Jahresrückblick: Schwarz ist das All und die Insel der Stabilität nicht mehr fern
Nano ist in, Makro out? Das sich zum Ende neigende Jahr zeigt: mitnichten, sogar im Gegenteil - alte und neue Fachbereiche profitierten ausgiebig voneinander. Und mit ihnen auch viele andere wissenschaftliche Disziplinen.
Mancher würde wohl meinen, Nano und Quantencomputer beherrschten die Physikerwelt. Doch beim Blick zurück ins ausklingende Jahr dominierten eher die klassischen Felder der Physik – die Materialkunde, die Optik, Energie oder Elektronik – das Bild. Sie behaupteten sich tapfer neben dem Wirbel um die neuen Disziplinen und scheinen sogar eine Art Renaissance zu erleben. Dabei bedienen sie sich zunehmend der Erkenntnisse der modernen Fachgebiete. So führen die Experimentatoren viele mechanische oder optische Funktionen der von ihnen unter die Lupe genommenen Substrate unmittelbar auf nanoskopische oder quantenphysikalischen Phänomene zurück, wenngleich der Fokus häufig auf den makroskopischen Eigenschaften lag.
Zugleich bestätigte sich der im vergangenen Jahr abzeichnende Trend, dass neue Erkenntnisse offensichtlich vorzugsweise an den Grenzbereichen zwischen den Disziplinen entstehen. Dabei reichen die Überlappungen oft bis weit in die Biologie, Astronomie, Geologie oder Chemie hinein. Selbst vor dem Sport machten die Physiker und Techniker im Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland nicht halt.
Elektromagnetische Wellen auf allen Kanälen
Die reine Lehre für den Alltag
Der "Tarnumhang" sowie der Nobelpreis für die Forschung mit dem Cobe-Satelliten machen deutlich, wie eng verknüpft die Physik mit vielen anderen wissenschaftlichen Disziplinen ist. Und dass sie nicht immer nur Abgehobenes, sondern auch sehr Alltagsverbundenes liefern kann.
Überhaupt hat sich die Biomechanik, zu der die Fußballtipps gehörten, in diesem Jahr recht ordentlich gemausert. Mehrere wissenschaftliche Beiträge untersuchten biophysikalische Vorgänge, sei es das Gehen, das Sehen, das Verhalten von Zellen oder Enzymen auf elektrische Felder sowie die Materialeigenschaften biologischer Stoffe wie die Spinnenseide.
Krebs im Fadenkreuz
Von der Biologie ist es kein weiter Weg zur Medizin. Auch hierzu lieferten Physiker in diesem Jahr wichtige Beiträge. Man denke nur an die bildgebenden Verfahren der Kernspintomografen, deren Schärfe sich nach Ansicht von Leif Schröder von der Universität von Kalifornien in Berkeley wesentlich verbessern ließe, falls im Körper der Patienten Atome des harmlosen Edelgases Xenon kreisten, die vorher eingeatmet werden sollten.
Patienten können glücklich sein über dieses "Abfallprodukt" der Darmstädter Grundlagenforscher, die in ihrer Anlage eigentlich neue Elemente erschaffen und untersuchen wollen. Grund zur Freude hatten die hessischen Forscher, als Bundesforschungsministerin Annette Schavan im November dort endlich das chemische Element 111 – das bereits im Jahr 1994 am GSI erzeugt worden war – offiziell auf den Namen "Roentgenium" (Rg) taufte – wenngleich "Schnapszahlus" auch keine schlechte Wahl gewesen wäre. Zur Verzögerung bei der Namensgebung kam es, nachdem bekannt wurde, dass der leitende Wissenschaftler, der später zum Forschen in die Vereinigten Staaten ging, dort offensichtlich Ergebnisse gefälscht hatte. Eine Kommission hat aber nun nachweisen können, dass in Darmstadt alles mit rechten Dingen zuging, weshalb der Taufe nichts mehr im Wege stand.
Die GSI-Forscher sind eigentlich auf der Suche nach der so genannten "Insel der Stabilität" im Meer des Periodensystems der chemischen Elemente. Die überschweren Atomkerne dort sollen sich durch außergewöhnliche "Langlebigkeit" im Vergleich zu ihren Nachbarn auszeichnen. Vor wenigen Tagen meldete nun die Forschungseinrichtung, dass sie mit dem Element Hassium-270 offenbar zumindest "ein dem Eiland vorgelagertes Riff" entdeckt zu haben scheinen. Diese Variante des ebenfalls am GSI erzeugten Atomkerns, der 108 Protonen und 162 Neutronen enthält und nach dem Bundesland Hessen benannt ist, zerfällt Messungen zufolge erst nach 22 Sekunden in einen leichteren Partner. Das ist außergewöhnlich lang für ein derartig schweres Teilchen. Nun freuen sich die Darmstädter Forscher schon auf ihr neues Beschleunigersystem Fair, mit dem sie in ein paar Jahren die Insel der Stabilität entdecken und erkunden wollen.
Zugleich bestätigte sich der im vergangenen Jahr abzeichnende Trend, dass neue Erkenntnisse offensichtlich vorzugsweise an den Grenzbereichen zwischen den Disziplinen entstehen. Dabei reichen die Überlappungen oft bis weit in die Biologie, Astronomie, Geologie oder Chemie hinein. Selbst vor dem Sport machten die Physiker und Techniker im Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland nicht halt.
Bestes Beispiel für das fächerübergreifende Wirken war in diesem Jahr der Nobelpreis für Physik, der an zwei Kosmologen ging. Die beiden Amerikaner John Mather und George Smoot erhielten die Auszeichnung für Messungen, die sie mit dem Nasa-Satelliten Cosmic Background Explorer (Cobe) durchgeführt hatten. Mit ihm entdeckten sie kleinste Temperaturunterschiede in der Hintergrundstrahlung des Alls, dem Nachhall des Urknalls, woraus sich ablesen lässt, wie sich das Universum nach seiner Geburt entwickelt hat. Darüber hinaus bewiesen die beiden Wissenschaftler, dass die spektrale Verteilung des verhallenden Urschreis des Universums der eines Schwarzen Strahlers gleicht und damit in seinem Verhalten der Sonne oder einer glühenden Herdplatte ähnelt – nur dass es mit minus 270 Grad Celsius wesentlich kälter ist.
Elektromagnetische Wellen auf allen Kanälen
An Wärme und damit elektromagnetische Wellen fügt sich die Optik nahtlos an – geht das Infrarot der Wärmestrahlung doch kontinuierlich ins sichtbare Spektrum über. Der Göttinger Physiker Stefan Hell überwand in diesem Jahr nun ein Gesetz der Optik, das der Thüringer Physiker Ernst Abbe (1840-1905) einst vor über hundert Jahren bildlich gesprochen als Naturgesetz in Stein meißelte. Es lautet: Unter einem Mikroskop lassen sich ausschließlich Objekte erkennen, die größer sind als etwa die halbe Wellenlänge des verwendeten Lichts. Nun rüttelte Hell, der gleichzeitig Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie ist, an dieser Grundfeste und zerbröselte gleichsam den Abbe'schen Gedenkstein. Er entwickelte ein so genanntes Sted-Mikroskop (Stimulated Emission Depletion), das – obgleich es mit Licht arbeitet – ein etwa zehn Mal so scharfes Bild liefert wie herkömmliche Instrumente. Für diese Meisterleistung erhielt Hell vor wenigen Wochen aus den Händen des Bundespräsidenten Horst Köhler den mit 250 000 Euro dotierten Deutschen Zukunftspreis.
Doch auch im langwelligen Bereich tat sich Neues auf: Wissenschaftler um David Smith von der Duke-Universität haben etwas Außergewöhnliches erschaffen, etwas, was die Fantasien nahezu aller Menschen beflügelt. Sie stellten eine Art Tarnmantel her – ein Gebilde, das unsichtbar macht. Zumindest zweidimensionale Objekte, die in einer Ebene liegen, und zumindest für Wesen, die ihre Umgebung ausschließlich in einem bestimmten Wellenlängenbereich der Mikrowellen wahrnehmen. Trotz dieser gewaltigen Einschränkungen erregte diese Konstruktion Ende dieses Jahres ein außerordentliches Medieninteresse. Schließlich denken da viele gleich an die Helden aus ihrer Kindheit: an Siegfried aus der Nibelungen-Saga, an den sagenumwobenen Alpenkönig Laurin oder aber an das Raumschiff Enterprise sowie an den Zauberschüler Harry Potter.
Die reine Lehre für den Alltag
Der "Tarnumhang" sowie der Nobelpreis für die Forschung mit dem Cobe-Satelliten machen deutlich, wie eng verknüpft die Physik mit vielen anderen wissenschaftlichen Disziplinen ist. Und dass sie nicht immer nur Abgehobenes, sondern auch sehr Alltagsverbundenes liefern kann.
So gibt es für viele Menschen kaum Aufregenderes als den Sport – den Fußball genauer gesagt. Weil die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land wohl alle Gemüter bewegte, konnten es sich auch die Physiker nicht verkneifen, gute Ratschläge zu geben – wie man beispielsweise einen Ball nach dem Seitenaus möglichst effektiv wieder ins Feld zurückwirft oder wie man Elfmeter am besten im gegnerischen Tor versenkt. Ob diese Erkenntnisse der Nationalmannschaft 2010 in Südafrika weiterhelfen, steht in den Sternen. Denn eines ist sicher: Die physikalischen Gesetze gelten für alle gleichermaßen.
Überhaupt hat sich die Biomechanik, zu der die Fußballtipps gehörten, in diesem Jahr recht ordentlich gemausert. Mehrere wissenschaftliche Beiträge untersuchten biophysikalische Vorgänge, sei es das Gehen, das Sehen, das Verhalten von Zellen oder Enzymen auf elektrische Felder sowie die Materialeigenschaften biologischer Stoffe wie die Spinnenseide.
Krebs im Fadenkreuz
Von der Biologie ist es kein weiter Weg zur Medizin. Auch hierzu lieferten Physiker in diesem Jahr wichtige Beiträge. Man denke nur an die bildgebenden Verfahren der Kernspintomografen, deren Schärfe sich nach Ansicht von Leif Schröder von der Universität von Kalifornien in Berkeley wesentlich verbessern ließe, falls im Körper der Patienten Atome des harmlosen Edelgases Xenon kreisten, die vorher eingeatmet werden sollten.
Aber auch dem Krebs haben die Ingenieure und Techniker den Kampf angesagt. So konnten Wissenschaftler des europäischen Forschungszentrums CERN in der Schweiz zeigen, dass sich Tumorzellen besser mit Antiprotonen – der Antimaterie des Wasserstoff-Kerns – zerstören lassen als mit den klassischen Korpuskeln. Auf dem Gebiet der Krebstherapie durch Beschuss mit Ionen ist auch die Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt äußerst erfolgreich. Die Erfahrungen, die dort mit der Heilung von Hirntumor-Patienten gemacht wurden, sind so überzeugend, dass nun beispielsweise in Heidelberg ein Therapiezentrum für diese Technik entsteht.
Patienten können glücklich sein über dieses "Abfallprodukt" der Darmstädter Grundlagenforscher, die in ihrer Anlage eigentlich neue Elemente erschaffen und untersuchen wollen. Grund zur Freude hatten die hessischen Forscher, als Bundesforschungsministerin Annette Schavan im November dort endlich das chemische Element 111 – das bereits im Jahr 1994 am GSI erzeugt worden war – offiziell auf den Namen "Roentgenium" (Rg) taufte – wenngleich "Schnapszahlus" auch keine schlechte Wahl gewesen wäre. Zur Verzögerung bei der Namensgebung kam es, nachdem bekannt wurde, dass der leitende Wissenschaftler, der später zum Forschen in die Vereinigten Staaten ging, dort offensichtlich Ergebnisse gefälscht hatte. Eine Kommission hat aber nun nachweisen können, dass in Darmstadt alles mit rechten Dingen zuging, weshalb der Taufe nichts mehr im Wege stand.
Die GSI-Forscher sind eigentlich auf der Suche nach der so genannten "Insel der Stabilität" im Meer des Periodensystems der chemischen Elemente. Die überschweren Atomkerne dort sollen sich durch außergewöhnliche "Langlebigkeit" im Vergleich zu ihren Nachbarn auszeichnen. Vor wenigen Tagen meldete nun die Forschungseinrichtung, dass sie mit dem Element Hassium-270 offenbar zumindest "ein dem Eiland vorgelagertes Riff" entdeckt zu haben scheinen. Diese Variante des ebenfalls am GSI erzeugten Atomkerns, der 108 Protonen und 162 Neutronen enthält und nach dem Bundesland Hessen benannt ist, zerfällt Messungen zufolge erst nach 22 Sekunden in einen leichteren Partner. Das ist außergewöhnlich lang für ein derartig schweres Teilchen. Nun freuen sich die Darmstädter Forscher schon auf ihr neues Beschleunigersystem Fair, mit dem sie in ein paar Jahren die Insel der Stabilität entdecken und erkunden wollen.
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