auch an Menschen – zeigen, ob das Hundertfüßer-Schmerzmittel hält, was es verspricht. Vor allem müssten realistischere Schmerztests als eine Formaldehydinjektion durchgeführt werden, so die Forscher.

Dass ein tödliches Gift ein schmerzstillendes Mittel enthalte, klinge durchaus kontraintuitiv, finden auch die Forscher. Allerdings würden bei den verschiedenen Tierarten die Natriumkanäle auch ganz unterschiedliche Aufgabe wahrnehmen. Was bei uns zu einem Nachlassen von Schmerzen führt, könne umgekehrt ein Insekt betäuben oder gar töten.

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