Schnee an Weihnachten: Diese Wetterlage ist ein echter Weihnachtskrimi
Wenn Meteorologen im September gefragt werden, wie das Wetter zu Weihnachten wird, ist die Antwort ganz einfach: keine Ahnung. Nun sind es nicht drei Monate, sondern nicht einmal mehr drei Tage bis zum Fest, aber die Antwort fällt ähnlich aus: Keine Ahnung, alles kann passieren. Da merkt selbst der Laie, dass etwas nicht stimmt. Normalerweise sind heute verlässliche Vorhersagen für fünf Tage Standard, in manchen Fällen gelingen sogar gute Prognosen für bis zu zehn Tage.
Doch derzeit ist es besonders schwierig. Von einem Weihnachtskrimi ist daher die Rede, von einer der spannendsten Wetterlagen seit Langem. Deutschland erwartet eine knifflige wie brisante Grenzwetterlage über die Feiertage, milde Atlantikluft und kalte Skandinavienluft ringen um die Vorherrschaft. Und so ist über die Feiertage fast alles drin, wozu der Winter im Stande ist: Mal berechnen die Wettermodelle einen satten Schneesturm, mal 15 Grad mildes Schmuddelwetter, kurzzeitig wurde sogar ein Orkan berechnet. Und diese Unsicherheit kommt nun ausgerechnet zu Weihnachten, wenn die Menschen einmal wirklich am Wetter interessiert sind und nicht bloß an einer Einstiegshilfe für Smalltalk.
Immerhin gibt es einen groben Trend. Im Süden wird es wohl nichts mit einer weißen Weihnacht, hier wird das Fest grün ausfallen. Anders der Norden: Hier könnte die Kaltluft schon zu Heiligabend einsickern und erste Schneefälle oder sogar Eisregen auslösen. Brisant könnte es vor allem dort werden, wo Kalt- und Warmluft aufeinandertreffen. Entlang dieser Luftmassengrenze sind etliche Zentimeter Schnee denkbar, vielleicht sogar ein Schneesturm. Aber gerade diese Grenze zwischen warm und kalt bereitet den Meteorologen derzeit so große Schwierigkeiten.
Die Wetterlage lässt »Meteorologenherzen höherschlagen«
Beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach ist man sich der Lage bewusst, Meteorologe Marcel Schmid spricht von einer »markant ausgeprägten Luftmassengrenze« direkt über der Republik. Alle sechs Stunden schauen die Meteorologen auf die neuen Läufe der Wettermodelle und erhoffen sich dadurch etwas mehr Klarheit über den »Kampf der Luftmassen«. Doch die Modelle sind bislang keine große Hilfe, sie haben weiterhin große Schwierigkeiten, das Weihnachtswetter exakt zu prognostizieren. Ausgerechnet jetzt, wo »jeder auf das Wetter schaut«, wie Schmid anfügt.
Frustrierend findet er dieses Hin und Her allerdings nicht. Vielmehr lasse die Wetterlage »Meteorologenherzen höherschlagen«, sagt er. Und sie zeige, dass Wetter und seine Vorhersage eben sehr komplex sein können. Kleine Verschiebungen in der Berechnung von Hochs und Tiefs haben große Auswirkungen. Prägend für den Fortgang des Wetters ist vor allem ein Tiefdruckgebiet westlich von Großbritannien, das die derzeitige Frostluft über Mitteleuropa nach Norden zurückdrängt. Seine Zugbahn über die Feiertage entscheidet über Schnee oder Regen. Zieht es nördlicher rein, wie im Morgenlauf des hauseigenen ICON-Wettermodells, wird es nur im hohen Norden weiß. Wird es aber nach Süden abgelenkt, wie Läufe des amerikanischen und europäischen Wetterdienstes nahelegen, könnte es in einem breiten Streifen vom Norden bis zur Mitte des Landes weiß werden – teilweise wird verbreitet mit 20 bis 30 Zentimeter Schnee gerechnet.
Auch die so genannten Ensemble-Vorhersagen sind derzeit nicht hilfreich. Damit ist ein ganzes Bündel von Läufen gemeint, die zusätzlich gerechnet werden. Denn die Großrechner spucken nicht nur einen Hauptlauf aus, sondern auch weitere Läufe, die für einen bestimmten Zeitraum mit leicht unterschiedlichen Anfangsbedingungen durchgerechnet werden. Zusammen ergeben diese Berechnungen des künftigen Wetters ein Ensemble, das anzeigt, wie verlässlich die aktuelle Prognose des Hauptlaufs ist. Sind die Resultate der verschiedenen Modellläufe ähnlich und liegen nicht weit auseinander, ist die Vorhersage verlässlich. Starke Unterschiede hingegen signalisieren Unsicherheit.
Derzeit weisen die Ensembles große Unterschiede auf, Marcel Schmid spricht von einem »großen Spread«. So weist das Ensemble für den Südwesten Deutschlands beispielsweise nach Weihnachten einen Unterschied von 25 Grad Celsius und mehr aus. Zwischen minus 15 Grad Celsius und plus 10 Grad ist alles drin. »Weiter als Weihnachten zu schauen, ist daher utopisch«, sagt Schmid.
Hoher Luftdruck zwischen Island und Grönland
Eines zeigt die große Unsicherheit aber auch: das große Winterpotenzial, das in der derzeitigen Wetterlage steckt. Denn an Stelle des typischen Islandtiefs herrscht schon längere Zeit hoher Luftdruck zwischen Island und Grönland. Ein Hoch an dieser Stelle erhöht die Wahrscheinlichkeit heftiger Kaltlufteinbrüche aus dem hohen Norden. Gleichzeitig erlebt Grönland eine ungewöhnliche Wärmephase mit Temperaturen von mehr als zehn Grad mitten im Dezember. Wie auf einer Rutsche kann mit dieser Strömung arktische Kaltluft bis an die Alpen geführt werden. Zugleich wirkt sie wie ein Sperrriegel, milde Atlantikluft dringt dann üblicherweise nicht mehr nach Europa vor. Bisher allerdings hält der Atlantik noch mächtig dagegen. Die Frage ist, wie lange.
Denn lenkt man seinen Blick nach Skandinavien, dann schiebt sich an den Festtagen ein beeindruckendes Kältetief in der Höhe der Arktis nach Finnland. Damit verschiebt sich der Kältepol der Nordhalbkugel in großer Höhe von der Arktis nach Europa, wie der finnische Meteorologe Mika Rantanen auf Twitter mitteilt. Solche Kaltluftausbrüche können über längere Zeit stabil an Ort und Stelle verbleiben, die große Kälte wäre also auf längere Zeit nicht weit weg und könnte irgendwann nach Mitteleuropa angezapft werden. Zudem würde eine solche Entwicklung zum Jahresverlauf passen. Das Jahr war geprägt von häufigen Nord- und Nordwestlagen, und manche Wetterlagen neigen dazu, sich zu wiederholen.
Here comes the lesser-known weather phenomenon that will make our Christmas cold and wintry: a tropopause polar vortex (TPV).
— Mika Rantanen (@mikarantane) December 21, 2021
[Animation from @burgwx website: https://t.co/EiVi69RMuC] pic.twitter.com/ofzOatyMTI
Das kann, muss aber nicht ein gutes Omen für Winterfreunde sein. Was langfristig passiert, lässt sich mit den klassischen Wettermodellen ohnehin nicht berechnen. Und auch bei der Stratosphäre, dem nächsthöheren Stockwerk der Atmosphäre, das mitunter eisige Winter über der Nordhalbkugel verursachen kann, deutet zurzeit wenig darauf hin, dass sie beim Wetter am Erdboden mitmischen möchte. Der Deutsche Wetterdienst rechnet in seiner Klimavorhersage wiederum eher mit einem unterkühlten Winter.
Schnee an Weihnachten war früher gar nicht so gefragt
Sollte es jedenfalls zu einem weißen Fest kommen, wäre das ein seltenes Ereignis. In Hamburg liegt die Wahrscheinlichkeit bei nur 10 Prozent, in München immerhin bei 39 Prozent. Dieses Jahr hat aber der Norden die deutlich besseren Karten.
Dass sich die Menschen weiße Weihnachten wünschen, war nicht immer so. Noch vor 150 Jahren sahen die Menschen das Fest als den Zeitpunkt, an dem die Natur von Neuem erwacht – ein Grund, warum sich Menschen Misteln in die Häuser holen: die Hoffnung, dass es bald draußen blüht.
Weihnachten stellte man sich früher als grünes Fest vor, an dem die Tage endlich wieder länger werden. Dann tauchten Ende des 19. Jahrhunderts weltweit Weihnachtskarten aus Neuengland auf, wo an den Festtagen tatsächlich viel Schnee liegt. Seither verbinden nicht nur Europäer Weihnachten mit Schnee, sondern sogar Australier, wo Schnee im Sommer garantiert nie vorkommt.
Das letzte weiße Weihnachtsfest im ganzen Land gab es übrigens im Jahr 2010. Damals packte ein Schneetief direkt an Heiligabend das Land in dicken Schnee ein, das Winterwonderland war perfekt. Immerhin der Norden kann auf ein solches Ereignis jetzt wieder hoffen.
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