News: Schülerlotsen für Zellen?
Immer, wenn Zellen gezielt von A nach B bewegt werden müssen, scheinen die Embryonen von Fliegen, Mäusen und Fischen sich auf ähnliche Proteine zu verlassen. Dienen sie ihnen als Bewegungsapparat oder als Wegweiser?
Mit schlafwandlerischer Sicherheit finden die Zellen eines Embryos den ihnen angestammten Platz im wachsenden Organismus – einer ungeheuer komplexen Baustelle werdenden Lebens. Was sie aber tatsächlich zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort wandern lässt, ist ein bislang ungelöstes Rätsel, dem sich Wissenschaftler nur mit kleinen Schritten nähern können. Dabei bedienen sie sich zur Untersuchung der Embryonalentwicklung von Wirbeltieren häufig eines einfachen, wasserlebenden Versuchskaninchens: dem Zebrafisch. Für die Forscher hat er mittlerweile eine ähnlich große Bedeutung erlangt wie etwa die Taufliege Drosophila melanogaster. Mit gutem Grund, denn Zebrafische legen praktischerweise durchsichtige Eier, in denen sich die Fisch-Embryonen gut sichtbar und zudem recht schnell außerhalb des Körpers entwickeln. Spannend wird es für die Wissenschaftler besonders dann, wenn die perfekte Maschinerie der Embryonalentwicklung einmal – meist ausgelöst durch Mutationen – ins Stottern gerät. Lilianna Solnica-Krezel von der Vanderbilt University und ihre Kollegen der University of Missouri haben nun die so genannte Trilobit-Mutation genauer untersucht. Sie bewirkt eine eigenartige Fehlbildung, welche die Fische am Ende ihrer Entwicklung längst ausgestorbenen Meeresbewohnern – den Trilobiten – ähneln lässt.
Die Trilobit-Mutation wirkt sich dabei recht früh – kurz nach der Gastrulation – fatal auf das Entwicklungs-Geschehen aus. Anstatt sich hochorganisiert entlang der Körperachse zu ordnen, bewegen sich die embryonalen Zellen nur zögerlich und ungerichtet, wodurch letztlich das gesamte nachfolgende Entwicklungsprogramm zusammenbricht. Auf der Suche nach den Ursachen für diese Orientierungslosigkeit der jungen Fisch-Zellen entdeckten Solnica-Krezel und ihre Arbeitsgruppe mit Hilfe gentechnischer Methoden den entscheidenden Mangel der Mutanten: Die Funktion eines einzelnen ihrer Membran-Proteine war fehlerhaft. Dieses als "Strabismus" oder "Van Gogh" bezeichnete Protein spielt interessanterweise auch in Taufliegen-und Mäuse-Embryonen eine Rolle bei der Richtungsorientierung der Zellen von Fliegenflügeln und Augen. Nach Ansicht der Zebrafisch-Forscher ermöglicht "Van Gogh" die Bewegung der Embryonalzellen auf zweierlei Art: Entweder als extrazelluläres Molekül, welches wandernden Zellen von außerhalb – beispielsweise als Wegweiser – eine Bewegungsrichtung vorgeben könnte, oder als intrazellulärer Baustein der Bewegungsmaschinerie der Zellen selbst.
Um beide Hypothesen zur Funktion des Proteins zu überprüfen, setzten die Wissenschaftler ausgewählte, innerhalb bestimmter Gehirnregionen wandernde Moto-Neurone gesunder Embryonen in das sich entwickelnde Gehirn von Trilobit-Mutanten ein. Die Ergebnisse waren eindeutig: Keines der eigentlich doch funktionsfähigen Neurone wanderte wie gewohnt – fehlte ihnen das in den Mutanten nicht vorhandene Van-Gogh-Protein als externer Helfer? Als Gegenprobe setzten die Forscher Moto-Neurone von Trilobit-Mutanten in das mit Van-Gogh-Proteinen normal ausgestattete Hirn gesunder Embryoen ein. Doch die bloße Verfügbarkeit der Proteine reichte offenbar nicht aus, denn nur etwa ein Drittel der Moto-Neurone aus den Mutanten bewegten sich im gesunden Hirn tatsächlich an ihren üblichen Zielort.
"Van Gogh" scheint im wachsenden Embryo demnach sowohl extra- als auch intrazelluläre Funktionen zu übernehmen. Jedenfalls sei es aber, so Solnica-Krezel, ein Schlüsselprotein zum Verständnis der molekularen Grundlagen solcher neuronaler Zellbewegungen.
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