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News: Schrittmacher für die Angstforschung

Stress ist eine Erfahrung unserer modernen Zivilisation. Es gibt eine ganze Reihe Stress oder auch Angst auslösender Reize. Doch so unterschiedlich diese auch sein mögen - die chemischen Reaktionen, die sie in unserem Körper auslösen, folgen zunächst einmal einem sehr grundlegenden Muster. Bei Menschen mit Angststörungen ist dieses Muster gestört. Der Austausch einer einzigen Aminosäure an einem Signalmolekül der Stressreaktionskette kann zu völlig anderen Eigenschaften und Reaktionen führen und bei der Behandlung von depressiven Erkrankungen helfen.
Auf Stress reagieren Menschen wie Säugetiere gleich. Sie setzen ein chemisches Signalmolekül im Gehirn frei – das aus 41 Aminosäurebausteinen bestehende Corticotropin-Freisetzungshormon (CRF), welches über die Nervenfasern zunächst zu einem venösen Gefäßknäuel oberhalb der Hirnanhangdrüse gelangt und mit dem Blutstrom dieses Gefäßknäuels in den vorderen Teil der Hirnanhangdrüse (Hypophyse).

Hier wird nun das Hormon Corticotropin ausgeschüttet, welches die Freisetzung so genannter Glucocorticoide in der Nebennierenrinde bewirkt. Die Wissenschaftler bezeichnen diese komplexe Aktivierungskette als Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse oder einfach als Stressachse. Bei der spezifischen Anpassung des Körpers an Stresssituationen spielt diese Achse eine sehr wichtige Rolle. Unter pathologischen, also krankmachenden Bedingungen, wie depressiven Erkrankungen und Angststörungen, kann die normale Funktion dieser Stressachse erheblich gestört sein.

Über seine Rolle bei der Aktivierung der Stressachse hinaus wirkt das Signalmolekül CRF auch bei der Bildung von Gedächtnis, Angst und Essverhalten im Gehirn mit. Diese Wirkungen von CRF werden durch verschiedene in den Zellwänden verankerte Rezeptoren vermittelt. Das sind quasi Antennenmoleküle, die das CRF binden und auf diese Weise weitere Signalketten im Inneren der Zelle auslösen. Interessanterweise kann CRF Gedächtnis und Angst sowohl verstärken als auch schwächen, je nach dem, an welche Rezeptoren einer Hirnregion es gebunden hat.

Darüber hinaus wird CRF nicht nur an verschiedene Rezeptoren der Gehirnzellen gebunden, sondern auch an ein so genanntes CRF-Bindungsprotein. Dieses Protein bindet im menschlichen Gehirn etwa 50% des vorhandenen Signalmoleküls und das mit größerer Festigkeit bzw. Affinität als die erwähnten Rezeptoren. Noch haben die Wissenschaftler die biologische Funktion dieses Bindungsproteins nicht vollständig verstanden, aber es stellt ohne Zweifel ein pharmakologisch wichtiges Reservoir von CRF dar, das beispielsweise für die Verbesserung von Gedächtnisleistung benutzt werden könnte.

Um die durch die CRF-Rezeptoren vermittelten Gehirnfunktionen besser zu verstehen, versuchen die Wissenschaftler CRF-analoge Signalmoleküle herzustellen, die bevorzugt von einem der Rezeptoren oder aber dem Bindungsprotein gebunden werden. Bereits 1995 konnten Andreas Rühmann und sein Team vom Göttinger Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Zusammenarbeit mit Chijen Lin und Michael Rosenfeld vom Howard Hughes Institute in San Diego einen solchen selektiv bindenden Hemmstoff, das Peptid Anti-Sauvagine-30, herstellen.

Aminosäuren können wie Schalter für Hormone wirken: Mit dem Austausch einer einzigen Aminosäure können die Bindungseigenschaften von Molekülen gezielt verändert werden. Auf der Grundlage dieser Beobachtung kann es zukünftig möglich sein, kurze Proteinabschnitte, die in spezifischer Weise anregen oder hemmen, zu entwickeln.

Klaus Eckart und sein Team aus Göttingen haben das nun mit dem Austausch einer einzigen Aminosäure im CRF-Molekül gezeigt. Sie entscheidet darüber, ob CRF an sein Bindungsprotein gebunden wird oder nicht. Wird die Aminosäure Alanin gegen die Aminosäure Glutaminsäure ausgetauscht, so wird das Molekül nicht mehr an das Bindungsprotein, sondern lediglich an den CRF-Rezeptor gebunden. Damit halten die Forscher sozusagen einen molekularen Schalter in den Händen, mit dem sie die Bindungseigenschaften des Signalmoleküls gezielt verändern können. Der Aminosäureaustausch findet in einem schraubenförmig gewundenen Bereich des CRF-Moleküls statt, der sehr wasserabstoßend ist.

Den Wissenschaftlern ist es bereits gelungen, diesen wissenschaftlichen Befund bei der Entwicklung von Hemmstoffen umzusetzen: Sie veränderten einen Hemmstoff, das Astressin, der wegen seiner geringen Löslichkeit bisher nur begrenzt in Tierversuchen eingesetzt werden konnte und der eine schwache Bindung an das CRF-Bindungsprotein zeigte, durch die Einführung der "Schalteraminosäure" Glutaminsäure. Dadurch erhöhte sich die Bindungsfestigkeit an den CRF-Rezeptor, während die Fähigkeit, an das Bindungsprotein zu binden, verloren ging. Zugleich wurde durch diese Veränderungen die Wasserlöslichkeit des sauren Astressins so gesteigert, dass es im Tierexperiment wirksam werden konnte – Angstreaktionen bei Mäusen ließen sich mit saurem Astressin jetzt ohne Schwierigkeiten unterdrücken. Zur Zeit arbeiten die Forscher an Hemmstoffen mit größerer Selektivität für Untergruppen des CRF-Rezeptors.

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