Nationalparke: Schutzlos im Schutzgebiet
Es ist Deutschlands größtes Schutzgebiet, doch von ungestörter Natur kann im Wattenmeer nicht die Rede sein. Manchmal besteht der Schutz sogar nur auf dem Papier und gehen Einzelinteressen auf Kosten der Umwelt - ein Zustandsbericht.
Vergangene Pracht: Die Nordsee, das Wattenmeer und seine angrenzenden Küsten müssen einst eine Art marine Serengeti Mitteleuropas gewesen sein, in der sich Grauwale und Nordkaper tummelten, Pelikane fischten, Flamingos Plankton aus dem Wasser filterten und Lachs, Stör oder Rochen durch das Meer zogen. An Land weideten Auerochsen wie Elche in Salzwiesen und Sümpfen und machten Bären womöglich Jagd auf junge Kegelrobben oder Seehunde. Aus und vorbei: Die jahrtausendelange Jagd und Nutzung machten vielen Arten den lokalen Garaus und vertrieben sie in weniger gestörte Regionen.
Fischerei als größtes Sorgenkind
Dabei war der Widerstand massiv: Tourismusbranche und die lokale Bevölkerung, Landwirte, Jäger und Fischer fürchteten um ihren Einfluss, ihre Hobbys oder ihr Einkommen. Die Gründung des international anerkannten Schutzgebiets war deshalb nur mit vielen Ausnahmegenehmigungen möglich. So wird mitten im Watt auf der Mitteplate-Plattform nach Öl gebohrt, Gaspipelines und Stromtrassen ziehen sich durch den Schlick, vor der Küste sollen heftig kritisierte Windenergieanlagen entstehen, und auch das Militär übt bisweilen noch. Jahrelang durften sogar im Nationalpark Gänse gejagt werden – eine Praxis, die erst seit Beginn der 1990er Jahre verboten wurde. Seitdem wachsen nicht nur die Bestände bestimmter Vogelarten wieder an, die Tiere werden auch zutraulicher und neigen weniger zu Fluchtverhalten.
Sorge bereitet ihnen wie auch der Nationalparksverwaltung dagegen die ungeregelte Fischerei, die weiterhin in großen Teilen des Wattenmeers aktiv ist und neben Krabben und Schollen vor allem die Muschelbänke nutzt. Im schleswig-holsteinischen Park beispielsweise dürfen Kutter nach Angaben des WWF auf 97 Prozent der Fläche nach Garnelen fischen, und selbst im verbliebenen kleinen Restareal notierten die Umweltschützer illegale Übergriffe. Die Krabbenfischerei wie auch die Jagd auf Scholle oder Flunder beeinflusst zudem nicht nur die gewünschten Zielarten: "Wir sehen vor allem die Baumkurren- und andere Grundschleppnetz-Fischerei mit Sorge. Hier wird ein Netz über den Boden gezogen und dabei die Bodenfauna zerstört. Zudem haben die Fänge extrem hohe Beifangraten", so Biologin Iris Menn von Greenpeace Deutschland. Jungfische, Seesterne oder zu kleine Garnelen gehen gleich wieder über Bord – immerhin zur Freude der Möwen, deren Bestände womöglich auch deshalb wachsen.
Doch gehen diese Beschränkungen Manfred Knake vom Wattenrat – einem Zusammenschluss unabhängiger Naturschützer aus der Küstenregion Ostfrieslands – nicht weit genug: "Die Miesmuschelfischerei darf (in Niedersachsen, Anm. d. Red.) auf zirka achtzig Prozent des trockenfallenden Watts in Wildmuschelbänken zur Saatmuschelgewinnung durchgeführt werden, auch in den strengsten Schutzzonen. Die kleinen Saatmuscheln werden an anderer Stelle des Watts bis zur Marktreife wieder ausgebracht. Durch das mechanische Abreißen der Muscheln von den Bänken werden diese aber oft nachhaltig geschädigt, die Wiederbesiedelung ist durch die strukturelle Beschädigung gefährdet." Neben klimatischen Gründen und der Verdrängung durch die einwandernde, exotische Pazifische Auster (Crassostrea gigas) gilt dies als einer der Hauptgründe für den Rückgang der Miesmuschelbänke auf ein Drittel der ursprünglichen Verbreitung.
Licht und Schatten durch den Tourismus
Überhaupt stellten Wissenschaftler wie Franz Baierlein vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven bei mehr als zwei Drittel der 34 Vogelarten, die das Wattenmeer als wichtigen Trittstein während ihres Zugs aufsuchen, einen teils deutlichen Bestandsrückgang zwischen 1980 und 2000 fest – und damit noch lange Zeit nach Gründung der Nationalparke. Die Vögel kommen neben der Fischerei vor allem mit dem Tourismus in Konflikt. Schließlich beträgt die Zahl der gemeldeten Übernachtungen allein im Nationalpark in Niedersachsen mehr als dreißig Millionen, dazu kommen noch die Tagestouristen. Dieser Besucherdruck hinterlässt natürlich Spuren bei Flora und Fauna, wie auch Manfred Knake immer wieder feststellen muss – beispielsweise wenn auf Langeoog mitten in einer Schutzzone ein Golfplatz illegal errichtet wird.
Windenergie als großes Streitthema der Zukunft
Ein relativ neues Problem für den Nationalpark erwächst dagegen mit dem Thema Windenergie, die in großen Anlagen vor der Küste zukünftig einen größeren Teil zur sauberen Stromversorgung Deutschlands leisten soll. Für Greenpeace und den WWF ist sie durchaus ein zweischneidiges Schwert, denn einerseits sehen sie die Gefahren durch den Klimawandel – der auch die Nordsee bereits verändert –, dem mit kohlendioxidfreier Energieerzeugung begegnet werden muss. Andererseits fürchten sie die Industrialisierung der Nordsee und die Zerschneidung wichtiger Vogelzuglinien durch die Rotoren und Stromkabel. Eine kritische Begleitung vorhergesehener Projekte ist für sie deshalb unabdingbar und ihr Bau zumindest für den WWF ohne aussagekräftige Forschungsarbeiten zu den Folgen auf die Vögel, Wale oder zur Gefahr von Schiffskollisionen nicht ohne weiteres akzeptabel.
Insgesamt stehen dem Wattenmeer also auch zukünftig noch stürmische Zeiten bevor – nicht nur klimatisch. Vom Ziel eines "echten" Nationalparks wie der Serengeti in Tansania, dem Yellowstone in den USA oder Manu in Peru sind der niedersächsische, hamburgische und schleswig-holsteinische Park deshalb noch weit entfernt: Zu sehr nehmen die Menschen hier noch Einfluss. Ob die geplante Ernennung zum Unesco-Welterbe der Menschheit weiterhilft, scheint vielen Naturschützern mehr als fraglich.
Dennoch ist das Wattenmeer immer noch ein wertvoller Lebensraum, der Millionen von Enten, Wat- und Seevögeln eine Heimat oder einen nahrhaften Rastplatz zur Zugzeit bietet. Auch ruhen wieder rund 15 000 Seehunde auf geeigneten Sandbänken, und selbst die zeitweise völlig von deutschen Stränden verschwundene Kegelrobbe ist wieder in kleineren Stückzahlen nach Helgoland oder bei Amrum zurückgekehrt. Zudem bietet das flache Schelfmeer wichtigen Speisefischen wie Scholle, Hering oder Seezunge eine vergleichsweise ruhige und sichere Kinderstube, von den ungezählten Weichtieren, Krebsen oder Würmern ganz zu schweigen. Wegen dieser Vielfalt und Produktivität wurde das Gebiet vor zwanzig Jahren zum Nationalpark erklärt – unterteilt in die drei Teile Niedersächsisches, Hamburgisches und Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.
Fischerei als größtes Sorgenkind
Dabei war der Widerstand massiv: Tourismusbranche und die lokale Bevölkerung, Landwirte, Jäger und Fischer fürchteten um ihren Einfluss, ihre Hobbys oder ihr Einkommen. Die Gründung des international anerkannten Schutzgebiets war deshalb nur mit vielen Ausnahmegenehmigungen möglich. So wird mitten im Watt auf der Mitteplate-Plattform nach Öl gebohrt, Gaspipelines und Stromtrassen ziehen sich durch den Schlick, vor der Küste sollen heftig kritisierte Windenergieanlagen entstehen, und auch das Militär übt bisweilen noch. Jahrelang durften sogar im Nationalpark Gänse gejagt werden – eine Praxis, die erst seit Beginn der 1990er Jahre verboten wurde. Seitdem wachsen nicht nur die Bestände bestimmter Vogelarten wieder an, die Tiere werden auch zutraulicher und neigen weniger zu Fluchtverhalten.
Intensiv genutzt wurden anfänglich auch noch die Salzwiesen der Region, die vor allem Schafe kurz und klein fraßen, sodass sich nur artenarme Rasen entwickelten. Mittlerweile nahm die Nationalparkverwaltung jedoch fast die Hälfte der entsprechenden Flächen aus der Bewirtschaftung und begünstigte dort die Entwicklung diverser Ökosysteme, die heute darauf angewiesenen Tierarten einen optimalen Lebensraum bieten. Obwohl manche Flächen immer noch bewirtschaftet werden und trotz teils hitziger Diskussionen mit verbliebenen Schäfern wie manchem Anwohner empfinden Organisationen wie der WWF und der NABU diese Entwicklung des Reservats als Erfolgsgeschichte.
Sorge bereitet ihnen wie auch der Nationalparksverwaltung dagegen die ungeregelte Fischerei, die weiterhin in großen Teilen des Wattenmeers aktiv ist und neben Krabben und Schollen vor allem die Muschelbänke nutzt. Im schleswig-holsteinischen Park beispielsweise dürfen Kutter nach Angaben des WWF auf 97 Prozent der Fläche nach Garnelen fischen, und selbst im verbliebenen kleinen Restareal notierten die Umweltschützer illegale Übergriffe. Die Krabbenfischerei wie auch die Jagd auf Scholle oder Flunder beeinflusst zudem nicht nur die gewünschten Zielarten: "Wir sehen vor allem die Baumkurren- und andere Grundschleppnetz-Fischerei mit Sorge. Hier wird ein Netz über den Boden gezogen und dabei die Bodenfauna zerstört. Zudem haben die Fänge extrem hohe Beifangraten", so Biologin Iris Menn von Greenpeace Deutschland. Jungfische, Seesterne oder zu kleine Garnelen gehen gleich wieder über Bord – immerhin zur Freude der Möwen, deren Bestände womöglich auch deshalb wachsen.
Das Abernten von Miesmuscheln (Mytilus edulis) wurde nach Gründung des schleswig-holsteinischen Teils sogar noch intensiviert und ausgeweitet: Standen anfänglich 1300 Hektar Kulturflächen – auf denen extra ausgebrachte kleine Muscheln zur Marktreife heranwachsen – zur Verfügung, nahmen die "Züchter" bis 1997 insgesamt 2800 Hektar in Beschlag. Erst in den Folgejahren verringerte sich diese Fläche wieder auf 2000 Hektar. Wenigstens erreichten die Parkverwaltungen ein Verbot der Miesmuschelfischerei auf trockenfallenden Wattflächen sowie im größten Teil der Kernzonen; die Entnahme von Herzmuscheln (Cerastoderma edule) wurde sogar völlig untersagt, da sie den empfindlichen Wattboden umwühlte.
Doch gehen diese Beschränkungen Manfred Knake vom Wattenrat – einem Zusammenschluss unabhängiger Naturschützer aus der Küstenregion Ostfrieslands – nicht weit genug: "Die Miesmuschelfischerei darf (in Niedersachsen, Anm. d. Red.) auf zirka achtzig Prozent des trockenfallenden Watts in Wildmuschelbänken zur Saatmuschelgewinnung durchgeführt werden, auch in den strengsten Schutzzonen. Die kleinen Saatmuscheln werden an anderer Stelle des Watts bis zur Marktreife wieder ausgebracht. Durch das mechanische Abreißen der Muscheln von den Bänken werden diese aber oft nachhaltig geschädigt, die Wiederbesiedelung ist durch die strukturelle Beschädigung gefährdet." Neben klimatischen Gründen und der Verdrängung durch die einwandernde, exotische Pazifische Auster (Crassostrea gigas) gilt dies als einer der Hauptgründe für den Rückgang der Miesmuschelbänke auf ein Drittel der ursprünglichen Verbreitung.
"Das Hauptproblem ist der Massentourismus mit dreißig Millionen Übernachtungen in Verbindung mit der Null-Aufsicht durch vier hauptamtliche Nationalparkwarte"
(Manfred Knake)
Mies- und Herzmuscheln bieten jedoch vielen Vogelarten eine wertvolle Nahrung, die beispielsweise für Austernfischer (Haematopus ostralegus), Eiderenten (Somateria mollissima) oder den Knutt (Calidris canutus) – ein rot gefärbter Watvogel – während der Rast oder der Brutzeit essenziell ist und deren Übernutzung bedenkliche Folgen haben kann. Wie jetzt beispielsweise eine Studie von Jan van Gils und seinen Kollegen vom Royal Netherlands Institute for Sea Research auf Texel enthüllte [1], bewirkte die industrialisierte Ernte von Herzmuscheln im niederländischen Nordseegebiet einen Teil des Zusammenbruchs der rastenden und überwinternden Knutt-Bestände im gesamten Wattenmeer. Während 1960 geschätzte 2000 Tonnen der als Delikatesse geltenden Weichtiere pro Jahr mit der Hand eingesammelt wurden, steigerte sich diese Menge bis Ende der 1980er Jahre auf knapp 80 000 Tonnen – von nur 22 Schiffen durch Hochdruckpumpen aus dem Schlick gesaugt. (Manfred Knake)
Erst 2004 stoppten die Niederlande diese hochgradig zerstörerische Praxis, doch für die Knutts kam die Maßnahme zu spät: Um rund achtzig Prozent ging ihre Zahl im Beobachtungszeitraum ab 1975 zurück, allein für die Zeit zwischen 1998 und 2002 kalkulieren die Forscher etwa 58 000 zusätzliche Todesfälle unter den Vögeln, die verhungerten oder den erhöhten Strapazen auf der Suche nach Ausweichquartieren Tribut zollen mussten. Austernfischer und Eiderenten leiden wiederum unter der fortgesetzten Nutzung der Miesmuscheln und können nicht auf die Pazifischen Austern ausweichen, weil deren Schale zu hart zu knacken ist.
Licht und Schatten durch den Tourismus
Überhaupt stellten Wissenschaftler wie Franz Baierlein vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven bei mehr als zwei Drittel der 34 Vogelarten, die das Wattenmeer als wichtigen Trittstein während ihres Zugs aufsuchen, einen teils deutlichen Bestandsrückgang zwischen 1980 und 2000 fest – und damit noch lange Zeit nach Gründung der Nationalparke. Die Vögel kommen neben der Fischerei vor allem mit dem Tourismus in Konflikt. Schließlich beträgt die Zahl der gemeldeten Übernachtungen allein im Nationalpark in Niedersachsen mehr als dreißig Millionen, dazu kommen noch die Tagestouristen. Dieser Besucherdruck hinterlässt natürlich Spuren bei Flora und Fauna, wie auch Manfred Knake immer wieder feststellen muss – beispielsweise wenn auf Langeoog mitten in einer Schutzzone ein Golfplatz illegal errichtet wird.
Störungen der Tierwelt können jedoch auch ganz subtil ablaufen, wie die Fälle des Seeregenpfeifers (Charadrius alexandrinus) und der Zwergseeschwalbe (Sterna albifrons) zeigen. Beide Arten brüten bevorzugt auf Sand- und Kiesstränden, die ebenso gerne von Menschen zum Baden, Wandern oder Drachensteigen genutzt werden. Die beiden Vogelarten sind diesbezüglich allerdings sehr empfindlich, sodass ihre Gesamtzahl an der gesamten Wattenmeerküste von den Niederlanden bis nach Dänemark lange im freien Fall war und teilweise noch ist. Bedenklich finden deshalb auch die großen Umweltverbände wie der WWF neue Tendenzen in der regionalen Fremdenverkehrsbranche – trotz teilweise positiver Sichtweise: "Tourismus und Naturschutz lassen sich grundsätzlich besonders gut in Einklang bringen, denn ihre Interessenbereiche überlappen stark: Beide brauchen ein intaktes, glaubwürdig geschütztes Wattenmeer. Der Tourismus möchte darüber hinaus aber auch jede Art von Eventtourismus und neue Großbauten, was sich dann nicht mehr mit dem Nationalpark trifft und letztlich auch widersprüchlich zum Wunsch der Urlauber nach intakter Natur ist", meint etwa Hans-Ulrich Rösner, der Leiter des WWF-Projektbüros Wattenmeer. Auch die schleswig-holsteinische Nationalparksverwaltung sieht die Zusammenarbeit mit dem Fremdenverkehr eher positiv: "Die Kooperation mit dem Tourismus ist sehr erfolgreich. Probleme gibt es allenfalls lokal und sie werden meist in kurzer Zeit gelöst", so Hendrik Brunckhorst vom Nationalparkamt.
"Der Tourismus möchte aber auch jede Art von Eventtourismus und neue Großbauten, was sich dann nicht mehr mit dem Nationalpark trifft und letztlich auch widersprüchlich zum Wunsch der Urlauber nach intakter Natur ist"
(Hans-Ulrich Rösner)
Manfred Knake sieht diesen Komplex allerdings wesentlich kritischer: "Das Hauptproblem ist der Massentourismus mit dreißig Millionen Übernachtungen im gesamten Nationalpark in Verbindung mit der quasi Null-Aufsicht durch vier hauptamtliche Nationalparkwarte auf den Inseln und 14 Zivildienstleistenden." Deshalb kann es ungeahndet passieren, dass auf Langeoog eine Silbermöwenkolonie (Larus argentatus) mit 3000 Brutpaaren von Eierdieben geplündert werden kann oder Kite-Surfer – eine moderne und schnellere Form des Windsurfens – in streng geschützte Ruhezonen von Vögeln und Seehunden eindringen. Und den Nationalparkwarten sind selbst bei illegalen Verstößen die Hände gebunden, da sie nicht einmal Platzverweise aussprechen dürfen. (Hans-Ulrich Rösner)
Gleichzeitig führen die Wünsche lokaler Politiker zur Förderung des Tourismus immer wieder zu Neu- und Umzonierungen des Nationalparks, die seltene Tiere weiter bedrohen wie etwa eine Anlandestelle für Wassersportler auf Wangerooge mitten im Brutgebiet von Zwergseeschwalben. Mehr als achtzig derartiger Verstöße hat der Wattenrat bislang dokumentiert: "Die Politik muss endlich ehrlich mit den Schutzzielen umgehen, und nicht Nationalpark sagen und Tourismus meinen. Selbst die Nationalparkverwaltung fährt einen Schmusekurs mit dem Tourismus. Zur Zeit verfolgt die Landesregierung die Öffnung von Schutzgebieten für den Tourismus unter dem Stickwort 'Serengeti-Effekt' und 'Wo Mensch und Natur sich begegnen'. Diese 'Begegnung' hat fatale Folgen für die störungsempfindlichen Gänse und Watvogelarten, die mögen diese Begegnungen nicht."
Windenergie als großes Streitthema der Zukunft
Ein relativ neues Problem für den Nationalpark erwächst dagegen mit dem Thema Windenergie, die in großen Anlagen vor der Küste zukünftig einen größeren Teil zur sauberen Stromversorgung Deutschlands leisten soll. Für Greenpeace und den WWF ist sie durchaus ein zweischneidiges Schwert, denn einerseits sehen sie die Gefahren durch den Klimawandel – der auch die Nordsee bereits verändert –, dem mit kohlendioxidfreier Energieerzeugung begegnet werden muss. Andererseits fürchten sie die Industrialisierung der Nordsee und die Zerschneidung wichtiger Vogelzuglinien durch die Rotoren und Stromkabel. Eine kritische Begleitung vorhergesehener Projekte ist für sie deshalb unabdingbar und ihr Bau zumindest für den WWF ohne aussagekräftige Forschungsarbeiten zu den Folgen auf die Vögel, Wale oder zur Gefahr von Schiffskollisionen nicht ohne weiteres akzeptabel.
"Anlagen hinter dem Deich in Nationalparknähe sehen wir kritisch"
(Ingo Ludwichowski)
Der Wattenrat und verschiedene daran beteiligte Bürgerinitiativen wenden sich dagegen völlig gegen neue Windräder auch außerhalb des Nationalparks. Ihrer Meinung nach rechtfertigt die ohnehin nur schwankend vorhandene Auslastung der Windkraftwerke und der entsprechend kleine Beitrag zur Energieerzeugung nicht die hohen Produktionskosten – schon gar nicht, wenn dies unter Beeinträchtigung des Landschaftsbilds und dem Verlust an Rast- und Brutgebieten für Vögel geschieht. Der NABU wiederum begrüßt die Position der Landesregierungen, zumindest im Nationalpark keine Turbinen zu errichten, was auch im Widerspruch zum Nationalparkgesetz wäre: "Anlagen hinter dem Deich in Nationalparknähe sehen wir kritisch. Der NABU lehnt darüber hinaus die Errichtung innerhalb von Schutzgebieten auf dem Meer strikt ab und sieht auch außerhalb die Notwendigkeit, die Standorte kritisch wegen möglicher negativer Auswirkungen zu prüfen", so Ingo Ludwichowski vom Landesverband Schleswig-Holstein. (Ingo Ludwichowski)
Insgesamt stehen dem Wattenmeer also auch zukünftig noch stürmische Zeiten bevor – nicht nur klimatisch. Vom Ziel eines "echten" Nationalparks wie der Serengeti in Tansania, dem Yellowstone in den USA oder Manu in Peru sind der niedersächsische, hamburgische und schleswig-holsteinische Park deshalb noch weit entfernt: Zu sehr nehmen die Menschen hier noch Einfluss. Ob die geplante Ernennung zum Unesco-Welterbe der Menschheit weiterhilft, scheint vielen Naturschützern mehr als fraglich.
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