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News: Schmerzlicher Verlust

Vom Gefühl des Ausgeschlossenseins im Klassenverband bis zum Verlust eines geliebten Menschen, die Erfahrung schmerzt den Betroffenen tief. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.
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Aus. Vorbei. Die zufallende Tür beendet jahrelang gelebte Gemeinsamkeit. Zurück bleibt eine schmerzende Leere, die unerträglich scheint. Doch was tut eigentlich weh? Nicht der Kopf und auch nicht der Körper, nicht die Beine oder die Arme und auch nicht der Magen oder das Herz, wie der Dichter Erich Fried (1921-1988) so treffend in Worte fasste. Der Atem sei etwas beengt, doch weniger als bei einer Erkältung – und doch: Der Verlust "schmerzt" im ganzen Körper, ohne dass Anlass für wirkliche körperliche Schmerzen besteht.

Ein Wort für unterschiedliche Dinge – oder ist seelischer Schmerz und körperlicher Schmerz im Grunde dasselbe? Wissen Dichter schon lange, wofür Neurobiologen erst noch wissenschaftlich fundierte Belege finden müssen?

Naomi Eisenberger von der University of California in Los Angeles und ihre Kollegen wählten eine mildere Variante erfahrenen Verlustes und Zurückweisung, um diesen Fragen nachzugehen. Sie ließen ihre Probanden virtuell Ball spielen, während sie deren Gehirne mit funktioneller Magnetresonanzspektroskopie (fMRI) beobachteten. Allerdings tischten sie ihren freiwilligen Versuchspersonen eine falsche Geschichte auf: Sie erzählten, in anderen Röhren lägen ebenfalls Teilnehmer, und es ginge darum, sich gemeinsam mit Hin- und Herwerfen zu unterhalten. Zunächst jedoch bliebe es erst einmal beim Zusehen, weil technische Probleme das Mitspielen noch verhindere.

Doch das war glatt gelogen. Erstens reduzierten sich die Gegenspieler auf einen Computer, und zweitens gehörte die erste Phase bereits zum Experiment: Es ging darum zu sehen, welche Gehirnregionen beim tatenlosen, aber entschuldbaren am Rand stehen aktiv wurden. In der zweiten Phase durften sich die Probanden tatsächlich eifrig beteiligen, doch dann kam der entscheidende dritte Part – plötzlich gingen die Teilnehmer leer aus. Ihre virtuellen Mitspieler hatten sich offenbar entschlossen, ihren gerade noch begeistert angespielten Partner aus dem gemeinsamen Spiel auszuschließen.

Eine solche soziale Isolation ist schwer zu verdauen – so manche werden sich an vergleichbare Schulhofprobleme erinnern. Brille, altmodische Hosen, gute Noten: Die Liste ist lang, durch die Kinder von ihren Mitschülern ins Abseits gedrängt werden. Und diese Erfahrung schmerzt, das zeigten auch die fMRI-Aufnahmen der ballspielenden Versuchspersonen. Denn je stärker sie sich ausgeschlossen fühlten, desto größer war die gleichzeitig auftretende Aktivität in einem Gehirnbereich, der sonst bei Empfinden von körperlichem Schmerz anspringt: der vordere cinguläre Cortex (ACC).

"Dieses Schaltzentrum gilt als ein neuronales 'Alarmsystem', das immer dann aktiviert wird, wenn eine automatische Antwort unpassend ist oder in Konflikt mit gerade anstehenden Zielen gerät", erklären die Forcher. "Es ist daher nicht überraschend, dass [körperlicher] Schmerz – eines der grundlegendsten Alarmsignale, dass etwas nicht in Ordnung ist – den ACC aktiviert." Doch noch mehr aktiviert den ACC: bei Müttern beispielsweise das Schreien ihrer Babys. Dass auch seelische Schmerzen dasselbe Areal benutzen, führen die Wissenschaftler daher auf die Wichtigkeit sozialer Bindungen für das Überleben der meisten Säugetiere zurück.

Aber es gibt auch eine Kontrollstelle, den rechten ventralen präfrontalen Cortex (RVPFC). Eine Stimulierung des entsprechenden Areals bei Ratten verringerte deren Schmerzempfindlichkeit, und bei Menschen ging eine höhere Aktivität in dieser Region einher mit einer Verbesserung von Schmerzsymptomen. Und auch bei Seelenschmerzen greift der Regulator ein: Als sich die Teilnehmer in Phase drei ausgeschlossen fühlten, regte sich der RVPFC verstärkt.

Die Dichter hatten also Recht – Körper und Seele schmerzen gleichermaßen. Und glücklicherweise teilen sie auch dieselbe Kontrolle. So können wir das, was auch immer weh tut, letztendlich irgendwann ertragen, selbst wenn es zunächst unerträglich scheint.

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