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Schneeball Erde: Als selbst die Tropen eisig waren

Jahrzehntelang galt die komplett vergletscherte Welt als absurde Idee. Mittlerweile weiß man: Einst war die Erde wirklich ein Eisplanet. Doch wie überstand das Leben das Eishaus?
Ein Planet, komplett vereist, schwebt auf schwarzem Hintergrund.

Das Wetter verdiente seinen Namen nicht. Es gab keine Hurrikans oder Tornados. Es gab überhaupt keine Stürme, nirgendwo. Die kalte Luft konnte kaum Feuchtigkeit aufnehmen, es fiel weltweit weder Regen noch Schnee. Abgesehen von jahreszeitlich schwankenden Temperaturen herrschte an jedem Punkt der Erdoberfläche das gleiche Wetter, und das war bestialisch kalt. Die Erde erlebte einen perfekten Dornröschenschlaf: Kilometerdicke Gletscher hatten sich von den Polen aus ausgebreitet, hin zu den gemäßigten Zonen und zum Schluss sogar dorthin, wo die Sonne am intensivsten wärmt: bis in die Tropen und zum Äquator. Die Erde war zu einem Schneeball geworden, der das Licht der Sonne ins All zurückwarf. Ein extremes klimatisches Ereignis, das in zwei Vorstößen am Ende des Präkambriums – vor etwa 600 Millionen Jahren – insgesamt 67 Millionen Jahre anhalten sollte.

Eiszeiten hat es in der Erdgeschichte häufig gegeben. Immer wieder bedeckten Eisschilde weite Teile der nördlichen und südlichen Kontinente und der Ozeane für einige Jahrtausende. Auch das Holozän, die aktuelle geologische Epoche, gilt als Zwischeneiszeit, denn die Antarktis und Grönland sind noch immer tief vergletschert. Die Eiszeiten zwischen 717 und 635 Millionen Jahren vor heute waren jedoch ganz anders. Sie dauerten wesentlich länger an und reichten viel weiter. Das Kryogenium, wie Fachleute diese Zeit mittlerweile nennen, brachte nicht nur die meisten Wetterphänomene zum Erliegen, es unterbrach auch die wichtige Balance zwischen Ozeanen, Atmosphäre und Landflächen. Das Eis durchtrennte den globalen Wärme- und Kohlenstoffkreislauf. Und es forderte rätselhafterweise die damals lebenden Organismen derart heraus, dass sie nicht etwa allesamt ausstarben, sondern etwas später einen gewaltigen Entwicklungssprung machten.

Bevor das Eis kam, war die Erde kaum mit der von heute zu vergleichen. Die Kontinente wirkten bis ins späte Präkambrium öd und leer. Zyanobakterien betrieben an den seichten, lichtdurchfluteten Uferzonen Fotosynthese. Manche hinterließen in Ufernähe Stromatolithen, Erhebungen aus dem versteinerten Rest ihres Stoffwechsels. Das mikrobische Leben hatte fast zwei Jahrmilliarden zuvor bereits die Atmosphäre mit Sauerstoff angereichert.

Die langweilige Milliarde

Aber seither stagnierte das Leben – und das über eine erschreckend lange Zeit: zwischen 1,8 und 0,8 Milliarden Jahre vor unserer Zeit. Geologen sprechen sogar von der »langweiligen Milliarde«, weil sie kaum Hinweise für Innovationen unter Fossilien finden. Die Welt war damals fest in der Hand der Mikroben, von Prokaryoten und den etwas komplexeren Eukaryoten, während in den Meeren die ersten Algen trieben. All das wirkte äußerst stabil, bis die Katastrophe begann.

Auf den Inseln Spitzbergens nördlich von Norwegen erkannte der britische Geologe Brian Harland 1964 eine merkwürdige Gesteinsfolge. Viele Jahre lang untersuchte er die Milliarden Jahre alten Sedimente der Inselgruppe, die auch im Präkambrium von Eis bedeckt waren. Es sind Diamiktite, also Sedimentgesteine aus feinem Sandstein, in denen kleine und größere Felsbrocken eingebettet sind, die ihrerseits lange Schleifspuren aufweisen.

Solche Gesteine sind nicht ungewöhnlich. Sie entstehen, wenn sich Gletscher Berghänge hinabwälzen und schließlich ihre Fracht ins Meer abgeben. Auch in der Gegenwart passiert das auf Spitzbergen, aber die präkambrischen Diamiktite sind anders: Sie sind von einer Karbonatschicht überdeckt, die direkt danach abgelagert worden sein muss. Und das kann eigentlich nicht sein: Solcher Kalkstein entsteht heute entweder durch Schalen bildende Tiere wie Muscheln – die es damals noch längst nicht gab –, oder der Kalkstein wird anorganisch erzeugt. Letzteres passiert aber nur in warmen Gefilden um den Äquator, wo das Sonnenlicht fast senkrecht auftrifft und gewaltige Förderbänder in Form von Meeresströmungen am Laufen hält.

Die Spuren der globalen Eiszeit

Harland kam zu dem Schluss, dass im späten Präkambrium zwei Dinge zusammenkamen, die eigentlich nicht zusammengehören: Gletscher mussten bis zum Äquator vorgedrungen sein – die Erde war somit zu großen Teilen zugefroren. Diese These wurde von vielen kopfschüttelnd abgelehnt. Manche Kollegen bezweifelten, dass überhaupt Gletschersedimente unter den Karbonaten von Spitzbergen lagern. Der russische Geologe Michail Budyko (1920–2001) entwickelte ein einfaches Rechenmodell, das das Kippen des Klimas hin zu einer globalen Eiszeit zwar nachstellen konnte, doch er fand keinen Ausweg zurück in die Wärme. Wäre die Erde jemals zu einer Kugel aus Eis geworden, folgerte Budyko, dürfte es die gesamte Entwicklung des höheren Lebens nie gegeben haben – und somit auch uns nicht.

Die Zeit war noch nicht reif für die Theorie der umfassenden Vergletscherung. Zwar wurden die merkwürdigen Kalksteine an immer neuen Orten gefunden, in Brasilien, Kanada oder Südafrika. Das spricht dafür, dass auf allen Kontinenten die gleichen klimatischen Bedingungen herrschten, was aus der Sicht der heute so vielfältigen Erde unvorstellbar erscheint. Aber waren die Gletscher wirklich am Äquator?

Ablagerungen aus der Super-Eiszeit | Diese geschichteten Sedimente sind mehr als 700 Millionen Jahre alt und stammen vom Beginn des Kryogeniums. Vermutlich entstanden die als Warven bezeichneten Schichtfolgen durch jahreszeitlich wechselnde Bedingungen in einem See nahe einem Gletscher. Man findet sie oft auch in Seesedimenten aus der letzten Eiszeit.

Erst 1992 gelang es Joseph Kirshvink vom California Institute of Technology, diese Frage zu klären: Der Geologe ist einer der renommiertesten Experten für uralte Magnetfelder. Bei seinen Untersuchungen nutzt er die Tatsache aus, dass jedes Sedimentgestein die Richtung des Magnetfelds der Erde konservieren kann. Dieses Feld steht an den Polen vertikal, während es am Äquator horizontal ausgerichtet ist. Kirshvink verwendete besonders gut erhaltene präkambrische Gesteine aus dem australischen Gebirgszug Flinders Ranges und konnte zeigen: Das Magnetfeld stand beinahe horizontal. Die Eismassen mussten also noch wenige Grad vom Äquator entfernt ihre Spuren hinterlassen haben. Kirshvink erfand daraufhin den Begriff »Schneeball Erde«. Er ist allerdings kein Fachmann für glaziale Sedimente – und seine Erkenntnisse wurden von der Fachwelt ignoriert.

Erst kamen die Gletscher, dann das Inferno

Es dauerte noch mehrere Jahre, bis schließlich Paul Hoffman von der Harvard University alle Fäden zusammenführte. Der erfahrene Arktisforscher hatte jahrzehntelang für den geologischen Dienst Kanadas gearbeitet, bevor er mit Feldstudien in Namibia begann. Er fand auch dort Gletschersedimente und die rätselhaften überlagernden Karbonate, allerdings noch mehr: Die Karbonate sind von merkwürdigen Röhren und Fächerstrukturen durchzogen. Sie erinnern an die fossilen Grabspuren von Würmern, doch die gab es vor über 635 Millionen Jahren noch nicht.

Hoffman schaffte es schließlich gemeinsam mit dem Karbonatexperten Daniel Schrag, die Entstehung der rätselhaften Gesteine zu erklären – und gleichzeitig das Ende der globalen Eiszeit. Es waren Vulkane, die beständig das Treibhausgas Kohlendioxid ausstießen. Vor der Eiszeit hatte der Regen das CO2 in die Meere gewaschen, in denen es als Karbonatgestein gebunden wurde. Aber nun unterbrach die Eisdecke diese wichtige Kontrollschleife des Erdsystems. Der Anteil des Treibhausgases stieg langsam und stetig an, das Licht reflektierende Eis dämpfte jedoch zunächst den Anstieg der Lufttemperatur. Dadurch erhöhte sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre auf astronomische Werte, 20- bis 200-mal höher als heute. Als sich das Eis schließlich zurückzog, schwang das Klima um und es brach die Hölle los.

Der schlimmste Klimawandel aller Zeiten

Die Welt erlebte einen galoppierenden Klimawandel: Der Meeresspiegel stieg um 1500 Meter in nur 1000 Jahren – 100-fach schneller als heute. Das wieder frei gelegte Meer am Äquator nahm bereitwillig Sonnenenergie auf, was das Abtauen des Eises beschleunigte. Die zuvor trockene Atmosphäre saugte sich mit Wasserdampf voll – und Hyperhurrikans tobten über Meere und karge Kontinente. Der fallende Regen erfüllte wieder seine ursprüngliche Funktion und wusch das CO2 aus der Atmosphäre.

Entsprechend fiel über Jahrhunderte saurer Regen, und zwar auf Landmassen, deren Oberfläche zuvor von Gletschern malträtiert worden war. Das durch die Kraft des Eises zermahlene Gestein bot eine perfekte Oberfläche für chemische Reaktionen. Das Gesteinsmehl reagierte zu Karbonatbrocken, die nun in schäumenden Rinnsalen, Bächen und Flüssen das Meer erreichten. In die Ozeane rieselte ein neuer Schneesturm in die Tiefe, der aus hellen Karbonatflocken bestand – die Reste des zersetzten Gesteinsmehls, die am Grund zu einer Schlammschicht geronnen. Schließlich verfestigte sich das Karbonat; nur vereinzelt stieg eingeschlossenes Gas empor und bildete die Röhren und Fächerstrukturen, die Paul Hoffman in Namibia gefunden hatte.

Zunächst regte sich unter Geologinnen und Geologen Widerstand gegen Hoffmans Theorie von Schneeball Erde. Immer wieder fanden sie vereinzelt Sedimentschichten, die dem Konzept zu widersprechen schienen. Manche Ablagerungen deuteten darauf hin, dass die Gletscher nicht ganz zum Äquator reichten und der Ozean dort weiter im Austausch mit der Luft blieb. Doch solche Probleme wurden mit der Zeit gelöst oder mit der Theorie in Einklang gebracht. Der global vergletscherte Planet gilt als plausibelste Erklärung aller geologischen Befunde.

Wie überlebt man eine Megaeiszeit?

Das größte Problem stellt die Entwicklung des Lebens dar: Eigentlich wäre durch das Eis ein Massensterben zu erwarten gewesen – doch die Diversität der Arten nahm nur leicht ab. Selbst Fotosynthese treibende Lebewesen überlebten die Zeit der geschlossenen Eisdecke – und nicht nur das. Biomarker-Moleküle vom Ende der letzten globalen Eiszeit deuten darauf hin, dass Algen die zuvor dominierenden Zyanobakterien in den Meeren ablösten. Nur einige Jahrmillionen danach zeigten sich in der Ediacara-Fauna die ersten mehrzelligen Tierarten, darunter die Urahnen der modernen Tiere, aber auch im Wasser lebende Planktonarten, die erstmals wie Raubtiere andere Organismen verschlangen. Diese Entwicklung beschleunigte sich immer weiter und gipfelte schließlich in der kambrischen Radiation, als vor 540 Millionen Jahren quasi zeitgleich die Vorfahren fast aller modernen Tier-, Pflanzen- und Pilzgruppen auftauchten.

Es ist bis heute nicht geklärt, warum Schneeball Erde nicht etwa das Leben ausrottete, sondern die Entwicklung mehrzelliger Arten sogar beschleunigte. Zumindest aber ist der Ort dafür mittlerweile bekannt. Neben Tiefseevulkanen tief unter dem Eis gab es auch auf dem Eis wärmere Refugien: Neuere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Gletscher zwar den Globus umgaben, Schwankungen der Erdbahn jedoch im Rhythmus einiger Jahrtausende kurzzeitig etwas Eis schmelzen ließen. Es bildete sich vereinzelt flüssiges Wasser, das vielen Arten auf oder unter dem Eis zeitweise ein geschütztes Zuhause bot, sie allerdings auch voneinander isoliert. Vielleicht brachten gerade die extremen Bedingungen die Einzeller dazu, in zunächst symbiotischen Gemeinschaften Fähigkeiten zu entwickeln, um schneller vor allzu widrigen Umständen zu fliehen.

Warum genau die Megaeiszeiten überhaupt begannen, lässt sich bislang nur vermuten. Möglicherweise waren daran Vulkane der Franklin Large Igneous Province beteiligt, die heute im Norden Kanadas liegen und damals in kurzer Folge Asche in sehr hohe Atmosphärenschichten entließen und so den Planeten herunterkühlten. Als mögliche Ursachte gilt auch die Position der Kontinente, die im späten Präkambrium entlang des Äquators lagen: Eigentlich wirken Landmassen Eiszeiten entgegen, da sie in Warmzeiten Treibhausgase binden, in Kaltzeiten dagegen weniger CO2 aufnehmen und bald einer Vergletscherung entgegenwirken. Als die Gletscher die Landmassen in den Tropen erreichten, kam diese Wirkung möglicherweise zu spät.

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