Direkt zum Inhalt

Psychische Störungen: Depressive Mitschüler sind ansteckend

Wenn Jugendliche unter Depressionen, Angst- oder Essstörungen leiden, dann steigt in ihrer Klasse das Risiko für die übrigen, die gleiche Diagnose zu bekommen. Es könnte sich aber um eine nützliche Form der Ansteckung handeln.
Traurige Jugendliche steht auf einem Gang in der Schule, im Hintergrund andere Schüler
Psychische Probleme treten in Schulklassen gehäuft auf, wenn bereits eine oder zwei Jugendliche eine Diagnose haben. (Symbolbild)

Kaum ist ein Schüler erkältet, schniefen ein paar Tage später seine Sitznachbarn ebenfalls. Aber breiten sich womöglich nicht nur Viren in der Schule aus, sondern auch psychische Erkrankungen? In diese Richtung deuten Befunde aus Finnland von mehr als 700 000 Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 1985 bis 1997. Je mehr Diagnosen in einer Klasse auftraten, desto höher das Risiko für die Mitschülerinnen und Mitschüler, im darauf folgenden Jahr an der gleichen psychischen Störung zu erkranken.

Wie die Forschungsgruppe um den Psychologen Jussi Alho von der Universität Helsinki berichtet, wurde rund jedem 15. Jugendliche bis zur 9. Klasse – der Abschlussklasse der finnischen Gesamtschule – eine psychische Störung diagnostiziert. Unter den übrigen bekam in etwa jeder Vierte innerhalb der folgenden elf Jahre ebenfalls eine solche Diagnose. Dieses Risiko stieg im ersten Jahr um 9 Prozent, wenn sich in der Abschlussklasse eine Person befand, die bereits wegen der gleichen Störung behandelt wurde. Waren sogar zwei oder mehr Klassenkameradinnen oder -kameraden betroffen, wuchs es um 18 Prozent – und um bis zu 32 Prozent bei Depressionen, Angst- und Essstörungen.

Auf längere Sicht war das Risiko nur geringfügig erhöht. Demnach verging eher wenig Zeit zwischen dem Kontakt zu Betroffenen und der eigenen Diagnose. Deswegen vermuten die Studienautoren, dass die Störung bei den »Angesteckten« unterschwellig bereits existierte. »Es könnte zum Beispiel sein, dass die Hemmschwelle sinkt, sich für psychische Probleme Hilfe zu suchen, wenn es eine oder mehrere Personen im sozialen Netzwerk gibt, die das bereits getan haben«, erklärt der Psychologe und Koautor Christian Hakulinen von der Universität in Helsinki. Diese Form der Ansteckung könne demnach sogar nützlich sein.

Problematisch wäre eine Ansteckung hingegen dann, wenn psychische Erkrankungen zum Beispiel über Beeinflussung oder emotionale Ansteckung durch Gleichaltrige mitverursacht würden. In der Vergangenheit gab es Hinweise darauf, dass sich Depressionen, Ängste und Essstörungen derart verbreiten können. Die Schwierigkeit liegt jedoch darin, einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang nachzuweisen. In der vorliegenden Studie steigerte der Kontakt in der Klasse das Risiko zwar auch dann, wenn mögliche andere Faktoren wie Klassengröße, psychische Störungen der Eltern und Merkmale des Wohnorts ausgeschlossen wurden. Das genügt allerdings nicht, um einen kausalen Zusammenhang zu belegen.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen
JAMA Psychiatry, 10.1001/jamapsychiatry.2024.1126

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.