News: Schussfeste Majonäse
Bei näherer Betrachtung ist "Pommes rot-weiß" ein hoch aktuelles Hightech-Produkt. Während des Kauens ziehen geheimnisvolle Kräfte in der Majonäse unsere Zähne fester zusammen - ein Verhalten, das man bislang nur von modernsten Werkstoffen wie Nanoröhrchen oder Kevlar kannte, dem Material für kugelsichere Westen.
Im Prinzip ist der Versuch ganz einfach: Sie brauchen nur zwei Glasplatten, eine Testflüssigkeit und eine Apparatur, mit der Sie die wirkenden Kräfte aufzeichnen (um die Pommes mit Majo kümmern wir uns weiter unten). Die Flüssigkeit geben Sie zwischen die Platten, sodass eine Art Sandwich-Struktur entsteht. Nun ziehen Sie eine der beiden Platten seitwärts weg und beobachten, was passiert.
In den meisten Fällen nichts Aufregendes. Haben Sie Ihr Glück mit reinem Wasser, Glycerin oder Öl probiert, rutschen die Glasscheibchen einfach auseinander. Wenn Sie überhaupt eine weitere Kraft neben Ihrem eigenen Ziehen registriert haben, dann wirkte diese parallel zu den Platten. Ganz anders sieht es dagegen bei Schmelzen von bestimmten Polymeren aus. Deren komplexe Strukturen rufen eine Kraft hervor, die senkrecht zur Scherbewegung der Glasplatten wirkt und sie auseinander drückt. Als positive Normalspannung kennen Wissenschaftler diesen Effekt.
In den 1980er Jahren gab es dann die erste Überraschung. Damals experimentierten Forscher mit Flüssigkristallpolymeren, wie wir sie aus den LC-Displays elektronischer Geräte kennen. Diese steifen, länglichen Moleküle waren in niedermolekularen Flüssigkeiten gelöst und bewirkten, dass die Glasplatten zusammengezogen wurden. Offenbar die falsche Richtung, mochten die Wissenschaftler gedacht haben, weshalb sie von einer negativen Normalspannung sprachen. Anfangs herrschte Skepsis gegenüber den Ergebnissen, zumal sich nur wenige Materialien so verhielten, darunter die Hauptbestandteile der extrem festen Kunstfaser Kevlar, aus welcher unter anderem Sehnen für Sportbögen und schusssichere Westen hergestellt werden. Kontrollen und weitere Versuche erbrachten jedoch immer wieder neue Bestätigungen, wenn auch keine befriedigende Erklärung – und so akzeptierte die Fachwelt das Phänomen und nahm es in seinen Forschungskatalog auf.
Dort traf es vor kurzem auf ein weiteres bizarres Objekt der Wissenschaft: Nanoröhrchen. Diese kleinen Hohlstäbchen aus Kohlenstoff scheinen nie um eine Verblüffung verlegen und blicken stets in eine große Zukunft, obwohl noch niemand so recht etwas mit ihnen anzufangen weiß. Dafür sind sie jedoch starr, länglich, klein und lassen sich in Flüssigkeiten zu einer Suspension vereinigen – ganz ähnliche Eigenschaften wie bei den Flüssigkristallen also. Und folgerichtig zogen auch Nanoröhrchen im Experiment die Glasplatten zusammen. Aber diesmal gelang es, sie dabei mikroskopisch zu beobachten. Wirken schwache bis mäßige Scherkräfte auf die Suspension, so stellte sich heraus, verfangen sich die Röhrchen aneinander. Sie bilden längliche Strukturen, die weitere Nanobauteile mitreißen und wie Baumstämme mit der Zugkraft rollen.
Das mag noch im Rahmen der Erwartungen gelegen haben. Doch der Chemieingenieur Matteo Pasquali von der Rice University beobachtete zusammen mit seinen Doktoranden noch bei einem ganz anderen System eine negative Normalspannung. Mixten sie Öl und Wasser in einem bestimmten Verhältnis, wirkte auch diese Emulsion anziehend auf die Glasplatten. "Als ich die Daten zum ersten Mal sah, dachte ich, wir hätten etwas falsch gemacht", sagt Pasquali. "Aber wir prüften alles doppelt und dreifach, und der Effekt war immer noch da."
Wieder führten die Wissenschaftler den Versuch unter dem Mikroskop durch, und wieder sahen sie winzige Röllchen, die aussahen wie Baumstämme im Miniaturformat und sich mit der Zugrichtung bewegten. Offenbar wirkten zwischen den Tröpfchen der Emulsion Anziehungskräfte, die eine Verbindung zu den zylindrischen Strukturen verursachten. Die genaue Form und Anordnung der Rollen unterlag dann geometrischen Zwängen. Dank ihrer Flexibilität konnten sie beim Wirken der Scherkräfte abflachen und länger werden. Dadurch stieg ihre Packungsdichte an, das Lösungsmittel wurde aus dem Bereich der Röllchen gedrängt, und die Komprimierung resultierte in einem Unterdruck – die Glasplatten wurden aufeinander zu gesogen.
Diese Lösung hätte an sich ein schönes Resultat sein können. Aber dann packte die Forscher der Übermut. "Ich ging in den nächsten Laden, kaufte ein Glas Majonäse und schmierte sie auf die Testanlage", erzählt der Doktorand Alberto Montesi. "Ich war neugierig, ob die Majo die gleiche negative Normalspannung zeigen würde. Und das tat sie wirklich."
Was soll man daraus schließen? Dass es ausreicht, sich ein Glas Majonäse über den Anzug zu kippen, um vor Schussverletzungen gefeit zu sein? Selbst am 1. April eine etwas abstruse Idee. Aber Majonäse ist ja nur ein Beispiel für Emulsionen in Technik und Alltag. Besonders in der Bereitung von Lebensmitteln sind Vermischungen von Wasser und Ölen häufig anzutreffen. Und nehmen wir die Suspensionen kleiner Festkörper in Flüssigkeiten hinzu, wird das Areal noch größer – von der Erdölverarbeitung bis hin zu Schaumstoffen. Da kann durchaus der ein oder andere Zwischenzustand sich mal ganz anders verhalten, als es eigentlich zu erwarten wäre. Mit eventuell bedeutenderen Konsequenzen als versalzene Pommes rot-weiß. In diesem Sinne: Guten Appetit!
In den meisten Fällen nichts Aufregendes. Haben Sie Ihr Glück mit reinem Wasser, Glycerin oder Öl probiert, rutschen die Glasscheibchen einfach auseinander. Wenn Sie überhaupt eine weitere Kraft neben Ihrem eigenen Ziehen registriert haben, dann wirkte diese parallel zu den Platten. Ganz anders sieht es dagegen bei Schmelzen von bestimmten Polymeren aus. Deren komplexe Strukturen rufen eine Kraft hervor, die senkrecht zur Scherbewegung der Glasplatten wirkt und sie auseinander drückt. Als positive Normalspannung kennen Wissenschaftler diesen Effekt.
In den 1980er Jahren gab es dann die erste Überraschung. Damals experimentierten Forscher mit Flüssigkristallpolymeren, wie wir sie aus den LC-Displays elektronischer Geräte kennen. Diese steifen, länglichen Moleküle waren in niedermolekularen Flüssigkeiten gelöst und bewirkten, dass die Glasplatten zusammengezogen wurden. Offenbar die falsche Richtung, mochten die Wissenschaftler gedacht haben, weshalb sie von einer negativen Normalspannung sprachen. Anfangs herrschte Skepsis gegenüber den Ergebnissen, zumal sich nur wenige Materialien so verhielten, darunter die Hauptbestandteile der extrem festen Kunstfaser Kevlar, aus welcher unter anderem Sehnen für Sportbögen und schusssichere Westen hergestellt werden. Kontrollen und weitere Versuche erbrachten jedoch immer wieder neue Bestätigungen, wenn auch keine befriedigende Erklärung – und so akzeptierte die Fachwelt das Phänomen und nahm es in seinen Forschungskatalog auf.
Dort traf es vor kurzem auf ein weiteres bizarres Objekt der Wissenschaft: Nanoröhrchen. Diese kleinen Hohlstäbchen aus Kohlenstoff scheinen nie um eine Verblüffung verlegen und blicken stets in eine große Zukunft, obwohl noch niemand so recht etwas mit ihnen anzufangen weiß. Dafür sind sie jedoch starr, länglich, klein und lassen sich in Flüssigkeiten zu einer Suspension vereinigen – ganz ähnliche Eigenschaften wie bei den Flüssigkristallen also. Und folgerichtig zogen auch Nanoröhrchen im Experiment die Glasplatten zusammen. Aber diesmal gelang es, sie dabei mikroskopisch zu beobachten. Wirken schwache bis mäßige Scherkräfte auf die Suspension, so stellte sich heraus, verfangen sich die Röhrchen aneinander. Sie bilden längliche Strukturen, die weitere Nanobauteile mitreißen und wie Baumstämme mit der Zugkraft rollen.
Das mag noch im Rahmen der Erwartungen gelegen haben. Doch der Chemieingenieur Matteo Pasquali von der Rice University beobachtete zusammen mit seinen Doktoranden noch bei einem ganz anderen System eine negative Normalspannung. Mixten sie Öl und Wasser in einem bestimmten Verhältnis, wirkte auch diese Emulsion anziehend auf die Glasplatten. "Als ich die Daten zum ersten Mal sah, dachte ich, wir hätten etwas falsch gemacht", sagt Pasquali. "Aber wir prüften alles doppelt und dreifach, und der Effekt war immer noch da."
Wieder führten die Wissenschaftler den Versuch unter dem Mikroskop durch, und wieder sahen sie winzige Röllchen, die aussahen wie Baumstämme im Miniaturformat und sich mit der Zugrichtung bewegten. Offenbar wirkten zwischen den Tröpfchen der Emulsion Anziehungskräfte, die eine Verbindung zu den zylindrischen Strukturen verursachten. Die genaue Form und Anordnung der Rollen unterlag dann geometrischen Zwängen. Dank ihrer Flexibilität konnten sie beim Wirken der Scherkräfte abflachen und länger werden. Dadurch stieg ihre Packungsdichte an, das Lösungsmittel wurde aus dem Bereich der Röllchen gedrängt, und die Komprimierung resultierte in einem Unterdruck – die Glasplatten wurden aufeinander zu gesogen.
Diese Lösung hätte an sich ein schönes Resultat sein können. Aber dann packte die Forscher der Übermut. "Ich ging in den nächsten Laden, kaufte ein Glas Majonäse und schmierte sie auf die Testanlage", erzählt der Doktorand Alberto Montesi. "Ich war neugierig, ob die Majo die gleiche negative Normalspannung zeigen würde. Und das tat sie wirklich."
Was soll man daraus schließen? Dass es ausreicht, sich ein Glas Majonäse über den Anzug zu kippen, um vor Schussverletzungen gefeit zu sein? Selbst am 1. April eine etwas abstruse Idee. Aber Majonäse ist ja nur ein Beispiel für Emulsionen in Technik und Alltag. Besonders in der Bereitung von Lebensmitteln sind Vermischungen von Wasser und Ölen häufig anzutreffen. Und nehmen wir die Suspensionen kleiner Festkörper in Flüssigkeiten hinzu, wird das Areal noch größer – von der Erdölverarbeitung bis hin zu Schaumstoffen. Da kann durchaus der ein oder andere Zwischenzustand sich mal ganz anders verhalten, als es eigentlich zu erwarten wäre. Mit eventuell bedeutenderen Konsequenzen als versalzene Pommes rot-weiß. In diesem Sinne: Guten Appetit!
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