Neoproterozoikum: Schneeballschlacht
Mindestens 200 Millionen Jahre lang, so die Theorie vom "Schneeball Erde", soll unser Planet einst komplett unter einer Eisschicht begraben gewesen sein. Kritiker bezweifeln nicht, dass es damals sehr kalt war und sogar Gletscher in tropischen Breiten herrschten. Aber die Ozeane, so ihre Gegenthese, waren mindestens teil- und zeitweise frei. Sedimente stützen die Vorstellung vom Kommen und Gehen eisiger Verhältnisse.
Die ganz ursprüngliche Idee stammt von einem Schweizer: Der Naturforscher Louis Agassiz sprach 1837 erstmals von "Eiszeiten", die unseren Planeten in den Kältebann gezogen und vorhandenes Leben ausgelöscht hätten. Gut hundert Jahre später vermutete der in Australien lebende Geowissenschaftler Sir Douglas Mawson erstmals eine globale Eisbedeckung mit Gletschern auch in den Tropen, da sowohl Gesteine aus der südaustralischen Elatina-Formation als auch im heutigen tropischen Afrika eindeutig glaziale Spuren zeigten. Als Gegner der Kontinentalverschiebung jedoch konnte sich Mawson noch nicht vorstellen, was weitere 50 Jahre später magnetische Untersuchungen belegen sollten: Die Sedimente der Elatina-Formation wurden einst 30 Grad weiter nördlich in Äquatornähe abgelagert.
Als weitere Daten in den folgenden Jahrzehnten auch noch nahelegten, dass die eisige Vergangenheit der Elatina-Gesteine einige Millionen Jahre angehalten hatte, war die Theorie vom "Schneeball Erde" geboren: Vor etwa 840 bis 635 Millionen Jahre sollte sich unser Planet in eine einzige Eiskugel verwandelt haben. Den Weg in die Kälte, so das Ergebnis von Modellrechnungen, könnten sich die ausdehnenden Eismassen vor allem selbst geebnet haben, indem sie durch ihre starke Rückstrahlung – die Albedo – die Temperaturen immer weiter in den Keller trieben.
Eis am falschen Ort
Gletscher in den Tropen? Auf Meeresniveau? Klar, dass diese revolutionäre Ansicht schnell Kritiker auf den Plan rief. Es sei wohl eher nur ein Matschball statt eines Schneeballs gewesen und auch nicht ununterbrochen – vielmehr habe es mehrere Vereisungsschübe mit dazwischen liegenden Rückzügen gegeben, so wie wir es aus der letzten großen Eiszeitphase kennen, die vor 10 000 Jahren endete. Auch seien die Ozeane wohl kaum vollständig unter Meereis verschwunden, sondern wären mindestens teilweise, wenn nicht sogar komplett offen geblieben. Hinweise für beide Haltungen gibt es ebenso zuhauf wie die dazugehörigen Publikationen in Fachmagazinen.
Und doch, so Allen und Etienne, bieten Sedimente eine gute Möglichkeit, den Schneeball auf seine Existenz zu prüfen: weil sie als umfassendes Archiv die Bedingungen während ihrer Ablagerung dokumentieren. So finden sich mehrfach feinkörnige, schlammige marine Sedimente, die sich langsam am Meeresboden ansammelten und als "glazialen Niederschlag" zusätzlich einzelne sand- bis kieselgroße Brocken enthalten. Sie wechseln sich mit Schichten ab, denen diese gröberen Bestandteile fehlen, was die Forscher als Folge wechselnden Vorstoßes und Rückzuges von Eis- und Gletscherrändern interpretieren. Direkte Spuren solcher Bewegungen, die sich als Kerben im Untergrund zeigen müssten, sind zwar selten, dafür präsentieren sich immer wieder und quer über den Globus verteilt Merkmale von Eiskeilen, wie man sie aus heutigen Periglazialgebieten kennt.
Kein Stillstand an Land
Mineralogische und chemische Befunde an Sedimenten in China und im Oman zeigen, dass die Stärke der chemischen Verwitterung an damaligen Landoberflächen schwankte – ebenfalls ein Hinweis auf einen Wechsel von kalten und wärmeren Phasen. Außerdem weisen die Gesteinslagen immer wieder kilometerdicke Abfolgen von Sedimentströmen auf, die ins Meer eingeschwemmt wurden und sich bis über die Kontinentalhänge ausbreiteten: Auch sie deuten auf Eisränder hin, an denen Eisströme und Gletscher Material in die offenbar offenen Ozeane schütteten. An einem Bohrkern aus dem antarktischen Rossmeer, der als Vergleich für solche Eisränder dienen könnte, lassen sich so verschiedene Zyklen aktiver Sedimentation und ruhigerer Verhältnisse ablesen. Übertragen auf entsprechend alte Sedimente von den Garvellach Islands vor Schottland durchlebte die Erde demnach zu Schneeballzeiten 17 solcher Schwankungen.
Doch lassen sich die daraus abgeleiteten wiederkehrenden Phasen intensiver Sedimentation auch in den Modellen nachstellen? Nur bedingt: Es wird nicht klar, ob diese Wechsel noch zu Zeiten stattfanden, als die Erde in die globale Eiszeit schlitterte, ob sie während dieser Phase auftraten – oder sich vielleicht erst ereigneten, als der Planet überraschend schnell wieder auftaute. Dann allerdings müssten Sedimentpakete von mehr als einem Kilometer Dicke in vergleichsweise kurzer Zeit entstanden sein, was die beiden Forscher für sehr unwahrscheinlich halten.
Wechselbad der Temperaturen
"Die wahrscheinlichste Erklärung ist gleichzeitig die offensichtlichste", meinen daher Allen und Etienne: "In der gesamten Eiszeit-Epoche, wie lang auch immer sie dauerte, gab es ebensolche klimatische Schwankungen wie in den uns vertrauteren Eiszeiten der letzten 600 Millionen Jahre." Wie viele Kälteschübe die Erde damals durchlief, bleibt jedoch angesichts der schwierigen Datenlage weiter offen. Klar sei dafür, dass tatsächlich Teile der Ozeane eisfrei gewesen sein mussten und den Austausch mit der Atmosphäre weiter ermöglichten.
Simulationen zufolge gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten dafür, welche Faktoren dieses Wechselspiel auslösten: zum einen eine deutlich stärkere Neigung der Erdachse, zum anderen ein Stopp auf dem Weg in die globale Eiskugel trotz verstärkter Albedo. Der zweite Prozess ließe sich eventuell dadurch erklären, dass unter kühleren Bedingungen mehr Sauerstoff im Meerwasser gelöst wurde und dort organischen Kohlenstoff verstärkt oxidierte. Das dabei entstehende Kohlendioxid könnte dann die Atmosphäre wieder aufgeheizt und so den Eisvorstoß gebremst haben, erklären Allen und Etienne: "Im Klimageschehen ist der Kohlenstoffkreislauf beides: Heiliger und Sünder."
Als weitere Daten in den folgenden Jahrzehnten auch noch nahelegten, dass die eisige Vergangenheit der Elatina-Gesteine einige Millionen Jahre angehalten hatte, war die Theorie vom "Schneeball Erde" geboren: Vor etwa 840 bis 635 Millionen Jahre sollte sich unser Planet in eine einzige Eiskugel verwandelt haben. Den Weg in die Kälte, so das Ergebnis von Modellrechnungen, könnten sich die ausdehnenden Eismassen vor allem selbst geebnet haben, indem sie durch ihre starke Rückstrahlung – die Albedo – die Temperaturen immer weiter in den Keller trieben.
Eis am falschen Ort
Gletscher in den Tropen? Auf Meeresniveau? Klar, dass diese revolutionäre Ansicht schnell Kritiker auf den Plan rief. Es sei wohl eher nur ein Matschball statt eines Schneeballs gewesen und auch nicht ununterbrochen – vielmehr habe es mehrere Vereisungsschübe mit dazwischen liegenden Rückzügen gegeben, so wie wir es aus der letzten großen Eiszeitphase kennen, die vor 10 000 Jahren endete. Auch seien die Ozeane wohl kaum vollständig unter Meereis verschwunden, sondern wären mindestens teilweise, wenn nicht sogar komplett offen geblieben. Hinweise für beide Haltungen gibt es ebenso zuhauf wie die dazugehörigen Publikationen in Fachmagazinen.
Philip Allen vom Imperial College London und James Etienne von Neftex Petroleum Consultants in Milton Park wagen sich nun an einen Überblick zum Stand der Dinge – und schlagen sich auf die Seite der Skeptiker. Sie argumentieren anhand von Sedimentschichten, in denen sich über die Jahrmillionen verfolgen lässt, ob glaziale Bedingungen herrschten oder nicht. Schwierig dabei ist nur, in den sehr alten Ablagerungen von Gletschern transportierte Gerölle von solchen zu unterscheiden, die auf andere Weise verfrachtet und zusammengewürfelt wurden – zumal die glazialen Zeugen in späteren wärmeren Zeiten durchaus erneut in Bewegung versetzt wurden. Ein weiteres Problem stellt die genaue Datierung der Proben dar, die es angesichts unterschiedlicher Verfahren nahezu unmöglich macht, die Ergebnisse zu vergleichen.
Und doch, so Allen und Etienne, bieten Sedimente eine gute Möglichkeit, den Schneeball auf seine Existenz zu prüfen: weil sie als umfassendes Archiv die Bedingungen während ihrer Ablagerung dokumentieren. So finden sich mehrfach feinkörnige, schlammige marine Sedimente, die sich langsam am Meeresboden ansammelten und als "glazialen Niederschlag" zusätzlich einzelne sand- bis kieselgroße Brocken enthalten. Sie wechseln sich mit Schichten ab, denen diese gröberen Bestandteile fehlen, was die Forscher als Folge wechselnden Vorstoßes und Rückzuges von Eis- und Gletscherrändern interpretieren. Direkte Spuren solcher Bewegungen, die sich als Kerben im Untergrund zeigen müssten, sind zwar selten, dafür präsentieren sich immer wieder und quer über den Globus verteilt Merkmale von Eiskeilen, wie man sie aus heutigen Periglazialgebieten kennt.
Kein Stillstand an Land
Mineralogische und chemische Befunde an Sedimenten in China und im Oman zeigen, dass die Stärke der chemischen Verwitterung an damaligen Landoberflächen schwankte – ebenfalls ein Hinweis auf einen Wechsel von kalten und wärmeren Phasen. Außerdem weisen die Gesteinslagen immer wieder kilometerdicke Abfolgen von Sedimentströmen auf, die ins Meer eingeschwemmt wurden und sich bis über die Kontinentalhänge ausbreiteten: Auch sie deuten auf Eisränder hin, an denen Eisströme und Gletscher Material in die offenbar offenen Ozeane schütteten. An einem Bohrkern aus dem antarktischen Rossmeer, der als Vergleich für solche Eisränder dienen könnte, lassen sich so verschiedene Zyklen aktiver Sedimentation und ruhigerer Verhältnisse ablesen. Übertragen auf entsprechend alte Sedimente von den Garvellach Islands vor Schottland durchlebte die Erde demnach zu Schneeballzeiten 17 solcher Schwankungen.
Die Fiq-Formation im Oman bringt noch ein weiteres Argument für ein Hin und Her zwischen eiskalt und wärmer: Rippelmarken. Diese charakteristischen Formen, die sich an jedem Strand mit Wellenschlag beobachten lassen, bezeugen im Nachhinein ausgedehnte offene Wasserflächen, da die Länge der Wegstrecke, die der Wind darüberstreichen kann, entscheidend ist für die Ausprägung. Die vereinzelten kleinen Wasserlöcher, wie sie die "Schneeball-Erde"-Verfechter maximal zulassen, würden dafür nicht ausreichen, so Allen und Etienne.
Doch lassen sich die daraus abgeleiteten wiederkehrenden Phasen intensiver Sedimentation auch in den Modellen nachstellen? Nur bedingt: Es wird nicht klar, ob diese Wechsel noch zu Zeiten stattfanden, als die Erde in die globale Eiszeit schlitterte, ob sie während dieser Phase auftraten – oder sich vielleicht erst ereigneten, als der Planet überraschend schnell wieder auftaute. Dann allerdings müssten Sedimentpakete von mehr als einem Kilometer Dicke in vergleichsweise kurzer Zeit entstanden sein, was die beiden Forscher für sehr unwahrscheinlich halten.
Wechselbad der Temperaturen
"Die wahrscheinlichste Erklärung ist gleichzeitig die offensichtlichste", meinen daher Allen und Etienne: "In der gesamten Eiszeit-Epoche, wie lang auch immer sie dauerte, gab es ebensolche klimatische Schwankungen wie in den uns vertrauteren Eiszeiten der letzten 600 Millionen Jahre." Wie viele Kälteschübe die Erde damals durchlief, bleibt jedoch angesichts der schwierigen Datenlage weiter offen. Klar sei dafür, dass tatsächlich Teile der Ozeane eisfrei gewesen sein mussten und den Austausch mit der Atmosphäre weiter ermöglichten.
Simulationen zufolge gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten dafür, welche Faktoren dieses Wechselspiel auslösten: zum einen eine deutlich stärkere Neigung der Erdachse, zum anderen ein Stopp auf dem Weg in die globale Eiskugel trotz verstärkter Albedo. Der zweite Prozess ließe sich eventuell dadurch erklären, dass unter kühleren Bedingungen mehr Sauerstoff im Meerwasser gelöst wurde und dort organischen Kohlenstoff verstärkt oxidierte. Das dabei entstehende Kohlendioxid könnte dann die Atmosphäre wieder aufgeheizt und so den Eisvorstoß gebremst haben, erklären Allen und Etienne: "Im Klimageschehen ist der Kohlenstoffkreislauf beides: Heiliger und Sünder."
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben