Schulnoten: Minuspunkte für Übergewicht
Mehr schlechte und weniger gute Schulnoten: Damit müssen Kinder rechnen, deren Gewicht über den Normwerten liegt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Mona Dian von der Hochschule Worms und Moris Triventi von der Universität Trient in Italien, ehemals Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Wie sie anhand von Schulnoten in Deutsch und Mathe zeigen, bewerten Lehrer die Leistungen von übergewichtigen Kindern schlechter als die von normalgewichtigen oder untergewichtigen Kindern.
Die Daten stammten von rund 3700 Siebtklässlerinnen und Siebtklässlern an deutschen Gymnasien und wurden im Rahmen des Nationalen Bildungspanels erhoben. Um ausschließen zu können, dass Übergewichtige zu Recht schlechtere Noten bekamen, wurde ihre Leistung in Deutsch- und Mathetests erfasst sowie die Zeit, die sie mit Hausaufgaben verbrachten. Auch andere mögliche Einflüsse wurden kontrolliert: Bildungsstand und sozioökonomischer Status der Eltern, die Muttersprache der Kinder sowie ihre Gewissenhaftigkeit und Einstellung zum Lernen.
Auch wenn sich die Kinder in diesen Punkten nicht unterschieden, fielen die Schulnoten bei Normalgewichtigen im Mittel besser aus. Unter den schlechteren Noten hatten vor allem übergewichtige und adipöse Jungen zu leiden: In Deutsch bekamen sie um 11 Prozentpunkte häufiger eine schlechte Note (eine Vier oder schlechter). Eine Eins gab es um 4 Prozentpunkte, eine Zwei um 13 Prozentpunkte seltener. In Mathe fiel der Malus kleiner aus – der Spielraum für subjektive Benotung sei in Mathe weniger groß als bei Aufsätzen, erläutern die beiden Sozialforscher. Bei den Mädchen spielten die Körpermaße kaum eine Rolle: »Mädchen werden für Übergewicht oder Adipositas nicht mit schlechteren Noten bestraft.«
Den Nachteil für übergewichtige Jungen erklären Dian und Triventi mit dem Zusammenwirken von zwei Stereotypen: dass Jungen als weniger fleißig gelten und Übergewichtige als weniger diszipliniert. Bei übergewichtigen Mädchen hingegen könnten sich die Stereotype ausgleichen, vor allem in Deutsch, wo man ihnen einen Vorteil zuspricht. Die beiden Sozialforscher wollen aber nicht ausschließen, dass die beobachteten Unterschiede in den Noten auf Verhaltensweisen zurückgehen könnten, die in der Studie nicht erfasst wurden. Sie könnten aber nicht daran liegen, dass Übergewicht von der Norm abweiche, denn Untergewicht schlage sich nicht in der Benotung nieder.
Der Effekt sei substanziell, so das Fazit von Dian und Triventi. Man habe aus älteren Studien zwar schon gewusst, dass Übergewichtige schlechtere Noten bekommen als normalgewichtige Gleichaltrige, aber ohne die Kompetenz kontrollieren zu können. Einem US-Team ist das allerdings schon in einem Experiment gelungen: Darin bewerteten Lehrer den Aufsatz eines Mädchens schlechter, wenn ein zugehöriges Foto so manipuliert wurde, dass das Mädchen übergewichtig erschien. In US-Studien bekommen vor allem Mädchen im Englischunterricht Minuspunkte für Übergewicht.
In Deutschland geht rund eines von drei Kindern mit Adipositas aufs Gymnasium, aber fast zwei von drei Kindern mit Normalgewicht, berichten die Autoren. Eine Benachteiligung bei der Notenvergabe könnte dazu beitragen. Dian und Triventi empfehlen, Kriterien zu definieren, wie Kinder das Erreichen eines Lernziels nachweisen können, um ihre Leistung daran zu messen. Der Bias in der Benotung ließe sich außerdem mindern, wenn auf den Tests keine Namen stünden. Solche Maßnahmen könnten auch anderen diskriminierten Minderheiten helfen. Eine gerechte Notengebung bedeute, dass Kinder bei gleicher Kompetenz, Einstellung und gleichem Lernverhalten vergleichbare Noten bekommen.
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