News: Schützende Ummantelung
Besonders eindrücklich zeigt sich die Bedeutung der Myelinschicht bei Menschen, die an der Multiplen Sklerose erkrankt sind: Unaufhaltsam zerstört ein noch unbekannter Mechanismus in einigen Regionen des Zentralnervensystems die konzentrischen Lagen um die Fortsätze der Neuronen. Infolge der unterbrochenen Isolierung breiten sich Nervenimpulse nur noch verlangsamt oder gar nicht mehr aus – oft mit verheerenden Auswirkungen für die Betroffenen. Mithilfe eines körpereigenen Reparationsprozesses gewinnen die bloßgestellen Axone einiger Patienten ihren fetthaltigen Mantel zwar in Ansätzen wieder zurück, doch gelingt die Neubildung des Myelins niemals vollständig.
Jenny Ting und ihre Kollegen von der University of North Carolina in Chapel Hill widmeten sich nun der Behebung derartiger "Kabelschäden". Um nähere Details des zugrundeliegenden Vorgangs zu enthüllen, schalteten die Forscher bei einigen Mäusen gezielt das Gen aus, das die Bauanleitung für den Tumor-Nekrose-Faktor-alpha beinhaltet. Jenes Protein spielt je nach dem Ort und Zeitpunkt sowie der Menge seiner Freisetzung verschiedene Rollen: Oftmals tritt es im Zusammenhang mit Entzündungen auf. Zudem steht es im Verdacht, das Wachstum von Zellen zu unterbinden und deren Absterben zu fördern.
Die derartig manipulierten Nager sowie deren Artgenossen mit funktionsfähigem Gen behandelten die Wissenschaftler mit dem Myelin-zersetzenden Giftstoff Cuprizon und verfolgten die weitere Entwicklung in den Mäusegehirnen: Während sich die freigelegten Nervenzellausläufer bei den Kontrolltieren mit intakter Erbanlage vollständig regenerierten, war hingegen bei den genetisch veränderten Nagern keine erneute Umhüllung der Axone zu verzeichnen. Die Ergebnisse belegen zweifelsfrei, dass dem Tumor-Nekrose-Faktor-alpha eine entscheidende Bedeutung bei der Myelinneubildung zukommt. Offenbar können nur in Gegenwart jener Eiweißsubstanz neue isolierende Schichten um die Fortsätze der Neuronen gewickelt werden – eine überraschende Erkenntnis, denn bislang schrieben Forscher jenem Protein eine krankheitsverschlimmernde Wirkung zu.
Wie weiterführende Versuche andeuten, beruht der Reparaturprozess vermutlich auf einem speziellen Mechanismus, der die Bildung von Nervenzell-Vorläufern anregt. Diese Vorstufen könnten sich eventuell zu Zellen weiterentwickeln, welche die Axone mit Myelinlagen umhüllen, spekuliert Heather Arnett aus dem Forscherteam. Möglicherweise lassen sich basierend auf den neuartigen Erkenntnissen gezielt effektivere Behandlungsansätze und Medikamente für Menschen mit Multipler Sklerose maßschneidern. Doch Ting will keine frühzeitigen Hoffnungen wecken, denn wie sie betont, befindet sich die Forschung noch weit davon entfernt, Patienten direkt helfen zu können.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.