Neuroökonomie: Schreck lass nach
Stromschläge sind eine unangenehme Erfahrung. Die Erwartung von Stromschlägen auch. Denn schon die Furcht vor Leiden, so eine amerikanische Studie, reizt das Schmerzzentrum im Gehirn zu peinvoller Aktivität. So sehr, dass mancher eher stärkere Schmerzen in Kauf nimmt, als lange auf schwächere zu warten.
Die Probanden der Arbeitsgruppe um Gregory Berns von der Emory-Universität waren wirklich nicht zu beneiden. Nicht nur, dass sie jeweils 96 Stromschläge erdulden mussten, damit die Wissenschaftler vorab und währenddessen ihre Hirnaktivität mittels funktionaler Kernspinresonanztomografie ermitteln konnten. Sie wurden vor jeden Durchgang auch noch genau darüber informiert, wann exakt sie wie viel Volt in den Fußrücken gejagt bekamen.
Und es kam noch schlimmer: Nach der passiven Testphase, in der die Probanden die Stromstöße ohne Eingriffsmöglichkeit über sich ergehen lassen mussten, stellten die Forscher sie auch noch vor eine grausame Wahl: Wollten sie die Schmerzen lieber gleich, und dafür unter Umständen heftiger, oder waren sie gewillt, bis zu 30 Sekunden auf den peinvollen Engergieschub zu warten?
Der Hintergrund zu dieser leidvollen Versuchsanordnung war ein Streit unter Theoretikern der Informationsökonomie: Diese geht traditionell davon aus, dass Menschen positive Ereignisse möglichst bald erleben möchten, unangenehme jedoch vor sich herschieben. Der graue Alltag jedoch zeichnet oft ein anderes Bild: Das Geld wird nicht sofort verprasst, sondern für einen angenehmen Lebensabend aufgespart, den Zahnarztbesuch hingegen erledigt man möglichst noch vor Arbeitsbeginn – dann hat man es hinter sich.
Nicht weiter verwunderlich, behauptet eine neuere Strömung der Entscheidungstheoretiker. Denn Homo oeconomicus zieht Nutzen nicht nur aus dem Endprodukt seiner Überlegungen, sondern auch schon aus dem Entstehungsprozess. Sprich: Nicht nur die Kreuzfahrt macht glücklich, sondern auch die Vorfreude darauf. Wie sieht es jedoch aus, wenn man sich auf das bevorstehende Ereignis so gar nicht freut? Ist die Angst vorm Zahnarzt womöglich genauso schlimm wie der Bohrer selbst? Generationen von Utilitaristen, Ökonomen und anderen Geistesgrößen waren bislang nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Dank einer relativ neuen Disziplin, der Neuroökonomie, die mit Hilfe modernster Hirnforschung den oft irrational anmutenden Entscheidungsprozessen des Alltagsmenschen auf die Schliche zu kommen versucht, ist sie nun gelöst – die Frage nach der körperlichen Realität der Furcht.
Denn das Schmerzzentrum des Gehirns, zu dem etwa die zinguläre Großhirnrinde und die Amygdala gehören, war nicht erst während des akuten Stromschlages aktiv, sondern schon dann, wenn die Probanden den Hinweis auf die Stärke und den Zeitpunkt der Reizung erfuhren. Bestimmte Teile des Schmerzzentrums, wie etwa der primäre und sekundäre somatosensorische Kortex, wurden zudem umso stärker durchblutet, je länger die Teilnehmer auf die unangenehme Erfahrung warten mussten. Schon die Vorahnung des bevorstehenden Schmerzes also brachte das neuronale Schmerzzentrum auf Trab.
Hatten die Probanden die Wahl, entschieden sich entsprechend auch 84 Prozent der Teilnehmer in über der Hälfte der Fälle für die kürzere Wartezeit bis zum nächsten Stromschlag – zumindest wenn beide Energieentladungen gleich stark waren. Neun der 32 Probanden fürchteten die Wartezeit bis zum Stromschlag jedoch so sehr, dass sie sogar dann den früheren Stromstoß wählten, wenn dieser deutlich stärker war als die spätere zur Wahl stehende Leidensquelle.
Diese Extrem-Fürchter zeigten interessanterweise auch bei der Tomografie eine deutlich stärkere Aktivität des Schmerzzentrums während der Wartezeit. Für sie, so fasst Rezensent George Loewenstein in einem Begleitartikel zusammen, ist allein schon die Information, dass sie einen Stromschlag erhalten werden, eine ebensolche Quelle des Leides wie der Stromschlag selbst.
Droht also demnächst eine unangenehme Aussprache mit dem Chef oder ein leidiger Besuch bei Verwandten, wissen wir es besser: Statt den Kopf in den Sand zu stecken, sollten wir das Ganze lieber schnell hinter uns bringen. Denn unsere Großhirnrinde weiß schon lange: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Und es kam noch schlimmer: Nach der passiven Testphase, in der die Probanden die Stromstöße ohne Eingriffsmöglichkeit über sich ergehen lassen mussten, stellten die Forscher sie auch noch vor eine grausame Wahl: Wollten sie die Schmerzen lieber gleich, und dafür unter Umständen heftiger, oder waren sie gewillt, bis zu 30 Sekunden auf den peinvollen Engergieschub zu warten?
Der Hintergrund zu dieser leidvollen Versuchsanordnung war ein Streit unter Theoretikern der Informationsökonomie: Diese geht traditionell davon aus, dass Menschen positive Ereignisse möglichst bald erleben möchten, unangenehme jedoch vor sich herschieben. Der graue Alltag jedoch zeichnet oft ein anderes Bild: Das Geld wird nicht sofort verprasst, sondern für einen angenehmen Lebensabend aufgespart, den Zahnarztbesuch hingegen erledigt man möglichst noch vor Arbeitsbeginn – dann hat man es hinter sich.
Nicht weiter verwunderlich, behauptet eine neuere Strömung der Entscheidungstheoretiker. Denn Homo oeconomicus zieht Nutzen nicht nur aus dem Endprodukt seiner Überlegungen, sondern auch schon aus dem Entstehungsprozess. Sprich: Nicht nur die Kreuzfahrt macht glücklich, sondern auch die Vorfreude darauf. Wie sieht es jedoch aus, wenn man sich auf das bevorstehende Ereignis so gar nicht freut? Ist die Angst vorm Zahnarzt womöglich genauso schlimm wie der Bohrer selbst? Generationen von Utilitaristen, Ökonomen und anderen Geistesgrößen waren bislang nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Dank einer relativ neuen Disziplin, der Neuroökonomie, die mit Hilfe modernster Hirnforschung den oft irrational anmutenden Entscheidungsprozessen des Alltagsmenschen auf die Schliche zu kommen versucht, ist sie nun gelöst – die Frage nach der körperlichen Realität der Furcht.
Denn das Schmerzzentrum des Gehirns, zu dem etwa die zinguläre Großhirnrinde und die Amygdala gehören, war nicht erst während des akuten Stromschlages aktiv, sondern schon dann, wenn die Probanden den Hinweis auf die Stärke und den Zeitpunkt der Reizung erfuhren. Bestimmte Teile des Schmerzzentrums, wie etwa der primäre und sekundäre somatosensorische Kortex, wurden zudem umso stärker durchblutet, je länger die Teilnehmer auf die unangenehme Erfahrung warten mussten. Schon die Vorahnung des bevorstehenden Schmerzes also brachte das neuronale Schmerzzentrum auf Trab.
Hatten die Probanden die Wahl, entschieden sich entsprechend auch 84 Prozent der Teilnehmer in über der Hälfte der Fälle für die kürzere Wartezeit bis zum nächsten Stromschlag – zumindest wenn beide Energieentladungen gleich stark waren. Neun der 32 Probanden fürchteten die Wartezeit bis zum Stromschlag jedoch so sehr, dass sie sogar dann den früheren Stromstoß wählten, wenn dieser deutlich stärker war als die spätere zur Wahl stehende Leidensquelle.
Diese Extrem-Fürchter zeigten interessanterweise auch bei der Tomografie eine deutlich stärkere Aktivität des Schmerzzentrums während der Wartezeit. Für sie, so fasst Rezensent George Loewenstein in einem Begleitartikel zusammen, ist allein schon die Information, dass sie einen Stromschlag erhalten werden, eine ebensolche Quelle des Leides wie der Stromschlag selbst.
Droht also demnächst eine unangenehme Aussprache mit dem Chef oder ein leidiger Besuch bei Verwandten, wissen wir es besser: Statt den Kopf in den Sand zu stecken, sollten wir das Ganze lieber schnell hinter uns bringen. Denn unsere Großhirnrinde weiß schon lange: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
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